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Wolfsburg probt den Neuanfang "VW wird nicht zerbrechen", aber schlanker

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Aufklären will VW die Menschen, Schuldige benennen und Vertrauen zurückgewinnen. Transparent sollen die Veränderungen sein. Genau wie die neue Arbeitsweise im Konzern, der unter anderen mit neuen E-Autos das angeschlagene Image aufpolieren will.

Mit einer Pressekonferenz hat der Volkswagen-Konzern durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates Hans Dieter Pötsch und Unternehmenschef Matthias Müller seine Neuausrichtung skizziert. Und für den Moment bleibt es wohl auch bei einer schemenhaften Zeichnung. Zum einen sitzt VW der Schrecken über das Geschehene noch in den Knochen, zum anderen bewegt sich der Konzern mit Blick auf den Diesel-Skandal in einem Wust aus Fragen. Um die zu beantworten und vor allem die Schuldigen für dieses Desaster dingfest zu machen, wurden zwei unabhängige Teams auf den Weg gebracht. Zum einen handelt es sich um eine interne Revision, zum anderen um Jones Day, eine externe Anwaltssozietät. Die Juristen werden von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte unterstützt. Insgesamt arbeiten 450 Experten an dem Fall.

Reges Medieninteresse bei der VW-Pressekonferenz.

Reges Medieninteresse bei der VW-Pressekonferenz.

(Foto: picture alliance / dpa)

Um den Umfang der Prüfungen zu verdeutlichen, legt VW Zahlen vor: "Datenmengen von mehr als 100 Terabyte wurden gesichert – das entspricht umgerechnet etwa 50 Millionen Büchern", heißt es da. Zudem seien mit Verantwortlichen 87 intensive Interviews geführt und 1500 elektronische Datenträger eingesammelt worden, darunter Smartphones und Computer, um den E-Mail-Verkehr zu sichten und "schnellstmöglich zu belastbaren Ergebnissen zu kommen". Allerdings habe sich, so die Aussage von Pötsch, die Anzahl der Schuldigen schon auf eine überschaubare Anzahl reduziert. Wie weit die einzelnen Personen jetzt aber in die Betrugsprozesse involviert waren, kann noch nicht abschließend gesagt werden. Dezidierte Aussagen verspricht Pötsch für den 21. April 2016.

Verantwortlich war eine Fehlerkette

Was bereits jetzt gesagt werden kann, ist, dass insgesamt drei Faktoren für die Diesel-Problematik verantwortlich waren. Die Rede ist von individuellen Fehlern der Mitarbeiter, die mit Schwachstellen in den Prozessen und der Tolerierung von Regelverstößen gepaart waren. Das alles wird überstrahlt von der geforderten Dieseloffensive. Pötsch spricht von einer Fehlerkette, nicht von Einzelfehlern. Kurz gesagt, fanden die Entwickler seinerzeit keinen Weg, die strengen Stickoxid-Vorgaben in den USA zu erfüllen. Jedenfalls nicht im Rahmen eines vorgegebenen Budgets. Als die Technik da war, wurde sie nicht genutzt. Vielmehr wurde das Problem mit Hilfe der Software gedeckelt. "Im Rückblick wirkt das alles fast banal", so Pötsch.

Nun gilt es, mit allen Mitteln einen zweiten Skandal dieses Ausmaßes zu vermeiden. Dabei hören sich die geplanten internen Maßnahmen fast genauso banal an wie die von Pötsch aufgezeichnete Fehlerkette. Da geht es zum einen um mehr Transparenz, eine "Kultur der offenen Türen", flache Hierarchien und mehr "Zukunftsdenken a la Silicon Valley". Um die Diesel-Geschichte also aus den Köpfen zu bringen, stellt sich Volkswagen auch mit Blick auf seine zwölf Töchter neu auf. VW-Chef Matthias Müller verspricht für sie bereits jetzt mehr Eigenständigkeit. Die Mutter soll nur noch steuern, was das Unternehmen in der Summe "agiler, flexibler und schneller" machen soll.

