"Wild Girls - Auf High Heels durch Afrika" Eine Begegnung der dritten Art
11.07.2013, 10:50 Uhr
Neugierig betrachten und berühren die Himba-Frauen Kader Loth.
(Foto: RTL)
Wüste statt Dschungel: RTL schickt zwölf Frauen für eine Woche nach Afrika. Sie laufen quer durch die Wildnis und leben bei Ureinwohnern. Schon bei der Ankunft wird klar, dass dies kein Luxusaufenthalt wird. Auf zur Zickensafari!
Um kurz nach neun Uhr gestern Abend ringt in Namibia ein Wüstenelefant um Fassung. Da spaziert das Sommerloch direkt in sein Wohnzimmer. Mit Absätzen - unten wie oben, hier High Heels, da Silikon. RTL hat wieder die Prominenten-Ersatzbank eingewechselt und sie diesmal in den afrikanischen Busch verfrachtet: zwölf Frauen, zwölf Exoten.

Bleibt zu hoffen, dass die deutsch-namibischen Beziehungen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
(Foto: RTL)
Vor fast einhundert Jahren ist man die Deutschen in der ehemaligen Kolonie Namibia losgeworden. Und weil damals noch nicht genug kaputt gemacht wurde, sind sie nun wieder da, geschminkt und gebotoxt. Das treibt einem schon mal Panikknoten in den Rüssel. Im Unterschied zum Elefanten aber gibt der Deutsche sein Wohnzimmer freiwillig her für dieses Schauspiel. Sich vom Bizarren unterwerfen lassen - eine Art Selbstkolonialisierung.
"Wild Girls" ist wie ein Unfall, wegzugucken fällt schwer. Da wären die Lippen von "Big Brother"-Teilnehmerin Ingrid Pavic, Typ Zehn-Personen-Schlauchboot. Da wäre der Harald-Glööckler-Gedenkbart von Travestie-Künstlerin Conchita Wurst. Und da wären Brüste, große Silikon-Brüste, wie die von Bordellbesitzer-Gattin Sophia Wollersheim, Reality-TV-Dauergast Kader Loth oder der als Yoga-Jordan bekannten Jordan Carver.
Das Konzept der Sendung: klassisch. Es müssen Wettbewerbe bestanden und Kontrahenten rausgewählt werden, das Ganze in ausgefallener Kulisse. Willkommen im Wüstencamp! Bei den Zuschauern kommt das an, Deutschland hat Sand im Schuh. Schon kurz nachdem die ersten Bilder über den Äther wabern, ist die Sendung bei Twitter das Top-Thema. Es wird gelästert.
Wer will, wer war noch nicht dabei?
Im Flugzeug nach Afrika heißt es erst einmal: schminken, man weiß ja nie. Miriam Balcerek, angeblich Sängerin, trumpft mit farbigen Haarsträhnen und bunt lackierten Fingernägeln auf, die wie Krallen aussehen. Sie findet sich selbst die "atomfreieste, kreativste Explosion in einer Person". Ebenso selbstüberzeugt ist Sarah Knappig: "Innen drin fühle ich mich wie die deutsche Angelina Jolie." Wie auch Fiona Erdmann und Sara Kulka ist sie eine ehemalige Kandidatin von "Germany's Next Topmodel". Die Auftragslage in der Modelbranche scheint wohl derzeit eher angespannt.
Die älteste Teilnehmerin ist Barbara Engel. "Ich war 29 Jahre mit einem Schauspieler verheiratet", begründet die ehemalige Frau Herzsprung ihre Berechtigung zum Mitmachen. So, genau, das muss man erst einmal schaffen. Auch Jinjin Harder verdankt einem Mann, dass sie im großen Sandkasten spielen darf. Letztes Jahr kämpfte sie um den "Bachelor", nun muss sie sich wieder gegen ein Rudel von Konkurrentinnen durchsetzen.
Bei der Besetzung lautet die Prognose: wolkig mit Aussicht auf Streit. Ganz im Sinne von RTL und den Zuschauern. Die ehemalige "Monrose"-Sängerin Senna Gammour, die zwölfte und letzte der Frauen, weiß schon, wer besonders auffallen wird: "Die größte Zicke, c'est moi."
