Leben

Süße Verführung, süße Gefahr Bei Zucker macht die Dosis das Gift

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Ein gehäufter Teelöffel sind bereits acht Gramm Zucker.

(Foto: picture alliance / Jens Kalaene/)

Schokolade, Fruchtjoghurt, Marmelade: Ist Zucker Gift für den Körper oder ein harmloser Inhaltsstoff in Lebensmitteln? Über diese Frage streiten Ernährungsexperten seit Jahren. Tatsächlich versuchen viele gesundheitsbewusste Menschen, den Zuckergehalt ihrer Nahrung zu beschränken. Aber ist das überhaupt sinnvoll?

Pro Jahr essen die Deutschen pro Kopf ganze 34 Kilogramm Haushaltszucker. Zucker hat aber einen schlechten Ruf. Er wird für überflüssige Kilos auf den Rippen ebenso verantwortlich gemacht wie für viele Volkskrankheiten. Seit einigen Jahren steht die süße Verführung daher auf der roten Liste vieler Ernährungsmediziner, die dazu raten, den Zuckerkonsum der Gesundheit zuliebe stark einzuschränken.

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Dr. Songül Gräfendorf ist Allgemeinärztin mit der Spezialisierung auf Ernährungs- und Sportmedizin. Sie bietet ihren Patienten auch medizinische Hypnose an.

Zu ihnen gehört auch die Allgemeinärztin Dr. Songül Gräfendorf: "Die zugesetzten freien Zucker sind eindeutig zu viel, weil sie eben nicht nur in Süßspeisen drin sind, sondern auch in Fertiggerichten, Konserven und eingemachten Gläsern", sagt sie n-tv.de. Ein dauerhaft hoher Zuckeranteil in der Ernährung könne dazu führen, dass eine Insulinresistenz entsteht. Hierbei handelt es sich um eine Vorstufe von Diabetes Typ 2. Weiterhin sei das Risiko für Adipositas, Herz-Kreislauferkrankungen und Karies deutlich erhöht. Das schreibt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in ihrer "Empfehlung zur maximalen Zuckerzufuhr in Deutschland". Die Folgen einer falschen, zu zuckerhaltigen Ernährung sieht die Ärztin tagtäglich in ihrer Praxis: "Ich habe viele Übergewichtige untersucht und die hatten wenig Eisen, Vitamin B12 und Folsäure im Vergleich zu schlanken Menschen, obwohl die viel mehr essen", sagt sie. Das liegt Gräfendorf zufolge an den leeren Kalorien, die vor allem in stark zuckerhaltigen Lebensmitteln enthalten sind.

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Ernährungswissenschaftler Uwe Knop hält Zucker für gesundheitlich unproblematisch.

Der umstrittene Ernährungswissenschaftler und Autor Uwe Knop hält Zucker dagegen nicht für gesundheitsschädlich, "weil es keinen wissenschaftlichen Beweis gibt, dass Zucker dick oder krank macht". Knop führt dafür unter anderem eine Studie aus Israel an, die gezeigt habe, dass bei manchen Menschen der Insulinspiegel nach fetthaltigen Mahlzeiten stärker ansteigt als bei kohlenhydratlastigen. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass Zucker nicht bei jedem Menschen gleich wirke und die individuelle Verträglichkeit stark schwanke. "Es gibt keinerlei wissenschaftliche Evidenz dafür, dass eine gewisse Menge gut oder schlecht ist, weil jeder Mensch ein Individuum mit einem individuellen Stoffwechsel, einer individuellen Chronobiologie, einem individuellen Energieverbrauch und einem individuellen Lebensstil ist", betont Knop im Gespräch mit n-tv.de.

In seinem neuen Buch "Dein Körpernavigator" verweist Knop auf eine Metaanalyse von 15 Studien, die gezeigt hat, dass bei den insgesamt 250.000 Probanden kein Zusammenhang zwischen dem Verzehr von normalem Haushaltszucker und Diabetes nachgewiesen werden konnte. Dasselbe gilt auch für Fruchtzucker.

