Leben

Heiter bis imposant Was, wenn Michel Majerus noch lebte?

Majerus in seinem Berliner Studio 1996. Er fehlt.

Majerus in seinem Berliner Studio 1996. Er fehlt.

(Foto: Wikipedia/ Albrecht Fuchs)

Frech hat sich Michel Majerus selbst zur Marke gemacht und Erfolg gehabt. Seine Karriere nahm bei einem Flugzeugabsturz ein jähes Ende. 20 Jahre nach seinem Tod ist unübersehbar, wie sehr der Künstler mit dem, was er machte, den Nerv traf - und noch immer trifft.

Groß, größer, am größten. Das schien eine Devise von Michel Majerus zu sein. Er pflanzte eine raumfüllende, bemalte Halfpipe in den Kölner Kunstverein. Er ließ das Publikum im Baseler Kunstmuseum auf einem wackeligen Industriegitterboden an seiner Kunst vorbeiflanieren und aus dem Brandenburger Tor in Berlin machte er kurzerhand den "Sozialpalast". Michel Majerus nutzte in seiner Malerei gerne auffällige Farben, erhob seinen Namen und sich selbst zur Marke. "Er hatte ein großes Selbstbewusstsein und glaubte unbeirrt an die Relevanz dessen, was er machte", sagt Kuratorin Michaela Richter ntv.de in der Ende Dezember eröffneten Majerus-Schau im Neuen Berliner Kunstverein (N.B.K.) in Berlin.

Industrieboden in den Berliner KW Institute for Contemporary Art als Reminiszenz an Majerus in Basel. Noch bis zum 15. Januar.

Industrieboden in den Berliner KW Institute for Contemporary Art als Reminiszenz an Majerus in Basel. Noch bis zum 15. Januar.

(Foto: J. Rohr)

Majerus malte alles, was er sah: trendige Turnschuhe, harmlose Cartoons oder billige Werbung. Er bannte die Nintendo-Figur Super Mario auf seine Leinwände. Fror die Bilderflut des Internets und hipper Videospiele für diesen besonderen Moment ein. Heute wird der Künstler gern als Bildermaschine bezeichnet. Kein Wunder, denn er produzierte wie im Akkord, als ob er ahnte, dass ihm nur wenig Zeit blieb. 1500 Werke von ihm ermöglichen jetzt den visuellen Ausflug in die 90er Jahre.

Der junge Künstler bediente sich hemmungslos bei anderen arrivierten Künstlerkollegen. Dabei sampelte er geschickt und mit Witz deren Kunst. So wie ein Camouflage-Muster von Andy Warhol, das er großformatig zum 100. Jubiläum in der Nähe der Wiener Secession anbringen ließ. Warhol interessierte ihn besonders, er hatte viele Bücher über ihn in der Bibliothek in seinem Berliner Atelier. Das kann besucht werden, denn dort sind heute der "Michel Majerus Estate" und ein toller Ausstellungsraum beheimatet.

Heiter bis imposant

Als Majerus 19-jährig seine Geburtsstadt Esch-sur-Alzette verließ, um in Stuttgart Kunst zu studieren, waren seine Eltern alles andere als begeistert. Sein Vater erzählt im Film "Next Step", dass er lange nicht verstand, was sein Sohn da machte. Seinen Eltern zuliebe studierte Majerus zunächst sogar Lehramt. 1992 zog es ihn nach Berlin, dem neuen Hotspot für Kunst mit bezahlbarem Wohn- und Atelierraum. 1994 hat er seine erste Ausstellung in der jungen Galerie Neugerriemschneider. Gefragt waren kleine Formate - doch was macht Majerus? Er malte eine riesige Referenz an den Cartoon Roger Rabbit an die Wände, hängte ein einziges kleines Bild auf und ließ den frisch renovierten Fliesenboden mit Asphalt übergießen. Das Ganze nannte er "Gemälde".

Mit seiner heiteren, aufregend imposanten, zum Teil infantilen und banal wirkenden Kunst hatte er ab 1996 raketenartig Erfolg. Seine Werke waren plötzlich bei privaten Sammlern begehrt und wurden von Museen angekauft. Mit gerade mal 32 Jahren wurde er zur Venedig-Biennale eingeladen, bemalte die Fassade des italienischen Pavillons weithin sichtbar, sehr groß und sehr bunt. Für seinen bis heute faszinierenden Bilderrausch blieb ihm nur ein knappes Jahrzehnt. Anfang November 2002 kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Er war auf dem Weg von Berlin zu seinen Eltern in Luxemburg.

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Um an diesen traurigen Jahrestag zu erinnern, haben sich fünf Institutionen in Berlin und Hamburg zusammengetan. Darüber hinaus zeigen 13 Museen von Aachen bis Wolfsburg Werke des Künstlers aus ihren Sammlungen bis weit in das Jahr 2023. Das MUDAM in Luxemburg zieht im März mit einer Soloschau nach und in Miami wird der Künstler im ICA erstmals mit einer Solopräsentation in Amerika geehrt. "Vor etwa drei Jahren", berichtet Michaela Richter, "ist die Idee entstanden". Krist Gruijhtuijsen, Direktor des KW Institute for Contemporary Art und die Galerie Neugerriemschneider, die zusammen mit dem "Michel Majerus Estate" seinen Nachlass betreut, wollten sein Werk in Erinnerung rufen. "Sie luden Institutionen wie uns ein, je eine Ausstellung zu konzipieren. Dabei hatten wir völlig freie Hand, es muss aber auch zum Haus passen."