Indiana Jones und die Rollkoffer
Bei der Ankunft wird klar, dass dies kein Luxusaufenthalt wird. Das Flugzeug landet auf einer Sandpiste, in der flachen Ebene stehen verdorrte Baume und Büsche, die Umgebung ist in Ockerfarben gehalten. Schlangen, Spinnen und Skorpione gibt es hier. Strom, Internet oder Fernsehen gibt es nicht. Auftritt des Moderators: Andreas Jancke braust im Jeep heran und versucht es - wie authentisch - mit dem Kostümstil "Indiana Jones" - brauner Hut, hellbraune Hose und ärmelloses Hemd, brustfrei getragen. Nur die Peitsche hat er wohl im Auto vergessen.

Travestiekünstler Conchita Wurst trägt Bart - der Trend ist den Himba-Frauen bisher unbekannt.
(Foto: RTL)
Ausgeteilt wird trotzdem sofort, die erste Aufgabe steht an. Mit ihrem Gepäck sollen die Damen zum Dorf laufen, wo sie auf ihre eingeborenen Gastgeber treffen. Die ersten vier werden belohnt. Im Vorteil ist, wer vorausschauend gepackt hat. Ein Rollkoffer ist in der Regel nicht wüstentauglich - auch nicht in der Farbe Pink. Doch die einzige Herausforderung dieser Folge gerät mäßig spannend und ist nach einer Minute vorbei. Conchita, Fiona, Jinjin und Sara sind am schnellsten, sie dürfen die erste Nacht in einer Hütte mit komfortableren Matratzen verbringen.
Nun beginnt das Kulturgaffen. Die Himba sind ein Stamm im Norden Namibias, der in kleinen Hütten wohnt und Ziegen züchtet. Nur ein paar Tausend Menschen leben in der Region. Die Haare der Stammesmitglieder sind geflochten und drücken den sozialen Status aus. Kleidung wird kaum getragen, nur der Unterleib ist bedeckt. Und so treffen Wilde auf Wilde. Quietschbunte, hysterische Zicken stehen gelassenen Himbas gegenüber - eine Begegnung der dritten Art. Neugier auf beiden Seiten, mit Mimik und Gestik kommt man sich näher, versucht zu kommunizieren. Besonders interessiert sind die Ureinwohner an der Frau mit Bart, an Conchita.
Für Fiona und Ingrid ist das Aufeinandertreffen ein Grund für den ersten Tränenausbruch. Obwohl die Himba nichts hätten, seien sie so zufrieden, meint das Model. Ingrid ergänzt: "Ich meckere schon rum, wenn ich einen Snickers nicht bekomme." Chikoko, der Chef des Dorfes, erklärt die Regeln, ein Übersetzer hilft bei der Verständigung. Er stellt seine vielen Frauen vor, die Neuankömmlinge reagieren mit langen Gesichtern. Dann sagt er trocken: "Wenn ich esse oder trinke, könnt ihr auch essen und trinken."
"Wir werde alle geboren, um zu sterben"
Als Willkommensgeschenk wird eine Ziege geschlachtet und gehäutet, vor den Augen der zwölf Kandidatinnen. Sarah kann das nicht mit ansehen. "Ich habe ein Hähnchen für Tiere", erklärt sie. Auch alle anderen atmen tief durch, sie haben wohl ebenfalls ein Hähnchen. Sara - ohne h - aber sieht das gelassen: "Wir werde alle geboren, um zu sterben." Das macht dann fünf Euro für das Phrasenschwein. Miriam muss kurz später das Dorf verlassen. Man könnte meinen, wegen der Augenkrebs-Gefahr - ihr neonpinkes Stretch-Kleid müssen die Eingeborenen als Beleidigung empfunden haben. Formaler Grund aber: Irgendetwas stimmt mit dem Pass nicht. Dubios.
Als der Tag sich dem Ende neigt, wird fleißig abgeschminkt und Zähne geputzt. Und, welch Zufall, stehen da mitten in der Natur zwei Wasserkanister, praktischerweise auch noch in Deutsch beschriftet mit den Worten "Waschwasser" und "Trinkwasser". Dramatische Schlusspunkte: Durch eine der Hütten kriecht eine Schlange und Kader kann bei Hitze, Lärm und Geschnarche nicht schlafen.
Viel verdankt die Sendung den süffisanten Kommentaren von William Cohn, jenem Sprecher, der schon in der ZDF-Sendung "Roche und Böhmermann" umjubelt wurde. Ansonsten bekommt man einen Aufguss aus "Dschungelcamp" und "Die strengsten Eltern der Welt". So richtig dramatisch wird es aber ohnehin erst werden, wenn die Besucherinnen den Himba-Frauen Lästereien und Lügen unterstellen und der Konflikt im Dorf eskaliert. Oder wenn der Wüstenelefant sein Wohnzimmer wieder für sich haben möchte.
Quelle: ntv.de