Schlanke Kinder essen viele Süßigkeiten?

Wenn das Thema Zucker aufkommt, ist auch immer von Übergewicht die Rede. Eine Ursache sieht Gräfendorf darin, dass sich der Geschmacksnerv an den übermäßigen Zucker gewöhnt, der in vielen kalorienreichen Lebensmitteln steckt: "Kinder essen lieber kalorienreiche Fruchtgummis mit Apfelgeschmack, weil der Geschmack intensiver ist als bei einem normalen Apfel", erzählt sie. Der natürliche Geschmack sei verloren gegangen und müsse für die Gesundheit sowie zur langfristig erfolgreichen Gewichtsreduktion wiedererlangt werden.

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Auch hier hat Knop eine komplett andere Meinung: "Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Übergewichtige zu viel Zucker essen", sagt er. Schon die genetische Vorprägung mache 70 bis 80 Prozent des Körpergewichtes aus. Er nennt weitere Faktoren wie emotionales Essen, eine dauerhaft positive Energiebilanz (also eine erhöhte Kalorienzufuhr), Stoffwechselerkrankungen und Medikamente wie Kortison, die bekanntermaßen eine Rolle bei Übergewicht und Fettleibigkeit spielen können.

Knop weigert sich jedoch, pauschal Zucker oder einen anderen Inhaltsstoff - wie zum Beispiel Fett - für zu viele Kilos auf den Rippen verantwortlich zu machen. Denn auch die Studienlage zum Zusammenhang zwischen Zucker und Übergewicht bei Kindern beispielsweise zeige hier lediglich Korrelationen und keine eindeutigen Ursache-Wirkungs-Beziehungen. "Da gibt es sogar jede Menge große Studien, die zeigen, dass besonders Jugendliche, die am meisten Schokolade und Süßigkeiten essen, einen niedrigeren BMI haben als diejenigen, die weniger davon essen", berichtet der Buchautor.

Falle Heißhunger

"Zucker ist eine Substanz, die dazu führt, dass wir mehr essen, weil Glückshormone wie Serotonin, Dopamin und Endorphine freigesetzt werden. Die Lust am Essen nimmt zu", warnt hingegen Gräfendorf. Experimente mit Ratten hätten gezeigt, dass Zucker in kürzester Zeit abhängig machen kann. Die Versuchstiere hatten zunächst Kokain und Zucker bekommen. Als sie sich zwischen den beiden Substanzen entscheiden sollten, saugten sie ausschließlich an dem Röhrchen, aus dem Zucker kam. Dass Zucker wie eine Droge wirken kann, streitet Knop jedoch vehement ab: "Das ist absolute Propaganda", sagt er. Solche Tierversuche könnten die drogenähnliche Wirkung von Zucker nicht belegen. Der Hauptnährstoff des Gehirns sei schließlich Glukose und deswegen verlange der Körper nach Kohlenhydraten oder - je nach Blutzuckerspiegel - nach "schnellem" Zucker. Zucker mache deswegen jedoch noch lange nicht süchtig.

Wie wirkt sich Zuckerverzicht auf den Körper aus? Gräfendorf begleitete dazu ein Experiment mit 65 Menschen aus Schleswig Holstein, die drei Monate lang auf Zucker verzichteten. Verboten waren neben Süßigkeiten, Marmelade und vielen weiteren Süßwaren auch schnell verdauliche Kohlenhydrate, wie sie etwa in Weißbrot vorkommen. Diese werden im Körper sehr schnell in Zucker umgewandelt. Fruchtzucker in Obst und Gemüse sowie Vollkornprodukte durften die Teilnehmer aber zu sich nehmen. Gräfendorf beobachtete erstaunliche gesundheitliche Erfolge. Die Probanden nahmen nicht nur ab, sondern fühlten sich auch energiegeladener, attraktiver, geistig klarer und hatten weniger Heißhunger. "Daran merkt man, dass der Zuckerspiegel durch die freien Zucker extrem hoch ansteigt und dadurch die Heißhungerattacken ausgelöst werden", resümiert Gräfendorf. Abnehmwilligen rät sie übrigens zu drei festen Mahlzeiten. In dem Experiment hatte sich auch gezeigt, dass jene Teilnehmer mit drei Mahlzeiten täglich mehr abgenommen haben als Probanden, die zusätzlich drei Zwischenmahlzeiten gegessen hatten.

