Der schleichende Niedergang Warum die britische Autoindustrie unterging
16.05.2015, 17:13 Uhr
Mini ist nur ein Beispiel warum die britische Autoindustrie versagen musste.
Einst waren britische Autos weltweit begehrt. Doch ab Mitte der 1950er Jahre sank der Stern. In einem schleichenden Prozess demontierte eine Nation eine ihrer Schlüsselindustrien. Ganz langsam, aber dafür umso nachhaltiger.
Es gab eine Zeit, in der britische Autos begehrt waren. Von 1932 bis 1955 war Großbritannien weltweit die Nummer zwei unter den Auto-Nationen. Doch binnen weniger Jahrzehnte zerfleischte sich dieser Industriezweig selbst. Aber wie kam es dazu, dass sich eine der größten Autoindustrien durch Misswirtschaft, Klassendenken, verbitterte Arbeitskämpfe und schlampige Entwicklung ins Nichts katapultierte? Die Zeitschrift "Oldtimer Markt" ist der Frage nachgegangen und zu folgendem Ergebnis gekommen.
Mini ist nur ein Beispiel
Beispielhaft steht hier der Niedergang der Marke Mini: Bereits Ende der 1950er Jahre bricht die britische Kultmarke mit einer ganzen Reihe von Traditionen, die den Durchschnittskunden zunehmend vom Kauf des Kleinwagens abschreckt. Was jetzt folgt, ist eine Art Harakiri: Mini bietet sein Auto deutlich günstiger an als das Konkurrenzmodell Anglia von Ford. Um das Preisdumping puffern zu können, zahlt die British Motor Corporation, zu der Mini gehört, bei jedem verkauften Auto drauf. Die Folge: Je besser sich der Mini verkauft, desto größere Verluste verursacht er.
Die Wirtschaftlichkeit ihres Handelns im Blick zu behalten, scheint aber noch nie die Stärke der britischen Autoindustrie gewesen zu sein. Buchhalter genießen bei den Angelsachsen kein hohes Ansehen. "Von ihnen fühlen sich zahlreiche Pioniere der aufstrebenden Automobilindustrie – allesamt Techniker, keine Kaufleute – in ihrem Wirken gehemmt", resümiert "Oldtimer Markt".
Auch die eigentlich unnötige Modellvielfalt treibt die Kosten hoch. Mitte der 1930er Jahre führt Hersteller Austin beispielsweise 51 verschiedene Modelle im Programm. Der Grund: Britische Hersteller sind im alten Standesdenken verhaftet und haben schon vor dem Ersten Weltkrieg mit einer Modellpolitik begonnen, die sich am Klassensystem der Gesellschaft orientiert, also für jede Schicht das angemessene Fahrzeug vorsieht.
Streiks und Chaos geben den Rest
Einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg rächt sich dieses Kastendenken der Autoindustrie. Den Konzernlenkern, die nahezu alle während ihrer Dienstzeit vom Königshaus in den Rang eines Ritters oder Lords erhoben werden, stehen ab den 1950er Jahren teils stramm kommunistische Gewerkschaften gegenüber. Der hochnäsige Umgang mit Untergebenen fordert die Arbeiterschaft heraus und es kommt zu Machtkämpfen – Arbeiter gegen Adel. Wobei die Streiks in jener Zeit mit außergewöhnlicher Härte und Verbissenheit geführt wurden.

Als Margret Thatcher - hier in einem Rover 800 - an die Macht kommt, forciert sie eine Privatisierung der Autoindustrie.
Die fast zwei Jahrzehnte andauernden Streiks führen in den 1970er Jahren zum Gau. Werke können nicht mehr oder nur noch teilweise produzieren, was zu schmerzhaften Umsatzeinbußen führt. Zudem ist die Atmosphäre in den Fabriken alles andere als motivierend, denn frustrierte und lustlose Angestellte liefern selten Qualität ab. Zudem wird die ohnehin hauchdünne Rendite pro Fahrzeug durch kostspielige Garantieleistungen aufgezehrt. Der Ruf britischer Autos wird immer schlechter. Einen Höhepunkt erreicht dieses Hickhack im Jahr 1970, als der Triumpf Stag mit seinem unausgegorenen V8-Motor zurückgerufen werden muss. Die Auslieferung wird unterbrochen, um den Stag fertig zu entwickeln und die Verarbeitungsmängel in den Griff zu bekommen.
1987 beginnt der Ausverkauf
Auch überfällige Rationalisierungen in den Konzernen finden weiterhin nicht statt. Die 1952 zur Britisch Motor Corporation (BMC) fusionierten Austin und Morris betreiben 16 Jahre nach dem Zusammenschluss immer noch getrennte miteinander konkurrierende Händlerschaften. Die von der britischen Labour-Regierung, der eine Art britisches General Motors vorschwebte, vorangetriebene Fusion der BMC mit der Leyland Motor Cooperation (Rover, Triumph) zur BLMC sorgt dem Bericht zufolge für ein "lähmendes Chaos", möchte doch niemand in dem neuen Konzern freiwillig Macht, Einfluss und Positionen aufgeben.
1975 steht die BMLC kurz vor der Pleite. Weil der Konzern mittlerweile "too big to fail" ist und der Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen droht, wird BLMC verstaatlicht und firmiert als "British Leyland Limited". Doch die Qualitätsmängel und die lähmenden Streiks werden nicht weniger. Als Margret Thatcher an die Macht kommt, forciert sie eine Privatisierung, knickt aber in Verhandlungen mit General Motors und Ford ein. 1987 beginnt dann der Ausverkauf. Als das staatliche Engagement 1988 zu Ende geht, wird sich der Gesamtbetrag für den Rettungsschirm auf 2,6 Milliarden Pfund Steuergelder summiert haben.
Nach Recherchen der Zeitschrift setzte auch BMW mit 15 Milliarden D-Mark viel Geld in den Sand, als sie die Rover-Group übernehmen, 2000 wieder zerschlagen und verkaufen. 2005 muss MG-Rover Insolvenz anmelden, heute baut ein chinesischer Hersteller unter dem Namen Autos für China. Englands ehemals größte Kolonie Indien konnte sich 2008 gleich zwei der britischen Ikonen leisten: Tata-Motors übernimmt Land-Rover und Jaguar von Ford. Mini und Rolls-Royce gehören zu BMW, Bentley zu Volkswagen.
Quelle: ntv.de, hpr/ sp-x