Erst belächelt, jetzt Bestseller BMW X6 - extrovertierter Alleskönner
13.10.2014, 09:23 Uhr
Steiler als beim Vorgänger steht beim neuen X6 die Doppelniere im Wind und die Charakterlinie am hinteren Kotflügel sorgt für zusätzliche Dynamik.
(Foto: Uwe Fischer)
Als BMW 2008 den X6 brachte, ging ein Raunen durch den automobilen Blätterwald. Die Frage nach der Sinnfälligkeit eines SAV wurde gestellt - eben jener Mischung aus SUV und Coupé. Jetzt geht der Bestseller in die zweite Runde und kann fast alles: Sport, Gelände und natürlich Straße.
Aus den USA kommen die legendären Muscle-Cars. Mit langer Schnauze böllern sie mit einem fetten V8 durch die Gegend und verzücken so ihre Fans. Ebenfalls in den USA wird der BMW X6 gebaut. Ein Muscle-Car der anderen Art. Als er 2008 das Licht der Welt erblickte, wurde er belächelt. Keiner konnte die Mischung aus SUV und Coupé einordnen. Zu bizarr erschien die Mischung beider Fahrzeugformen. Doch bald bekamen die Spötter einen Schreck, verkaufte sich das Coupé-Monster doch vor allem auf den wichtigen Märkten wie geschnitten Brot. Seit der Markteinführung des Sport Activity Vehicles wurden 260.000 Modelle verkauft. Die Hauptmärkte sind natürlich die USA, China und Europa. Der Erfolg der X-Reihe, die bis auf den X1 ausschließlich in den USA gebaut wird, macht das Werk in Spartanberg im Bundesstaat South Carolina bis 2016 zum größten BMW-Werk der Welt. Im Augenblick werden hier pro Jahr 300.000 X-Modelle gefertigt. Bis 2016 werden es 450.000 sein. Das entspricht einer Steigerung um 50 Prozent. Geplant ist auch schon ein X7. Über Optik und Markteinführung wird noch geschwiegen.
Der Schock über die guten Zahlen, gerade was den X6 betraf, saß bei Mercedes so tief, dass die Stuttgarter mit dem MLC, der auf der Auto-China als Studie präsentiert wurde, dem X6 einen potenten Antipoden an die Seite stellen werden. Doch bevor es so weit ist, nutzen die Münchner ihren Vorsprung. Sie schicken nämlich bereits am 6. Dezember, also am Nikolaustag, die zweite Generation ihrer sportlichen Wuchtbrumme ins Rennen. Und eine solche ist der Bayer wahrlich. Misst er doch in der Länge stolze 4,91 Meter und baut sich 1,70 Meter über dem Asphalt auf. Wer ihm von hinten erblickt, hat eine Wand von 1,99 Metern vor sich.
Extrovertierter Bodybuilder
Die Veränderungen in den Maßen sind marginal. Deutlicher werden die neuen Züge des mächtigen Bajuwaren im Detail. Die Front lehnt sich jetzt an das aktuelle Design seines Plattformbruders X5 an. Die Scheinwerfer grenzen nun an die dreidimensional gestaltete Niere und vier Falze auf der Motorhaube scheinen die Muskelstränge des Bodybuilders zu spannen. Über den vorderen Stoßfänger formt sich das typische X der Baureihe. Besonders auffällig ist eine neue Charakterline am hinteren Kotflügel. Sie steht im direkten Kontrast zum sehr steil abfallenden Dach und stellt die Radhäuser optisch noch ein Stück nach außen. Seitliche Trittleisten runden den stämmigen Auftritt ab. Am mächtigen X6-Hinterteil leuchten nunmehr LED-Rückstrahler und die breiten Endrohre des 450 PS starken XDrive 50i singen ihr Lied aus der Schürze heraus.
A m Heck etwas weniger brachial gibt sich der 30d. Er bildet mit seinen 258 PS den Einsteiger in die Klasse und startet mit 65.650 Euro. Auf die kleinen Motorisierungen müssen die Kunden aber bis Anfang 2015 warten. Mit dem Marktstart wird es in Deutschland erst einmal die zwei 50er-Kraftpakete geben: den schon erwähnten 50i und dem M50d. Der Diesel fährt mit einem Sechszylinder mit dreifachem Reihenturbolader vor, leistet 381 PS und verteilt 740 Newtonmeter auf alle vier Räder. In nur 5,2 Sekunden peitscht er den sportlichen Diesel an die Tempo-100-Marke. Den Durchschnittsverbrauch gibt BMW mit 6,6 Litern an. Das sind 1,1 Liter weniger als beim Vorgänger. Die Kosten für den von der M GmbH aufgebretzelten 50d belaufen sich auf stolze 87.300 Euro.
Der "Ich kann alles"-Faktor
Dass der X6 aber nicht nur in der sportlichen Aufwertung eine Art eierlegende Wollmilchsau ist, beweist der X6 xDrive 50i in allen Belangen. Natürlich geht er mit typischen BMW-Attributen über den Asphalt. Der Federungskomfort auf der Straße ist ausgezeichnet. Die serienmäßig verbaute 8-Gang-Automatik führt gewohnt flüssig durch die Gassen und mit dem Fahrmodischalter lassen sich die Konfiguration von Eco pro bis zu Sport + individuell per Fingertipp einstellen. Welches Potenzial aber in dem Zweitonner wirklich steckt, wird erst deutlich, wenn man ihn in die Extrembereiche fährt. Die BMW-Ingenieure haben großen Wert darauf gelegt den X6 eine Abstimmung zu geben, die ihn für alle Belange tauglich macht: für die Straße über das leichte Gelände bis hin zum Rundkurs.
