"Polizeiruf" aus München Mörder im Wolfspelz
11.09.2016, 21:44 Uhr
Der Münchner "Polizeiruf" bleibt sich treu: Gewöhnliche Kriminalfälle bearbeitet Hans von Meuffels selten.
(Foto: BR/Claussen+Putz Filmproduktion)
Schwer verliebte Kommissare, schrecklich entstellte Leichen und (Wer)wölfe im bayrischen Oberland: Hans von Meuffels ermittelt in einem Metakrimi. Ob das gut geht, lesen Sie hier.
Manchmal sind Leichen einfach nebensächlich. Zum Beispiel, wenn die Kippen alle sind. Da kann der Kollege noch so grauslige Details über die entstellte Leiche in einem Münchner Hochhaus erzählen, Constanze Herrmann (Barbara Auer) braucht erstmal ein bisschen Nikotin im System. Also sucht sie mit spitzen Fingern im Aschenbecher nach einer noch nicht ganz fertiggerauchten Zigarette und hört Kommissar Hans von Meuffels (Matthias Brandt) mit halbem Ohr dabei zu, wie der vom schrecklich zerfressenen Gesicht des Opfers erzählt.
Dass auch der Kommissar nicht so ganz bei der Sache ist, passt da nur ins Bild: "Wie riecht's in Hamburg?", fragt der schwer verliebte Meuffels. "Gut, hat grade geregnet. Ich kann von hier den Michel sehen, auf der Mönckebergstraße ist wieder mal Stau", antwortet Herrmann und lässt ihren Blick über die Berglandschaft streifen, die sich vor dem Fenster der Entzugsklinik ausbreitet, in der sie sich das Saufen abgewöhnen möchte
Die Anfangsszene des neuen Münchner "Polizeirufs" lässt bereits durchblicken, dass Fans klassischer Ermittlungsarbeit an diesem Sonntag nicht auf ihre Kosten kommen werden. "Wölfe" ist, wie so häufig in den Münchner "Polizeirufen" der Fall, eher eine Art Metakrimi, der Titel Programm: Zwar geht es vordergründig um den mutmaßlich von einem (Wer)wolf verübten Mord an der Leiterin der Entzugsklinik, in der Herrmann untergebracht ist, im Kern aber dekliniert Autor und Regisseur Christian Petzold das lateinische Sprichwort "Homo homini lupus" in all seinen Facetten durch.
Melancholische Jukebox-Klassiker
"Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf" ist zugegebenermaßen keine ganz neue Erkenntnis, aber Petzold erschafft durch seine entrückt erzählten Fallbeispiele eine leicht psychedelische Atmosphäre, die den Zuschauer in einen regelrechten Sog zieht und aus der man nach 90 Minuten wie aus einem fiebrigen Traum erwacht.
Die trinkende Ermittlerin, die einen vermeintlich einsamen Kampf gegen sich selbst führt, der Zoologe mit dem irren Blick, der einen Kampf gegen seine eigene Vergangenheit führt, und die oberbayerische Dorfgesellschaft, die gegen das "mörderische Wolfspack" kämpft: All das birgt genug Potenzial für platte deutsche Fernsehunterhaltung - Petzold allerdings schafft es, die einzelnen Bestandteile geschickt miteinander zu verweben und einen Film zu präsentieren, der die großen Fragen des Lebens quasi en passant behandelt und erst dadurch an Größe gewinnt.
Den perfekten Schliff verpasst "Wölfe" allerdings die musikalische Untermalung: Wie schon in "Kreise" spielen melancholische Jukebox-Klassiker eine entscheidende Rolle im neuen "Polizeiruf". "Anyone who had a heart" von Cilla Black wird zum immer wiederkehrenden Thema des Steifens - der 60er-Jahre-Song brennt sich so tief in die Synapsen ein, dass viele Zuschauer auch noch Tage später etwas von "Wölfe" haben dürften. Und einen "Polizeiruf", der im Gedächtnis hängenbleibt, gibt es ja nun auch. "Chapeau!"
Quelle: ntv.de