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Zu viele, falsche Pillen Psychopharmaka im Altenheim

Bewohner von Altenheimen bekommen nach Ansicht des Frankfurter Gerontopsychiaters Johannes Pantel zu häufig und zu lange Psychopharmaka verabreicht. Die Motivation sei oft nicht, dem Patienten zu helfen, sondern ihn ruhig zu stellen, um die Pflege zu erleichtern, sagte der Professor. Dabei gebe es genügend andere Wege, den Zustand der Patienten zu verbessern. Dies zeigt eine Studie Pantels, die noch dieses Jahr publiziert werden soll.

Für die Doppel-Studie "Psychopharmaka in Altenheimen" und "Optimierung der Psychopharmaka-Therapie in Altenpflegeheimen" (OPTimAL) bewertete Pantels Team im August 2006 die Qualität der Psychopharmaka-Versorgung der Bewohner in einem Frankfurter und einem Mainzer Heim. Die Wissenschaftler legten dafür zehn Kriterien zugrunde, ob die Medikamentenverordnung "adäquat" war. Als unangemessen gewertet wurden beispielsweise unnötige Pillen, zu hohe Dosierung, zu lange Einnahme oder schwere Nebenwirkungen. Der Ist- Zustand zum Zeitpunkt der Stichprobe: "Beim Durchschnittspatienten waren 4,2 von 10 Kriterien zu bemängeln", sagte Pantel.

Für "OPTimAL" entwickelten die Wissenschaftler ein Programm, um die Probleme in der Pflege anders zu lösen, und setzten es in einem der beiden Heime um. Im Februar 2007 untersuchten sie erneut den Zustand der Bewohner. Ein Vergleich zwischen diesem Heim und dem Kontroll-Heim, in dem alles wie gewohnt weiterlief, zeigte: "Obwohl weniger potenziell schädliche Psychopharmaka-Verordnungen festgestellt wurden, hatte sich der psychische Zustand der Bewohner verbessert." Im Interventionsheim waren nur noch durchschnittlich 2,5 Punkte zu bemängeln, während sich im Kontrollheim die Mängelliste auf 4,5 Punkte verlängert hatte.

Alternativen zur Psycho-Pille

Dies gelang dank intensiver Schulungen des Pflegepersonals. "Wir wollten Alternativen zur Kurzschluss-Reaktion Pille aufzeigen", sagte Pantel. Dazu gehörten zum Beispiel eine Fortbildung, um die Nebenwirkungen besser zu erkennen, oder ein Merkzettel in der Patientenakte, dem Arzt nach einer gewissen Zeit vorzuschlagen, die Pillen probeweise abzusetzen. "Einer der größten Mängel ist, dass Medikamente ausprobiert und nie wieder abgesetzt oder auch nur hinterfragt werden", sagte Pantel. Insgesamt hätten die Maßnahmen gut gegriffen, ohne viel Aufwand zu verursachen.

In der Ausgangssituation bekamen 63 Prozent der 167 Bewohner beider Heime Psychopharmaka. Spitzenreiter war ein Patient, der täglich 15 verschiedene Pillen einnahm. "Da kann kein Mensch mehr sagen, was womit wechselwirkt." Die am häufigsten verordnete Gruppe in Heimen sind laut Pantel Antipsychotika und Tranquilizer. Sie würden vorwiegend zur Beruhigung von unruhigen, renitenten oder aggressiven Menschen eingesetzt. "Diese Medikamente haben hohes Suchtpotenzial, schwere Nebenwirkungen wie Schlaganfälle, und die Menschen sterben auch früher", kritisierte Pantel.

Wichtige Medikamente fehlen

Er moniert nicht nur eine zu häufige, sondern auch eine falsche Medikamenten-Gabe. Denn manche Psychopharmaka-Gruppen wie etwa Antidepressiva werden seiner Ansicht nach sogar zu selten verschrieben. "Sie geben depressiven Menschen neuen Antrieb." Viel häufiger verschrieben werden sollten nach Pantels Auffassung auch Medikamente gegen Demenz. Obwohl in der Studie 50 Prozent der Patienten verwirrt waren, bekamen nur 15 Prozent diese Medikamente.

Einer der Gründe für unzureichende Verordnung: Die Bewohner werden von ihren Hausärzten betreut, die in der Regel keine Fachleute für Psychopharmaka sind und nur sporadisch vorbeischauen. So liege die Verantwortung für die Überwachung der Wirkung allein beim Pflegepersonal: "Die Wohnbereiche in Altenheimen sind offene psychiatrische Stationen ohne ausreichend geschultes Personal", formuliert Pantel.

So fasst der Abschlussbericht denn auch zusammen, dass sich die Situation nicht entscheidend bessern kann, solange die Verantwortung für den Zustand des Patienten nahezu allein bei den Pflegekräften liegt. Pantel empfiehlt daher dringend, dass jedes Heim einen Vertrag mit einem "Heimarzt" abschließen sollte.

Quelle: ntv.de

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