Alte Sprache im modernen Alltag Sprachzirkel erwecken Latein zum Leben
22.07.2022, 18:09 Uhr
Im LWL-Landesmuseum schreiben Besucher der Ausstellung "Latein. Tot oder lebendig?" in Sprechblasen auf eine Tafel, was sie vom Lateinischen halten.
(Foto: Kristina Schellenberg/LWL-Landesmuseum für Klosterkultur/dpa)
Latein - das verbinden viele mit quälender Paukerei. Eine kleine, aber wachsende Community wiederum unterhält sich in ihrer Freizeit munter in der Sprache der alten Römer. Eine antike Sprache und moderne Begriffe wie E-Autos und Selfies - wie soll das gehen?
"Do you speak English?" ist wohl jedem geläufig. Aber manchmal heißt es auch: "Loquerisne Latine?" Also: "Sprichst du Latein?" Viele zucken beim Stichwort Latein zusammen, denken mit Schrecken an zähes Text-Übersetzen - und doch erfreut sich die Konversation in lateinischer Sprache wachsender Beliebtheit. Die Community sei klein, aber nehme zu, heißt es etwa bei einem Zirkel in Berlin, der sich auch regelmäßig zum Latein-Plaudern am Stammtisch trifft. Und Latein-Lehrer Christian Kupfer berichtet von einem lebhaften Treffen in Lichtenau-Dalheim in Nordrhein-Westfalen, wo man sich munter in der antiken Sprache unterhalten habe.
"In der Welt des Lateinsprechens passiert einiges", schildert Kupfer. Sein Konversationskurs "Salvete - seid gegrüßt" war mit 15 Teilnehmern sofort ausgebucht. Die Latein-Fans kamen aus mehreren Bundesländern - von einem Grundschüler bis zu einem betagten Rentner waren alle Altersgruppen vertreten. Aber fehlen einem heute nicht schlicht die Worte, wenn es um E-Autos oder Selfies gehen soll, von denen die Römer vor 2000 Jahren noch nichts ahnen konnten?
Manchmal heißt es kreativ werden
Geht alles, sagt der Lehrer aus München, der fließend Latein spricht. Lockere Gespräche zum Warmlaufen könnten sich so anhören: "Venio Colonia" - Ich komme aus Köln - oder "Habito in Bavaria" - Ich wohne in Bayern. Beim Schwätzchen über Hobbys lässt sich übers Joggen ("currere") oder Schwimmen ("natare") reden. Man kann sich zum Kaffee einladen - zur "potio Arabica" oder zum "coffeum". Konkurrierende Übersetzungsweisen kommen ab und zu vor. Eben bei Wörtern, die es in Antike nicht gab.
Zum "Selfie" sage manch ein Neo-Römer "ipsulum" - gebildet aus "ipse" (selbst), erläutert Kupfer. Das E-Auto ist ein "autocinetum electricum" und das Internet das "Netz aller Völker" - "rete omnium gentium". Manchmal ist also Kreativwerden angesagt. Und hin und wieder muss etwas umwegig formuliert werden. Beispiel: Im alten Rom waren HNO-Praxen noch nicht erfunden. Also umschreibt man: "Ich gehe zu einem Arzt, der sich mit Hals, Nase und Ohren auskennt".
Lateinische Plaudereien am Stammtisch
Bei den Berliner Lateinfreunden heißt es, viele Tausend Menschen übten sich derzeit weltweit im Latein-Sprechen. Die Gruppe "Speaking Latin" freut sich über wachsenden Zuspruch, wie Viktor Becher sagt. "Es gibt einen Trend, dass Latein wieder zu Leben erweckt wird." Es setze sich auch fürs Lateinische die Erkenntnis durch: "Eine Sprache lernt man nur durchs Sprechen, Kommunikation ist der Schlüssel."
"Es läuft von A bis Z auf Latein", berichtet Becher vom Stammtisch. "Wir reden auch über seichte Themen, aber das Lateinsprechen ist kein Selbstzweck, es steht im Dienst des Sprache-Lernens." An den Treffen und Kursangeboten nehmen auch Leute teil, die an Uni oder im Beruf nichts mit Latein zu tun haben. Viele sind Fans klassischer Literatur. An Schulen beschränke sich die Textauswahl leider oft auf Caesars Schlachten. "Das hilft einem im Biergarten nicht weiter und das ist sehr bedauerlich, weil es so schöne Komödien und satirische Texte gibt."
Eine "überschaubare, aber sehr internationale Welt" aktiver Lateinsprecher beobachtet Stefan Freund, Vorsitzender des Altphilologenverbands. Dezentral hätten sich in einigen Städten Zirkel zusammengefunden, neben Berlin auch etwa in Freiburg. Bei den meisten Fans handele es sich nicht um Studierende oder Uni-Lehrkräfte. Anfangs sei die Freude daran "in LiebhaberInnen-Kreisen" aufgeblüht. Danach wuchs die Community. Meistens informieren sich die Latein-Fans via Facebook oder E-Mail (epistula electronica) über Treffen, ergänzt Kupfer. Größer seien regelmäßige Latein-Wochen etwa als Sommerseminare, auch mal mit römischem Kochen oder mit Theater - das sei aus Hessen, Madrid oder Rom bekannt.
"Die Römer mag ich sehr"
Die Sprache Caesars kommt sogar in TV und Streamingdienst vor: So bei Netflix 2020 mit der Serie "Barbaren" und später dem Action-Zehnteiler "Romulus" über Sky Italia und Magenta-TV. In Lichtenau-Dalheim läuft gerade die Ausstellung "Latein. Tot oder lebendig?" mit guten Besucherzahlen.
"Latein lässt sich auch für Smalltalk nutzen, man kann lateinische Lieder singen oder sich auf Latein über Comics unterhalten", erzählt Alexander Brehm, der beim Konversationstag in Lichtenau-Dalheim dabei war. Den 24-jährigen Studenten aus Paderborn reizt auch: "Mit Latein kann man sich viele Fachbegriffe herleiten, die zum Beispiel im Quiz gefragt sind" - und Inschriften an alten Bauwerken verstehen. Sogar Grundschüler Mats Hartwich aus dem hessischen Bad Arolsen spricht schon ein bisschen Latein. Der mit zehn Jahren jüngste Kursteilnehmer sagt: "Latein ist die Sprache der Römer und die Römer mag ich sehr." Sein Ziel: "Ich möchte gut Latein sprechen, weil ich später vielleicht Archäologe werden will."
Quelle: ntv.de, Yuriko Wahl-Immel, dpa