Forschung und Entwicklung gestrichen

Ausgedünnt wurde in Bereichen, die sich auf den ersten Blick nicht erschließen. Nach Aussagen von Müller sind - und das belegen auch die Abgänge in der Führungsetage – die Ressorts Vertrieb, Forschung und Entwicklung als eigenständige Bereiche gestrichen. "Natürlich wird es die wieder geben", so Müller, aber in anderer Form. Dafür hat der VW-Konzern jetzt, unter dem Vorsitz von Christine Hohmann-Dennhardt, das Ressort Integrität und Recht ins Leben gerufen. Deren Aufgabe dürfte es in erster Linie sein, die juristischen Wogen in den USA zu glätten. Zur eigenen, und damit zur Chefsache, hat Müller die "Digitalisierung" gemacht.

Um das neue Denken auch in anderer Hinsicht manifest zu machen, verzichtet VW in Zukunft auf einen eigenen Airbus. (VW betreibt eine eigene kleine Fluggesellschaft, die über mehrere Maschinen verfügt, darunter ein Airbus A319. Das Unternehmen operiert unter anderem vom Flughafen Braunschweig-Wolfsburg aus und ist unter dem Namen Lion Air Services in George Town auf den Cayman Islands registriert.) Experten sollen vor Ort zusammenarbeiten und überbesetzte Gremien im Ausland werden eingedampft, künftige Messeauftritte hingegen der Bescheidenheit verpflichtet.

20 neue E-Autos bis 2020

Das alles klingt nach aktiven Sparmaßnahmen, die darin kulminieren, dass auch die Sachausgaben um eine Milliarde Euro für das kommende Jahr gesenkt wurden. Hinzu kommt eine angespannte Lage auf den Märkten: "Wir kämpfen um jeden Kunde und um jedes Auto", so Müller. Eins lehnt der VW-Chef aber ab: Einen Verkauf von einer seiner zwölf Töchter. So groß ist die Not noch nicht. Aber was, wenn die Lage sich nicht stabilisiert? Ein Modell wie der Skoda Roomster ist dem Sparzwang dann doch schon zum Opfer gefallen. Und auch andere Fahrzeuge stehen zur Disposition. Der neue Bugatti ist es aber nicht. Für den Chiron sind die Auftragsbücher voll. "Warum soll man ein Geschäft nicht mitnehmen, wenn es da ist?", so Müller. Dennoch schwebt die Finanzfrage wie ein Damoklesschwert über den Wolfsburgern und spätestens mit der Bekanntgabe der "Strategie 2025" wird das eine oder andere Modell das Zeitliche segnen.

Dennoch gibt es für die Zukunft Visionen: 20 neue E-Autos und Plug-in-Hybride will der Konzern bis 2020 in die Spur bringen. Das Ganze soll gepaart werden mit intelligenten Mobilitätsdienstleistungen und der Aussicht auf das Vorantreiben des autonomen Fahrens. Von der E-Offensive verspricht sich Müller vor allem eins: "Reputation für das angeschlagene Image". Aber Geld verdient der Konzern anders. Immerhin liegt hier ein Zeitraum von vier Jahren vor VW, den es mit konventionellen Antrieben zu überbrücken gilt. Im besten Fall sogar mit dieselgetriebenen Autos. Das weiß auch Müller: "Der Diesel ist beschädigt, wird aber gebraucht." Und das nicht nur zur Erreichung der immer schärfer werdenden CO2-Vorgaben. Bei aller Zuversicht, die Pötsch und Müller ausstrahlen, bleibt doch eine gehörige Portion Unsicherheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konzern wie VW an den widrigen Umständen zerbrechen wird, ist unwahrscheinlich. Aber der Prozess der Verschlankung und die damit verbundenen Einschnitte könnten am Ende doch größer sein, als man es sich in der eingedampften Führungsetage von Volkswagen im Moment eingestehen möchte.

Quelle: ntv.de

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