Vor allem bei Letztgenannten wird deutlich, dass das Wort Sport im Titel des Bayern nicht nur so dasteht. Ist im normalen Gebrauch eine Dämpferkontrolle aktiv, die die Insassen sanft über Unebenheiten wippen lässt, wird im Sportmodus auch eine Wankkontrolle aktiv, die renntaugliche Kurvenfahrten zulässt, die man einem Geschoss wie dem X6 nicht zutrauen würde. Ohne tief abzutauchen, lässt sich das SAV ums Eck ziehen und zeigt dabei keine Anzeichen des Übersteuerns. Die Assistenten um ESP und Co. greifen so präzise ein, dass man den X6 förmlich um die Kurve fliegen lassen kann. Wer will, kann die Spreizung des ESP im Sport+-Modus auch öffnen - ganz abgeschaltet wird sie aus Sicherheitsgründen nicht - um so noch dynamischer an den Curbs vorbeizuschießen. Hier wird auch die Leistung der Entwickler der Lenksysteme deutlich. Wenn BMW häufig unterstellt wird, dass die Lenkung zu spitz ist, fällt beim neuen X6 auf, wie ausgeglichen jede Bewegung des Volants an die Vorderachse weitergeleitet wird.
Noch deutlicher wird das Bündel an fahrdynamischen Maßnahmen, wenn man den 50i in die Drift schickt. Wer hier auf einem dafür vorgesehenen Sicherheitskurs am Kurveneingang das Gaspedal voll durchtritt, spürt, dass die Antriebsräder für eine Sekunde die Haftung verlieren, bevor das Heck nach außen schiebt. Jetzt kommt es darauf an, den Druck auf den Pin zu dosieren, ohne ihn zu verlieren und mit den Vorderrädern durch minimale Gegenlenkbewegungen die Richtung zu kontrollieren. Aber selbst wenn das nicht gelingt, bleibt die Gefahr minimal, weil die Elektronik, wenn sie merkt, dass das Fahrzeug auszubrechen droht, die Geradestellung des Wagens in Sekundenbruchteilen unterstützt. Das alles wird untermalt vom wunderbaren V8-Sound, dessen heiseres Lied durch die Drosselklappen intoniert aus den wuchtigen trapetzförmigen Endrohren böllert.

Edel mit Leder bezogene Sitze und neu gezeichnete Armaturen werten das Innenleben des X6 auf.
(Foto: Uwe Fischer)
Aber der Alleskönner kann natürlich auch ins Gelände. Wasserdurchfahrten bis zu einer Wattiefe von 50 Zentimetern sind kein Problem. Verschränkungen und Bergfahrten werden durch Bergan- und -Abfahrhilfe unterstützt. Damit man dort nicht blind abkippt, gibt es eine Frontkamera. Ob aber jemand, der einen X6 50i für 82.500 Euro erworben hat, all diese Möglichkeiten auslotet, bleibt dahingestellt. Wahrscheinlich nicht.
Neues, edles Interieur
Vielmehr dürfte er sich am Innendesign erfreuen. Der neu gestaltete Armaturenträger ist mit dickem Leder bezogen und schwingt sich elegant durch den Raum. Im Cockpit nimmt der X6 deutlich Abstand vom Offroad-Look. Hier schwelgen die Passagiere in purem Luxus. Die Ledersitze überzeugen mit hervorragender Ergonomie, sind angenehm straff gepolstert und bereits in der Basis mit feinem Nappa bespannt.
Auch die Platzverhältnisse im neuen X6 lassen kaum Wünsche offen. Ein haptisches Highlight ist der Armaturenträger: Zierleisten und helles Kontrast-Leder im unteren Bereich des Armaturenträgers muten edel an. Die Verarbeitung ist ausgezeichnet. Bei den Instrumenten setzt BMW auf eine animierte Darstellung von Tacho und Drehzahlmesser. Je nach Fahrmodus der Acht-Gang-Automatik wechseln die digitalen Anzeigen ihre Farbe und Darstellung. Zusätzlich hat BMW ein neues Vollfarb-Head-Up-Display verbaut, das neben Fahrdaten auch Musik- und Telefoninfos in die Frontscheibe spiegeln kann.
Erstmals können Kunden den X6 auch mit einem Stauassistenten ausrüsten. Dann hält das SUV-Coupé bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h selbstständig die Spur. Und auch das Einparken beherrscht der X6 jetzt weitgehend automatisch. Der Fahrer muss nur noch den Knopf des neuen Einparkassistenten gedrückt halten, dann kurbelt sich der Dicke ganz allein in die Lücke.
Auf der hinteren Sitzbank bietet der X6 ausreichend Platz. Damit die Kopffreiheit nicht unter dem nach hinten abfallenden Coupédach leidet, ist der Dachhimmel über den Sitzen nach oben gewölbt. Der mittlere Sitz macht den X6 zum vollwertigen Fünfsitzer. Wenn die Hütte voll ist, passen noch 580 Liter in den Kofferraum. Wer größeres Gut transportieren muss, kann die im Verhältnis 40/20/40 geteilte Rückbank umlegen. Macht er das in Gänze, entsteht ein Stauraum von 1525 Litern. Insgesamt bleibt der X6 ein extrovertierter Alleskönner, der seinen Preis hat. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Bayer auch jetzt wieder seine Freunde und vor allem Käufer finden wird.
Quelle: ntv.de