Leben

Liberale Moschee in Berlin Wo Frauen neben Männern beten

In Berlin-Moabit hat sich 2017 eine liberale Moscheegemeinde gebildet.

In Berlin-Moabit hat sich 2017 eine liberale Moscheegemeinde gebildet.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Beide Geschlechter beten gemeinsam, Frauen können vorbeten und predigen. Was in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin normal ist, provoziert viele streng konservative Muslime. Die kleine Gemeinde kämpft für eine andere Art, muslimisch zu sein.

Wer die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee im Berliner Stadtteil Moabit besuchen will, muss erst einmal das Gelände der Johanniskirche durchqueren. Denn in einem Nebengebäude der evangelischen Kirche liegt in der dritten Etage der helle muslimische Gebetsraum. Ein großer, weißer Teppich und ein Dutzend ausgerollte grün-weiß gemusterte Gebetsteppiche liegen auf dem Boden. Bunte Fensterkacheln tauchen den Raum in ein angenehmes Licht. Auf einer kleinen Stufe am Rand liegen viele Kissen, auf denen sich Gäste niederlassen können.

An diesem Mittag kommen nur wenige Männer und Frauen zum gemeinsamen traditionellen Freitagsgebet zusammen. Das liege auch an der Uhrzeit, sagt Imamin Manaar, schließlich müssten viele um 14 Uhr noch arbeiten.

Kirchen- und Moscheegemeinde sind direkte Nachbarn.

Kirchen- und Moscheegemeinde sind direkte Nachbarn.

(Foto: Sonja Gurris)

Heute ruft ein junger Mann die Gläubigen zum Gebet, doch normalerweise macht das in dieser liberalen Moschee eine Frau. Neben einer Handvoll Frauen und Männer sitzt an diesem Tag auch eine Besuchergruppe angehender Erzieher im Gebetsraum. Oft seien es mehr Gäste als Betende, sagt die Predigerin n-tv.de.

Der Name der im Jahr 2017 gegründeten Moschee gibt einen Hinweis auf die Vielfalt des Gebetshauses. Denn neben dem arabischen Philosophen Mohamed Ibn Rushd steht gleichberechtigt der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe.

Die Gemeinde, in der aktuell rund 30 bis 40 Personen aktiv sind, erhält täglich Anfragen von Besuchergruppen. Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee möchte für alle offen sein, die einen Blick hineinwerfen wollen. Ganz egal, ob sie überhaupt gläubig sind, ganz egal, welcher Religion sie angehören.

Zu der Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, positioniert sich die neue Gemeinde klar: "Wir leben einen progressiven und inklusiven Islam. Gleichzeitig bieten wir allen Menschen einen sicheren Ort, die über Reformen im Islam debattieren und nachdenken wollen", schreibt die Gemeinde auf ihrer Website. Die Gruppe nimmt auch homosexuelle Muslime und Transgender auf und schließt gleichgeschlechtliche Ehen. Für viele andere muslimische Gemeinden im Land ist das unvorstellbar.

Verbände bestimmen das Bild

Denn das gängige Bild von Moscheen in Deutschland wird vor allem von den großen muslimischen Verbänden wie DITIB geprägt. Bundesweit vertritt die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V., wofür die Abkürzung DITIB steht, rund 960 Moscheen. Deren Imame werden in der Regel an türkischen Universitäten ausgebildet und vom Staat entsandt. Sie predigen einen konservativen Islam. In diesen Moscheen beten Frauen und Männer getrennt, ein Kopftuch für Frauen ist Pflicht.

Insgesamt gibt es im Raum Berlin mindestens 100 Gebetsräume verschiedener Organisationen. In einer Studie des "Erlanger Zentrums für Islam und Recht" sprechen die Experten von sogenannten "Hinterhofmoscheen", die einen großen Teil dieser Gebetshäuser ausmachen. Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee liegt zwar auch ein wenig versteckt, trotzdem könnte der Gegensatz zu den anderen Moscheen nicht größer sein.

Kritik an der Liberalität kommt nicht nur von Erzkonservativen in Deutschland, sondern auch aus dem Ausland, beispielsweise von den obersten religiösen Autoritäten der Türkei und Ägypten, die die Gemeinde als unislamisch bezeichnen. Manche Wissenschaftler halten die offene Positionierung der Berliner Moschee aber für eine überfällige Entwicklung: "Auf einen Islam, der in der säkularen Gesellschaft verankert und für unterschiedliche Schulen und Lebensentwürfe offen ist, warten viele - Muslime wie Nichtmuslime", sagte die Wissenschaftlerin Gudrun Krämer vom Institut für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin der "Zeit".

Eine der Gründerinnen der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee ist Seyran Ates. Die Anwältin und Frauenrechtlerin, die in der Türkei geboren wurde, hatte die Idee zu der neuen Gemeinde. Ausgangspunkt war ihre Wut, dass Männer und Frauen sonst nicht nebeneinander beten konnten, sagt die 55-Jährige beim "Demokratie-Salon in der Urania". Ates wirbt für einen Islam, der mitten in der Gesellschaft gelebt wird: "Wir Menschen aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlicher Herkunft können alle miteinander leben, wenn wir uns einig sind, dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte ganz oben steht." Dann komme die nationale Verfassung, in der auch die Religionsfreiheit festgeschrieben sei. Sie erhofft sich, dass auch weitere liberale Gemeinden in Europa aufgebaut werden und die Bewegung größer wird. Außerdem will sie bald eine eigene Universität gründen, um die liberale Lehre zu verbreiten.

Seyran Ates hatte die Idee zur Moschee-Gründung.

Seyran Ates hatte die Idee zur Moschee-Gründung.

(Foto: picture alliance/dpa)

Dass die Ibn-Rushd-Gothe-Moschee ein offenes Haus ist, ist nicht nur inhaltlich gemeint: Die Tür steht während des Gebets die ganze Zeit offen, alle paar Minuten kommen noch Gemeindemitglieder herein, ziehen ihre Schuhe aus und knien sich auf einen der kleinen Gebetsteppiche. Manaar, eine Deutsche, die vor vielen Jahren zum Islam konvertierte, predigt über Ethik und Moral. "Im Koran finden wir einige Ideale zu einem guten Verhalten. Recht und Gerechtigkeit: Die Gemeinschaft, nicht ein Einzelner oder eine Gruppe von Machtinhabern, bestimmt den Normenkatalog des Rechts. Hieraus lässt sich Gerechtigkeit und Gleichheit ableiten", trägt sie mit sanfter Stimme vor.

Nach dem Freitagsgebet gehen alle Besucher und Gemeindemitglieder eine Etage hinauf. In einem großen Raum mit einem schweren Holztisch sprechen sie über die tägliche Arbeit der Moschee. Gemeindemitglied Muhammad begrüßt die Jugendlichen freundlich und beantwortet bei Tee und Wasser geduldig alle Fragen: "Warum beten hier Frauen und Männer nebeneinander? Was macht die Gemeinde? Wie ist das Verhältnis zur benachbarten Kirche?" Muhammad erklärt alles ganz genau. Dafür erntet er bei dem einen oder anderen Jugendlichen erstaunte Blicke. Eine der angehenden Erzieherinnen muss es dann einfach aussprechen:  "Ich habe mir das irgendwie ganz anders vorgestellt."

Quelle: ntv.de

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