
Fitness-Tracker sind für viele Freizeitsportler unverzichtbar.
(Foto: imago/Science Photo Library)
Die täglichen Schritte, verbrauchte Kalorien, die Sportsession und der Schlaf - all das lässt sich vermessen und überwachen. Die Riege der Selbstoptimierer hat immer etwas zu verbessern. Was treibt sie an - und kann sowas glücklich machen?
Wie viele Stunden habe ich heute Nacht geschlafen? Wie hoch ist mein Blutdruck? Wie viele Kohlenhydrate habe ich heute zu mir genommen? Wie hoch ist mein PH-Wert im Urin? All diese Fragen können Self-Tracker beantworten. Die Allesmesser sammeln zahlreiche Daten über ihren Körper - und wollen sich selbst dadurch "optimieren", gesünder sein. Sie hüten einen wahren Datenschatz.
"Quantified Self" nennt sich der Ansatz der medizin-affinen Szene. Gegründet wurde die Bewegung 2007 vom US-amerikanischen Journalisten Gary Wolf. Einer seiner deutschen Anhänger ist der 55-jährige Mathias Elgeti. Seit vier Jahren misst der Self-Tracker täglich. Der Auslöser dafür war seine Rheuma-Diagnose. "Ich wollte das Rheuma selbst in den Griff bekommen", sagt er im Gespräch mit n-tv.de. Es hieß, dass er gegen die chronische Krankheit nichts tun könne. "Aber das habe ich nicht geglaubt." Elgeti stellt seine Ernährung um, macht sich schlau, was er "tracken", also messen, könnte und beginnt damit, nach und nach seine Körperwerte festzuhalten.
"Grundlage bei der Quantified Self-Bewegung ist das Werte sammeln und gucken, was man hinterher daraus macht", so der 55-Jährige. "Je mehr Werte man hat, desto größer ist die Chance, Muster zu erkennen." Er verändert seine Gewohnheiten, etwa beim Essen oder Sporttreiben, und beobachtet, wie sich beispielsweise sein PH-Wert im Urin verändert. Alles wird dokumentiert. Bis zu zwei Stunden täglich kann das in Anspruch nehmen. Elgetis Ziel: ein gutes Körperbewusstsein. "Natürlich ist das keine Religion", sagt er, "auch wenn das Messen viel Zeit in Anspruch nimmt und manche es als 'nerdig' empfinden, wenn Menschen des gesamten Tag über ein Protokoll über den eigenen Körper anlegen."
Jeden Tag neue Vergleichswerte
Viele aus der Gemeinschaft der Self-Tracker geben ihre Daten auch anderen preis. Sie teilen die Werte, vergleichen sich online miteinander. Dahinter verbirgt sich eine ganze Industrie: Fitness-Apps fürs Smartphone und Tablet, Fitness-Tacker fürs Handgelenk sowie Bänder, die die Herzfrequenz messen, gehören genauso dazu wie smarte Kleidungsstücke mit integrierten Geräten. Auch die Krankenkassen haben das Potenzial des Trends erkannt. Über Bonusprogramme versuchen sie, an die Gesundheitsdaten der Allesmesser heranzukommen. Doch Datenschützern ist der gläserne Mensch ein Dorn im Auge. Sie warnen vor allem davor, Informationen über den eigenen Körper in sogenannten Self-Tracking-Apps hochzuladen. Denn was nach dem Upload mit den gesammelten Daten geschieht, bleibt oft unerwähnt.
Viele machen es dennoch, auch weil sie einfach Spaß am Vergleichen haben. In Deutschland sind die Self-Tracker durch Florian Schumacher populär vertreten. Beim Thema Datenschutz ist er weniger streng. "Bei der Speicherung von persönlichen Daten besteht viel Unwissenheit und Misstrauen", erklärte er bereits in einem früheren Interview mit "Welt". Die Deutschen stünden neuen Technologien - anders als die Amerikaner - eher zurückhaltend gegenüber. "Bei jüngeren Generationen ist diese Haltung jedoch weniger ausgeprägt und die Offenheit gegenüber dem Potenzial neuer Dienste überwiegt."
Schumacher vernetzt die Tracking-Anhänger im ganzen Land und organisiert Treffen in Großstädten wie München und Berlin. Auch Elgeti war bei solch einem Treffen schon dabei. Allein in Berlin ist die Gruppe rund 600 Personen stark, wie viele es insgesamt in der Haupstadt machen, ist nicht klar. Doch worin liegt der Reiz, ständig seine eigenen Körperfunktionen zu überwachen? Trendforscherin Corinna Mühlhausen sieht Self-Tracking als Spielart eines allgemeineren Phänomens. "Es ist Teil der großen Trendbewegung Selbstoptimierung", sagt sie. "Dabei arbeitet der Einzelne an der Optimierung von Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden." Und das kann bisweilen absurde Ausmaße annehmen.
"Man kann in einen Wahn verfallen"
Self-Tracker können unzählige Daten erheben, vergleichen und mit ihren Ärzten besprechen, doch der eigene Glückslevel ist nicht messbar - würde man zumindest meinen. Tatsächlich existieren aber auch dafür mittlerweile Apps. "Track your happiness" zum Beispiel misst gleich mehrmals am Tag die eigene Zufriedenheit - und verspricht dem Nutzer nicht nur ein genaues Bild seines Lebens, sondern auch Angaben zum Grad des gefühlten Glücks. Das Mittel der Wahl: Ein Fragebogen, der regelmäßig ausgefüllt werden muss. Die scheinbar harmlose Frage "Wo bist du gerade?" kann so Erstaunliches zutage fördern: "Im Durchschnitt", erklärt die App dem Couch-Potato, "bist du am glücklichsten, wenn du nicht zuhause sitzt, sondern angibst, auf einem Konzert zu sein. Am unglücklichsten bist du, wenn du im Auto sitzt."
Elgeti vertiefte sich in den vergangenen Jahren immer mehr in das Thema Self-Tracking und arbeitet mittlerweile als App-Entwickler. Fast täglich setzt er sich selbst um sechs Uhr in der Früh unter Hypnose und misst vorher und nachher seine Fingertemperatur mit einem speziellen Sensor. Hat er sich entspannt, steigt die Temperatur. Dann speichert er alles auf seinem Tablet. Auch die Körperdaten bei Krafttraining und Jogging werden natürlich festgehalten. Elgeti ernährt sich fast ausschließlich vegan. Nur selten weicht er von seinen festen Ritualen ab. "Ich habe letztens ein Stück Kuchen gegessen - nach einem halben Jahr Pause. Ansonsten bin ich weg vom Zucker. Der Körper reagiert auf sowas immer deutlicher."
Dass Self-Tracking auch abstruse Ausmaße haben kann, darüber ist sich der 55-Jährige durchaus bewusst. "Natürlich kann man ganz schnell einem Wahn verfallen. Das ewige Protokollieren ist ein Stressfaktor", sagt er. Schlafmessungen hält er für Quatsch. "Das ist mir zu aufwendig und auch zu elektrisch im Bett."
Quelle: ntv.de