Zwischen den Sätteln Drei Motorradkonzepte im Vergleich
25.01.2018, 14:18 Uhr
Kawasaki Z900RS.
Motorradfahren hat viel mit Gefühl zu tun. Was dem einen gefällt, muss der andere gar nicht mögen. Doch wer drei ganz unterschiedliche Konzepte reitet, der kann am Ende der Fahrt ganz gewaltig zwischen die Sättel geraten.
Es ist ja immer so eine Sache mit den auf Motorräder bezogenen Emotionen: Mal liegen sie, versteckt beinahe, tief im Unterbewusstsein, mal werden sie, von einer Sekunde zur anderen, raumgreifend. Betörend bestimmen sie dann, dass aus der zuvor favorisierten zweizylindrigen Suzuki V-Strom 650 XT eine riesige Indian Chieftain zu werden habe, weil sich - schön wie kaum ein anderes Motorrad - über die Küstenstraßen cruisen lässt, um anderntags die stimmig gemachte Kawasaki Z 900 RS zum Objekt der Begierde zu machen.

Die Kawasaki Z 900 RS glänzt nicht nur mit technischen Raffinessen, sondern auch mit ihrem Fahrverhalten.
Glücklich, wer drei Tage Gelegenheit hat, sich mit all diesen Modellen im leichten Gelände zu tummeln. Gemeint sind Natursträßchen und Wege ohne festen Belag, elegant geschwungene Küstenstraßen und gebirgiges Hinterland. In der Sierra de los Filabres lassen sich neben fast verkehrsfreien Strecken mit höchster Asphaltqualität anspruchsvolle Pass-Straßen wie die Route über den mehr als 2000 Meter hohen Velefique finden. Um 1000 Meter steigt die extrem kurven- und kehrenreiche Straße auf nur zehn Kilometern Strecke bis zum Sattel, das reinste Kurvengewürm.
Die Königin am Berg
Weniger gut schlägt sich dort der 385 Kilogramm schwere Indianergaul mit seinem ellenlangen Radstand von fast 1,70 Meter, während die 213 Kilogramm leichte Suzuki V-Strom 650 XT trotz ihrer nur 71 PS hier eine vorzügliche Figur abgibt. Königin am Berg aber ist die Kawasaki, der neueste Star im Programm des japanischen Herstellers: ein modernes Motorrad mit top-aktuellen Komponenten, das aber nicht die Aggressionsgene dieser Japan-Marke betont, sondern soeben im klassischen Outfit der 1980er Jahre die Zweiradszene betritt - und quasi im Handstreich erobert.
Seit vielen Jahren ist die kleine V-Strom 650 eine Konstante im Suzuki-Programm: beliebt, belastbar und bestens geeignet für alle Lebenslagen eines breitbandig interessierten Motorradfahrers. Einerseits bringt die Suzi "Nutzfahrzeug-Qualitäten" mit, andererseits ist sie bei aller funktionalen Wertigkeit doch pfiffig genug, um auch für erfahrene Motorradfahrer begehrenswert zu erscheinen. Ihr Preis-Leistungs-Verhältnis ist eines der besten auf dem gesamten Zweiradmarkt.
Das Genuss-Bike
Die ausladende Indian mit ihrem mächtigen V2-Motor ist gewissermaßen das Gegenteil der Suzuki: Gut 900 Kubikzentimeter Hubraum weist jeder der beiden Zylinder auf, ein Drittel mehr als der ganze Suzuki-Motor. Gewaltige 150 Newtonmeter malträtieren schon bei 2100 Umdrehungen den Antriebsriemen. Und 100 Watt leistet die serienmäßige Audioanlage, mehr als genug, um Fahrer und - sofern vorhanden - auch Passagier so richtig eins auf die Ohren zu geben. Bis etwa Tempo 100 ein prächtiges Genuss-Bike; fährt man schneller, wird’s arg unruhig am Helm. Mit einem Preis von rund 26.000 Euro weiß Gott kein Allerweltsbike, aber dafür ein sorgfältigst verarbeitetes Denkmal der Zweiradmobilität.
Zwischendrin die Kawasaki. Unübersehbar sind die Zitate der frühen 1980er Jahre; damals war die Kawasaki Z1 mit ihrem drehfreudigen 900er Vierzylinder-Reihenmotor das Maß aller Dinge. 111 PS mobilisiert der fast vollkommen vibrationsfrei bis auf 10.000 Touren drehende Inline-Four, doch auch bei nur 2000 Umdrehungen nimmt er willig Gas an, nötigt nicht zum permanenten Ausquetschen. Mit 215 Kilogramm ist die Kawasaki fast so leicht wie die Suzi, weist zudem mit LED-Scheinwerfer, USD-Gabel und anderen sehr fein abgestimmten Fahrwerkskomponenten eine top-aktuelle Technik auf. 12.000 Euro scheinen nicht zu viel angesichts eines Motorrad-Designs, das bereits auf den ersten Blick überzeugt.
Böllernd durch alle Kurven
Der erste Tag gehört der überaus einfach zu fahrenden Suzuki V-Strom 650. Mit ihr absolviert der Fahrer ebenso entspannt wie erfreut das ganze "Stadt-Land-Fluss"-Programm. Kaum erscheint es vorstellbar, dass ein Motorrad mit so breitem Anwendungsspektrum geschmeidiger zu dirigieren ist: lammfromm umrundet die V-Strom Kurven jeglicher Radien und fügt sich willig den Anforderungen ihres Fahrers.
Wer den Tag auf dem breiten Echtledersattel der mächtigen Indian Chieftain verbringt, weiß anderes zu berichten. Sie bollert durch Ortschaften, schnalzt die mit Fahrer fast 500 Kilogramm wiegende Fuhre von Kurve zu Kurve. Das Drehvermögen des riesigen V2 kann hier nur zur Hälfte genutzt werden und vermittelt dennoch den Eindruck einer souveränen Motorisierung. Zum Erstaunen des Fahrers ist die Schräglagenfreiheit so reichlich, dass auf einer Strecke von 240 Land- und Bergstraßenkilometern nicht ein einziges Mal aufgesetzt wird. Indian hat bei diesem Schiff ziemlich viel richtig gemacht. Egal ob Johnny Cash, Abba oder die Rolling Stones die Lautsprecher bearbeiten oder ob der fette V2 alleine die Musik macht: ganz großes Kino!
Doch selbst das fulminante Cruisen mit der bis ins letzte Detail wunderbar gemachten Indian wird am dritten Tag überstrahlt von der Kawasaki Z 900 RS: perfekte Sitzposition. Die zwei Rundinstrumente im Stil der 1980er Jahre informieren analog. Zugleich ist die RS kein Bike, dessen Fahrverhalten das wackelige Gestern wieder lebendig werden ließe. Souverän wie der gereifte Stirling Moss zieht die RS ihre Linie durch die winkeligsten Kurvenkombinationen. Verbindet gelassen und doch agil die Punkte A und B, mögen diese auch noch so schlecht erreichbar erscheinen.
Müsste man sich zwischen den drei Modellen entscheiden, fiele die Wahl schwer. Der Fahrer sitzt hier auf drei wunderbaren Sätteln und fühlt sich zugleich zwischen allen Stühlen.
Quelle: ntv.de, hpr/sp-x