Unterhaltung

Hätten wir mal gejodelt! Deutschlands nächstes ESC-Debakel

Am Boden: Deutschlands ESC-Hoffnung Levina.

Am Boden: Deutschlands ESC-Hoffnung Levina.

(Foto: AP)

Alle Zuversicht hat nichts genutzt. Mit Levina und "Perfect Life" erlebt Deutschland das dritte ESC-Desaster in Folge. Strahlender Sieger in Kiew ist dagegen Mister Understatement, Salvador Sobral, aus Portugal - eine kleine Sensation.

Die gute Nachricht ist: Deutschland ist nicht Letzter. Darauf stoßen wir mit den Spaniern, die uns die rote Laterne abgenommen haben, bei unserem nächsten Malle-Urlaub doch glatt mal mit einem Eimer Sangría an.

Müssen wir demnächst zurückjodeln? Rumäniens ESC-Teilnehmer Ilinca und Alex Florea.

Müssen wir demnächst zurückjodeln? Rumäniens ESC-Teilnehmer Ilinca und Alex Florea.

(Foto: AP)

Aber es gibt sogar noch weitere gute Nachrichten: Wäre es nach den Zuschauern in der Halle gegangen, dann hätte Levina beim Eurovision Song Contest (ESC) in Kiew vielleicht sogar die von ihr anvisierte Top-Ten-Platzierung erreicht. Tatsächlich gehörte ihre Performance mit "Perfect Life" zu den am meisten umjubelten Auftritten im weiten Rund des "International Exhibition Centres". Und damit nicht genug: Deutschland kann sich wieder einmal ans Revers heften, eine der besten Stimmen in den Wettbewerb entsandt zu haben. Und Levina kann stolz auf sich und ihre Leistung sein. Sie hat sich weder auf noch neben der Bühne in Kiew irgendetwas vorzuwerfen. Im Gegenteil.

Danke, Irland!

Das war es dann aber leider auch mit den guten Nachrichten. Die schlechteste aller schlechten Botschaften lautet dagegen: Deutschland ist 25. und damit Vorletzter. Und das nur dank sage und schreibe drei Zuschauerpunkten und drei Punkten von der irischen Jury. Dafür unterbreiten wir den Iren doch gleich mal den Aufnahmeantrag als 17. Bundesland - mit den Brexit-Engländern wollen sie ja eh am liebsten nichts mehr zu tun haben. Spanien bekam fünf Zuschauerpunkte - und keinen einzigen Jury-Punkt. So eine Herzschlag-Abstimmung kriegt eigentlich nur die Türkei hin, dachten wir. Aber die macht beim ESC ja seit fünf Jahren nicht mehr mit.

Levina strahlte viel Zuversicht aus - vergebens.

Levina strahlte viel Zuversicht aus - vergebens.

(Foto: AP)

Die nächste schlechte Nachricht: Gemessen an der Punktezahl hat Deutschland mit seinen insgesamt sechs Zählern diesmal sogar noch schlechter abgeschnitten als im vergangenen Jahr. Jamie-Lee wurde 2016 in Stockholm zwar Letzte, das jedoch mit stolzen elf Punkten - zehn von den Zuschauern und einen von der Jury im schönen Georgien, für dessen schon baldige EU-Mitgliedschaft wir uns da doch mal besonders stark machen sollten. Wirklich noch härter als Levina und die ebenfalls mit einer herausragenden Stimme gesegnete Jamie-Lee hat es nur Ann Sophie 2015 mit null Punkten getroffen. Da hatte es allerdings das nach wie vor undurchsichtige neue Voting-System, das in Stockholm Premiere feierte, noch nicht gegeben.

Gitti und Erika?

Noch mehr schlechte Nachrichten gefällig? Mit ihrem vorletzten Platz muss sich Levina in Kiew sogar dem von Wundern faselnden Schmalz-Stimmakrobaten aus Kroatien (Platz 13), dem unter Zwangs-Spaß-Neurosen leidenden Duo aus Weißrussland (Platz 17) und den jodelnden Rumänen (Platz 7!) geschlagen geben. Ja, sogar Österreich (Platz 16). Geht's noch?! Sollen wir im kommenden Jahr vielleicht mit Gitti und Erika beim ESC antreten?

Der strahlende Sieger heißt Salvador Sobral.

Der strahlende Sieger heißt Salvador Sobral.

