Leben

Lust und schlechtes Gewissen? Pornos können eine Form der Selbsttherapie sein

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Viele haben beim Porno-Schauen ein schlechtes Gewissen.

Viele haben beim Porno-Schauen ein schlechtes Gewissen.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Pornos zählen zu den meistgesuchten Online-Inhalten, 96 Prozent der deutschen Männer und immerhin 79 Prozent der Frauen haben schon mal einen geschaut. Warum fällt es uns mehr als 50 Jahre nach der sexuellen Revolution immer noch so schwer, darüber zu sprechen?

"An einem ganz gewöhnlichen Herbstsonntag im Oktober 2017 schlugen so viele Menschen in Deutschland online den Begriff B-U-K-K-A-K-E nach, dass sich das gesteigerte Interesse in den Google Trends in einem nie wieder erreichten Peak abzeichnete", beginnt Madita Oeming ihr Buch "Porno: Eine unverschämte Analyse".

Seitdem wissen ein paar Millionen Menschen mehr, dass "Bukkake" aus dem Japanischen stammt und "eine mittlerweile zum beliebten Pornogenre avancierte Gruppensexpraxis beschreibt, bei der mehrere Penisse auf eine meist weiblich gelesene Person ejakulieren."

Grund für den Suchmaschinen-Ansturm war damals der Münchner "Tatort": "Hardcore" spielte an einem Pornoset und konfrontierte offenbar Millionen Menschen mit völlig neuem Fachjargon. Obwohl das für die Deutschen so neu auch wieder nicht hätte sein dürfen, immerhin wird nichts häufiger geschaut als Pornos: Rund 100.000 Menschen besuchen jede Minute das Pornoportal Pornhub, deutlich mehr als etwa bei Netflix hängen bleiben. Und Umfragen zufolge haben bis zu 96 Prozent der deutschen Männer und 79 Prozent der Frauen zwischen 18 und 75 Jahren schon einmal einen Porno gesehen.

Dabei finden es nur 38 Prozent der Erwachsenen moralisch vertretbar, Pornos zu schauen: "Da ist das schlechte Gewissen quasi vorprogrammiert", schreibt Oeming. Der Grund für die krasse Diskrepanz: "Es kursieren viele Fehlannahmen und Ängste rund um Pornos. Sie seien 'ästhetisch unsäglich, sexualethisch bedenklich und geschlechterpolitisch unverantwortlich', weil sie frauenfeindlich und gewaltverherrlichend seien, angeblich das Bild von Sex verzerren, das eigene Selbstbewusstsein sowie Beziehungen zerstören, impotent, sogar süchtig machen und die Jugend sexuell verwahrlosen lassen."

Ekel, Erregung, Überforderung

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Im Zweifelsfall werde dann lieber heimlich Google gefragt, statt unangenehm aufzufallen. "Und was dort gefunden wird, ist dann potenziell überfordernd. Entweder, weil uns das, was wir sehen, erregt und wir denken, dass wir uns ekeln sollten, oder weil es uns ekelt, aber wir denken, dass es uns erregen sollte. Vorsichtshalber reden wir wieder mit niemandem darüber, aus Angst, für unsere Zu- oder Abneigung bewertet zu werden."

Kulturwissenschaftlerin Oeming beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren professionell mit Pornos, ihre Abschlussarbeit trug den Titel "Moby's Dick". Die Publizistin ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung sowie der Gesellschaft für Sexualpädagogik, im Fokus ihrer Arbeit steht die Stärkung der digitalen "Pornokompetenz". In ihrem Buch geht sie nicht nur den Ursachen für die gesellschaftliche Porno-Angst auf den Grund und benennt unter anderem Alice Schwarzer, sondern räumt auch mit gängigen Vorurteilen auf.

Etwa, dass Frauen in Sexfilmen vorrangig Zärtlichkeit und Romantik sehen wollten: "Frauen suchen auf Pornhub besonders häufig ROUGH SEX, THREESOME, DOUBLE PENETRATION, GANGBANG, BONDAGE oder HARDCORE - häufiger sogar als Männer." Und warum das, was wir im Porno sehen, nichts mit den Wünschen im echten Leben zu tun haben muss: "Dabei stellt HENTAI (japanisch für "pervers" und eine der Top-Ten-Suchanfragen, Anm. d. Red.) die gängige Annahme in Frage, dass Pornopräferenzen den eigenen sexuellen Präferenzen entsprechen müssten - oder wollen wirklich SO VIELE Menschen Sex mit einem Oktopus haben?"

Wohl eher nicht. "Die Forschung zeigt, 'dass sexuelle Fantasien von Menschen aller Geschlechter ganz oft alltagsfern, normverletzend, gewalthaltig und politisch inkorrekt sind", schreibt Oeming. Uns erregen dabei also oft Dinge, die wir nicht erleben möchten. Mit anderen Worten: Das als anormal Empfundene ist ganz "normal".

Zwischen Scham und Lust

"Unnormal" wird es erst, wenn wir uns dafür schämen und darüber schweigen. Ein Kreislauf, den wir laut der Autorin selbst mit viel Arbeit und Willen zur Selbstreflexion durchbrechen können: "Wie funktionieren meine sexuellen Fantasien? Worauf springe ich an? War das schon immer so? Mit welchen Fantasien fühle ich mich unwohl? Liegt das daran, dass ich sie moralisch verurteile oder weil sie mir Sorgen bereiten? Zeigen sich darin vielleicht unbearbeitete Themen?"

Wer will, kann das Schauen von Pornos also als eine Form von Selbsttherapie verstehen. Oder sich einfach über den Lustgewinn freuen, den die Ungezwungenheit mit sich bringt. "Auch für mich ist das alles ein anhaltender Lernprozess", schreibt Oeming auf die Frage, wie sie es geschafft hätte, die Scham vor dem Sprechen über Pornos hinter sich zu lassen. "Aber Stück für Stück bewerte ich mich selbst immer ein bisschen weniger für meine sexuellen Fantasien, erlaube mir meine Lust immer ein bisschen mehr und werde so Tag für Tag etwas freier. Das wünsche ich uns allen."

Quelle: ntv.de

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