Klassik für Kinder? Geht doch! Campino, Peter und der Wolf
22.11.2015, 20:21 Uhr
Vielseitig: Campino gibt den Vorleser.
Ich treffe Campino in Clärchens Ballhaus, einem alten Etablissement, wo noch heute geschwoft und gegessen wird, als gäbe es kein Morgen. Der Putz bröckelt, die Patina wächst, dem Charme des Hauses tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Hier wird gefeiert was das Zeug hält - der ideale Ort also, um den Mann zu treffen, den man getrost als den "Kopf der Toten Hosen" bezeichnen kann. Anlass ist aber nicht etwas ein neues Album der Band, sondern eine Neu-Interpretation des Prokofjew-Klassikers "Peter und der Wolf".
Ich kenn die Musik von früher, aus meiner Kindheit, so wie du wahrscheinlich auch.
Genau, ich hab' das als Kind gehört.
Wie bekommt man denn Klassik und Kinder zusammen?
Ich bin der Meinung, wir sind als Erwachsene dafür zuständig, den Kindern Kunst, Musik und Sport anzubieten, aus allen Richtungen. Dann wird sich schon zeigen, wozu der junge Mensch eine Affinität entwickelt. Zum Beispiel bei einem Instrument, bei leidenschaftlicher Zuneigung wird das auch was. Wenn nicht, dann kann man eh nichts machen. Ich würde das nicht so streng sehen. Und das ist ja genau das Tolle an dieser Erzählung von "Peter und der Wolf", dass sie nicht so streng ist, sondern spielerisch und - angepasst an die jetzige Zeit - an die Kinder herangetragen wird. Kinder fragen sich nicht analytisch, was ihnen da genau an der ganzen Sache gefällt, entweder es interessiert sie als Ganzes oder sie lehnen es ab.
Schubladen machen wir später erst auf, oder?
Ja, genau, die sogenannte E- und die U-Musik (lacht). Das ist eine Trennung, die in meiner Welt nie stattgefunden hat.
Kennst du dieses Gefühl des Alleinseins? So wie der Peter in Prokofjews Geschichte?
Na klar. Und bei uns ist die Geschichte ja noch erweitert worden: Es wird klarer dargestellt, dass Peters Eltern gestorben sind. Das passt momentan zufällig krass in unsere Zeit hinein, so viele Kinder sind ohne den Schutz ihrer Eltern, ich rede nicht nur von denen im Krieg oder auf der Flucht, sondern auch von denen, die zuhause nicht richtig betreut werden. Sie müssen sich ganz allein in der Welt zurechtfinden. (zögert) Ich kann das nachempfinden, dass man als Kind zum Beispiel durch eine wirklich beeindruckende Heldentat bei den anderen Eindruck hinterlassen will. Dass man bejubelt werden möchte. Wenn man einsam ist, dann geht das große Kopfkino los, das trifft auch auf mein Leben zu.
Was war eine Heldentat, die du damals vollbracht hast?
(lacht) Ich hab' leider nichts vollbracht, damals …
Später erst …
Ja, wenn man so will. Ich habe davon geträumt, Schlagzeuger in einer Band zu sein, ich war aber auch Indianer, Privatdetektiv und Entdecker, ich habe mir ständig Geschichten ausgemalt. Und auf so vielfältige Art kann man jetzt auch - zum Beispiel mit dieser tollen App, die zu dem Stück entworfen wurde - Peter folgen.
Ich bin echt kein Nostalgiker, aber früher waren wir doch irre kreativ: wir haben Musik gemacht und uns Geschichten ausgedacht und die auf den Kassettenrekorder aufgenommen …
Hörspiele habe ich auch aufgenommen. Aber das war die Zeit, der Kassettenrekorder war damals ein technisches Highlight. Das heißt aber nicht, dass die Kinder heute nicht mehr kreativ sind, bloß weil sie anders und besser ausgestattet sind. Das ist für uns vielleicht schwer nachzuvollziehen, was sie da heutzutage spielen, und wir wünschen uns alle, die Kinder würden ihre Mobiles und iPads nicht so oft in die Hand nehmen. Aber das sind typische mit den Generationen wechselnde Zeitgeistängste. Ich möchte das den Kindern nicht groß vorwerfen. Ich bin, was die Jugend angeht, eigentlich unbesorgt.