(Foto: REUTERS)

In jedem Fall wäre ein besserer Song ratsam. Denn dass die summa summarum 08/15-Nummer "Perfect Life" im Reigen der teils wirklich positiv außergewöhnlichen ESC-Beiträge in diesem Jahr nicht würde bestehen können, war - aller Stimmgewalt Levinas zum Trotz - absehbar. Der Fehler wurde deshalb schon im Vorentscheid gemacht - zumal es auch mit der damals zur Verfügung stehenden Alternative "Wildfire" kaum größere Erfolgsaussichten gegeben hätte. Für Levina, die vor Optimismus in den vergangenen Wochen gestrotzt hatte, ist das Debakel in Kiew nun vielleicht sogar noch bitterer als für Jamie-Lee und Ann Sophie. Der ESC-Makel wird sie von jetzt an bei ihrem "Plan A", das Musikbusiness aufzumischen, stets begleiten.

The winner takes it all

Ein anderes Lied wussten dagegen schon ABBA zu singen: The winner takes it all. Und der heißt Salvador Sobral und kommt aus Portugal. Nichts war es mit dem als Top-Top-Top-Favoriten gehandelten Italiener Francesco Gabbani, der am Ende mit 334 Punkten gar nur Sechster wurde. Eher noch hätte das erst 17-jährige ESC-Küken Kristian Kostow aus Bulgarien als Zweitplatzierter (615 Punkte) Chancen auf den Sieg gehabt. Doch an dem mit reichlich Nerd-Charme, jeder Menge Understatement und dem minimalistischen Jazz-Walzer "Amar Pelos Doir" aus der Feder seiner Schwester ausgestatteten Sobral kam einfach niemand vorbei. Mit am Ende 758 Punkten deklassierte er die gesamte Konkurrenz regelrecht in Grund und Boden.

So ganz ernst nehmen will Sobral den ESC-Zirkus nicht.

So ganz ernst nehmen will Sobral den ESC-Zirkus nicht.

(Foto: REUTERS)

Von seiner Andersartigkeit hatte der Portugiese schon vor dem großen Finale in Kiew so manche Kostprobe abgegeben. Zum Eröffnungs-Aufmarsch der ESC-Teilnehmer vor einer Woche erschien er dermaßen zu spät, dass er entgegen allen Planungen erst als Allerletzter auf dem roten Teppich flanierte. Bei den ersten Proben ließ er sich von seiner Schwester am Mikrofon vertreten - angeblich um sich wegen Herzproblemen zu schonen. Und wenn er dann später doch mal zu den Proben erschien, erfreute er die versammelte Journalistenschar mit vergnügten Improvisationen seines Songs.

That's Eurovision

Auch unmittelbar nach seinem jetzigen Triumph ließ es sich Sobral nicht nehmen, seine Attitüde, einfach mal alles nicht so ernst zu nehmen, zu zelebrieren. So holte er, nachdem ihm die Eurovisions-Trophäe überreicht worden war, für die erneute Präsentation seines "Amar Pelos Doir" entgegen allen ESC-Gepflogenheiten kurzerhand seine Schwester zum Duett ans Mikro. Zugleich nutzte er seine Siegesansprache, um mit "Fast-Food-Musik", Pyrotechnik und musikalischen Darbietungen, die nicht vom Herzen kämen, abzurechnen.

So richtig packte er dann aber nochmal bei der anschließenden Pressekonferenz den Löschschlauch gegen das ganze ESC-Feuerwerk aus. Da schleuderte Sobral den euphorisierten Fragestellern dann Sätze wie "Heute gewinnst du, morgen erinnert sich niemand mehr an dich", "Ich schreibe nie einen Song, um damit im Radio gespielt zu werden" oder "Ich möchte kein nationaler Held sein" entgegen. Oder er kritisierte offen die ESC-Verantwortlichen, die ihm das Tragen eines "SOS Refugees"-Shirts verboten hätten, weil dies gegen die Statuten einer von Politik und Kommerz freien Veranstaltung verstoße. "Und wenn ich jetzt ein Adidas-Shirt getragen hätte - das hätte nichts mit Kommerz zu tun?", erklärte der Portugiese und sagte, dass er die Leitlinien "seltsam" fände.

Dass er sich gerade damit, dem ESC-Klimbim den Spiegel vorhaltend, erst zum Geheimfavoriten und dann tatsächlich zum Sieger mauserte, macht den Triumph des 27-Jährigen in Kiew zu einer kleinen Sensation. Zugleich könnte die Faszination, die von dem unvorhersehbaren Wettbewerb Jahr für Jahr ausgeht, kaum besser symbolisiert werden. That's Eurovision. Der ESC 2017 hat einen würdigen Gewinner.

Quelle: ntv.de

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