"Wir müssen lernen, uns zu begrenzen"

Laut DGE und Weltgesundheitsorganisation sollte der freie Zuckeranteil an der Gesamtenergiezufuhr maximal bei zehn Prozent liegen. Das entspricht einer Menge von 50 Gramm freiem Zucker bei einem Kalorienverbrauch von 2000 Kilokalorien (kcal) am Tag. Gräfendorf rät aber nicht nur zu weniger Zucker, sondern auch zur Reduzierung tierischer Produkte. Ebenso wie die DGE empfiehlt sie Wasser und ungesüßten Tee als Durstlöscher sowie Vollkorn-Getreideprodukte, die den Insulinspiegel nicht so stark ansteigen lassen. Wer bisher sehr viel Zucker in Form von Softdrinks, Süßigkeiten und anderen Süßwaren zu sich genommen hat, sollte laut der Expertin erst einmal die zuckerhaltigen Getränke weglassen. Anschließend empfiehlt sie, die Menge an Süßem langsam reduzieren und durch gesunde Alternativen ersetzen: "Man könnte zum Beispiel einen Teller mit Himbeeren, Weintrauben und Blaubeeren zusammenstellen. Besonders Weintrauben enthalten sehr viel Fruchtzucker", erklärt Gräfendorf. So könne man sich langsam wieder an die natürliche Obstsüße gewöhnen.

Von Zuckeralternativen wie braunem Zucker, Ahornsirup oder Reissirup rät die Ärztin ab. Es solle schließlich nicht die Form des Zuckers verändert, sondern die Gesamtmenge reduziert werden. Deswegen empfiehlt Gräfendorf, auch Süßstoffe wie Aspartam oder Xylit - wenn überhaupt - nur äußerst sparsam einzusetzen. "Je natürlicher man sich ernährt, desto besser. Man kann mit Datteln, Honig oder Banane süßen", sagt sie. Je weniger Zucker, desto besser also. Das gelte sogar für Obst, denn Obstsäfte und Smoothies sind zwar gesund, enthalten aber jede Menge Fruchtzucker: "Es ist besser, eine Orange zu essen, anstatt den Orangensaft zu trinken. Man kann locker 20 Orangen trinken, ohne ein Sättigungsgefühl zu haben", erklärt Gräfendorf. Das führt zu überflüssigen Kalorien, deswegen sollten Gräfendorf zufolge Smoothies und Säften in der 5-Portionen-Regel für Obst und Gemüse mit berücksichtigt werden.

Knops Ansicht nach ist eine Begrenzung des Zuckerkonsums nicht notwendig: "Wenn Sie Lust auf eine Cola haben, dann trinken Sie die", sagt er und plädiert dafür, auf den eigenen Körper zu vertrauen. Bei echtem physiologischen Hunger sollte man seiner Ansicht nach nur das essen, was einem schmeckt und der Körper verträgt. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um Schokolade, Salat oder auch Fertiggerichte handelt. Alles, was nicht schmeckt und was einem nicht bekommt, könne nicht gut für den Körper sein. Dieses Prinzip nennt sich auch "Intuitives Essen", das sowohl an deutschen Universitäten als auch in vielen internationalen wissenschaftlichen Studien untersucht wurde, die überwiegend positive Ergebnisse lieferten. Allerdings räumt Knop ein, dass eine extrem einseitige oder gar ausschließlich zuckerbasierte Ernährung gesundheitlich doch bedenklich sei.

Quelle: ntv.de

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