"Peter und der Wolf" nimmt das Kind sehr ernst – warum ist das so eine zeitlose Geschichte?
Die Geschichte behandelt etwas, das jeder kennt: Angst vor dem Neuen, dem Großen, dem Unbekannten, Angst vor dem Alleinsein. Auch ein bisschen Angst vor dem Großvater, der in diesem Märchen eine übermächtige Person ist. Zunächst respekteinflößend, andererseits aber auch sein Enkelkind liebend. Wir können uns wiedererkennen in "Peter", und die Musik drückt uns quasi Farbstifte in die Hand, mit denen wir unsere Figuren in der Phantasie ausmalen können. Jeder hat eine andere Vorstellung, aber trotzdem meinen wir alle, dasselbe zu empfinden. Deswegen kann man von einem Jahrhundertwerk sprechen.
Was machen wir denn aber, wenn unsere Kinder doch zu viel am technischen Endgerät kleben?
Regeln festlegen, Zeitlimits einführen. Aber es ist ein ständiger Spagat. Wenn wir mal ehrlich sind: Eltern sind froh, wenn sie auch mal ihre Ruhe haben. Wie leicht ist es da, es sich einfach zu machen und die Kinder an den Fernseher oder Computer zu lassen, dann ist nämlich Ruhe.
Das Gerät als Babysitter?
So ermogelt man sich ein bisschen Zeit. Eltern müssen sich eingestehen: Wenn ich hart gegenüber meinem Kind sein will, muss ich erstmal hart mir selbst gegenüber sein, und dann muss ich mich dem Kind zuwenden, Zeit investieren und notfalls das gute alte Brettspiel rausholen. Das ist die Konsequenz.
Ja, wir leben das ja vor, wir lassen unser Handy ja auch nur ungern los …
Und die Kids beobachten uns genau! Dann lassen sie sich natürlich nicht gerne mehr etwas dazu sagen. Wasser predigen und Wein trinken ist nicht. Die Frage, wie wir zukünftig mit diesen Medien umgehen wollen, ist ein großes gesellschaftliches Thema.
Zurück zur Aufnahme: Du sprichst den Erzähler, Peter, den Großvater, die Enten …
Ich habe keine schauspielerische Ausbildung und deshalb war es für mich eine große Herausforderung, aber es hat mir einen riesigen Spaß gemacht.
Zum Beispiel Mozart - der war ein richtiges Freak, oder? Ein Punker seiner Zeit, ein Megakünstler …
Durchgeknallt auf jeden Fall, wie man gerne von so einigen klassischen Musikern behauptet. Oft wird uns Rockfans abgesprochen, eine Zuneigung zur Klassik zu haben - aber diese Gegensätzlichkeit existiert für mich nicht. Wenn wir als Punks etwas richtig schlimm fanden, dann war das meistens dieses seichte Pop-Gesülze, aber nicht die Klassik.
Du hast dich bei der Pressekonferenz selbst als "alter Mann" bezeichnet, der das Glück hat, bei einem so frischen Prjekt mitmachen zu dürfen. Ausgerechnet du kannst dich nicht wirklich alt fühlen, oder?
Naja, in Relation zum Bundesjugendorchester … Aus der Sicht eines 18-19-Jährigen bin ich steinalt. Ich will damit gar nicht kokettieren, aber ich habe auch keine Lust, heute noch auf dreißig zu machen (lacht). Das würde arg schief gehen.
Es ist wie es ist - das "50 ist das neue 30"-Gequatsche nervt doch. Schön ist, dass die Trennung nicht mehr so stark ist zwischen alt und jung, vor allem in der Musik.
Ja, während wir uns in meiner Jugend mithilfe von Musik von älteren Generationen abgegrenzt haben, ist das heute nicht mehr so. Aber diese komische Alterstrennung findet bei uns trotzdem noch statt: In anderen Ländern stehen Jung und Alt gemeinsam in der Disko, hier in Deutschland wird man schräg angeguckt, wenn man im falschen Laden ist.
Mit Campino sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de