Noch immer aktuelle Bildsprache

Im N.B.K. begrüßen 25 aufeinandergestapelte, miteinander verschraubte Monitore die Besucherinnen und Besucher. Der Name Michel Majerus flimmert farbenfroh in 30-minütiger Dauerschleife über den Bildschirm. Da das Berliner Haus seit seiner Gründung 1971 eine 1800 Werke umfassende Sammlung an Videokunst führt und öffentlich zugänglich macht, war schnell klar, dass hier eine Videowall von Majerus stehen soll. Michaela Richter hat die Schau kuratiert und sich ansonsten auf "Werke und Aspekte, die nicht Malerei sind" konzentriert. Der Schwerpunkt sind die Installationen sowie die Arbeiten im öffentlichen Raum. Mit monumentalen Installationen und begehbarer Malerei verführte Majerus sein Publikum.

Michel Majerus im Studio 2001. Er sog alles um sich herum auf wie ein Schwamm, remixte Künstler wie Jean-Michel Basquiat mit Werbelogos.

Michel Majerus im Studio 2001. Er sog alles um sich herum auf wie ein Schwamm, remixte Künstler wie Jean-Michel Basquiat mit Werbelogos.

(Foto: Edith Majerus)

Damals wie heute kann man sich diesem Sog nicht entziehen. Hinzu kommt das gerade aktuelle Revival der 1990er Jahre. Majerus bildete im Grunde die Konsumkultur ab, als sie gerade anfing, sich zu manifestieren. "Er beobachtete die Entwicklungen genau und ließ sie eindrücklich in seine Kunst einfließen. Er war sehr treffsicher in seiner Essenz und seine Bildsprache ist bis heute aktuell. Mit seiner lauten und bunten Bildsprache reagierte er auf das, was im öffentlichen und privaten Raum, in der Werbewelt und im Internet passierte", sagt Michaela Richter. "Einerseits grenzte er sich in seinen Gemälden und Installationen ab, gleichzeitig umarmte und überspitzte er."

Michel Majerus waberte mit seiner Bilderwelt zwischen high and low. Hat seine Kunst mehr zu erzählen oder nicht? Er malte auf eine riesige weiße Leinwand in die rechte obere Ecke ein leere Comic-Sprechblase – fertig war das Kunstwerk. Schnell hatte er sich mit den damals neuen Möglichkeiten der Bildreproduktion vertraut gemacht. An der Akademie hatte er das Rüstzeug als Maler mitbekommen. In Berlin projizierte er mit einem Overheadprojektor alles, was ihn interessierte, auf die Leinwand.

Sozialpalast am Brandenburger Tor

"Majerus hatte früh einen Videocamcorder, nahm damit Snippets auf, beobachtete die Ästhetik und Bildsprache der Musiksender. Er hat sich überlegt, wie er das für seine Kunst nutzen kann", so Richter. Wie kann er etwas, das ohnehin schon auf Aufmerksamkeit abzielt, noch größer, auffälliger und greifbarer machen? "Für ihn als Maler, war zudem die Fragestellung interessant, wie er dreidimensionale Objekte und Effekte in der Fläche darstellen kann. Er überlegte sich, wie Tiefe und Haptik entstehen." Eine im Auto bei Hitze geschmolzene Kassette inspirierten ihn zu der raumfüllenden Arbeit "melt piece". Das Publikum sieht die auf Aluminium gedruckte, überdimensionale, geknautschte Kassette als Teil einer raumfüllenden Installation.

17 Meter hoch und 39 Meter breit verdeckt der "Sozialpalast" 2002 das Berliner Wahrzeichen.

17 Meter hoch und 39 Meter breit verdeckt der "Sozialpalast" 2002 das Berliner Wahrzeichen.

(Foto: © Michel Majerus Estate, 2022. Courtesy neugerriemschneider, Berlin and Matthew Marks Gallery, Foto: Wolfgang Günzel))

Ein denkmalgeschützter Wohnblock für 2000 Menschen, der in Berlin-Schöneberg steht, animierte ihn zur Transformation des Brandenburger Tors in den Sozialpalast. Wie hat der Luxemburger das geschafft? "Das war erstaunlicherweise wohl nicht so kompliziert", erinnert sich Michaela Richter, "denn das Brandenburger Tor wurde 2002 renoviert. Das damalige Energieversorgungsunternehmen der Stadt hatte ein Gerüst gesponsert, auf dem lange Zeit Werbung zu sehen war." Einen Monat vor der feierlichen Enthüllung im Oktober wurde die Fläche Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung gestellt. Heute wäre das wohl nicht mehr so einfach. Es war sein letztes großes Projekt. Die Frage, was wäre, wenn Michel Majerus noch leben würde, beschäftigt die Kunstwelt bis heute.

Bis ins Jahr 2023 läuft "Majerus Majerus 2022", alle Informationen hier
Die Ausstellung Michel Majerus im N.B.K Berlin läuft bis zum 5. Februar
Ein aktueller Katalog zu dem Projekt erscheint im März.

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 04. Januar 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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