"Polizeiruf" aus München Mein Freund, der Mörder
28.06.2015, 21:42 Uhr
Kommissar Hanns von Meuffels entwickelt Gefühle für den Hauptverdächtigen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Eine Münchner Schickimicki-Tante wird in einem Wald im Speckgürtel der bayerischen Hauptstadt um die Ecke gebracht - und so richtig traurig ist nur ihr ödipaler Sohn. Der vermeintliche Mörder ist schnell gefasst. Zu schnell für einen Krimi - oder etwa doch nicht?
Nicht einmal drei Minuten braucht der neue "Polizeiruf 110", um so ziemlich alle Krimiklischees zu erfüllen, die sich in den vergangenen 50 Jahren Fernsehunterhaltung angesammelt haben: Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) und seine neue Kollegin Constanze Herrmann (Barbara Auer) verirren sich mit dem Auto im Wald - genau an der Stelle, an der sich die beiden orientieren wollen, liegt eine Leiche. Beim näheren Begutachten des Tatorts bricht der Kommissarin ein Absatz ihrer hochhackigen Schuhe ab, im selben Moment bricht der schreiende Sohn der Toten aus dem Unterholz. Die Hand wandert zur Fernbedienung, mal schauen, was noch so läuft: wegzappen.
Es wäre ein Fehler. Der Zauber von "Kreise" braucht eine Weile, um sich zu entfalten - wer sich aber darauf einlässt, wird vielfach belohnt, weil Regisseur Christian Petzold kleinste Details geschickt zu einem melancholischen Ganzen verwebt: Es ist großartig, Meuffels dabei zuzuschauen, wie er sich im nächtlichen Polizeirevier einen Kaffee am Automaten zieht, während der Nachtpförtner im Hintergrund Brahms mächtige vierte Sinfonie in ohrenbetäubender Lautstärke abspielt. Oder den Kommissar in einer quälend langen Kameraeinstellung am Tisch eines leeren griechischen Restaurants zu sehen, während die Jukebox Lale Andersens "Ein Schiff wird kommen" als Rausschmeißer dudelt.
Ein seltsam beruhigender Trancezustand
Überhaupt, Musikboxen: Meuffels ist genau wie der Hauptverdächtige Peter Brauer (Justus von Dohnányi) ein großer Fan der vom Aussterben bedrohten Musikdinos. Es ist nicht das einzige Band, das die beiden mittelalten Männer miteinander verbindet. In den langen, toll geschriebenen Verhörszenen versucht der Kommissar fast schon verzweifelt, die Unschuld des Modellbauers zu beweisen, der seine arrogante Ex-Frau auf einer Waldlichtung in der Nähe eines Bahndamms ermordet haben soll - obwohl alle Indizien in die entgegengesetzte Richtung weisen.
Brauer selbst ist aber auch einer, den man gerne haben möchte: ein aufrechter Idealist, der nur das Beste für die Firma will, die seine gewesene Gattin gewinnbringend an ausländische Investoren verhökern wollte. Regisseur Petzold kehrt im neuen "Polizeiruf" die gewohnte Erzählstruktur eines Krimis um und spielt nicht nur mit den Erwartungen und Vorstellungen der Ermittler, sondern vor allem auch mit denen der Zuschauer - und das bis kurz vor dem Ende.
Die traumartige Atmosphäre, die "Kreise" erzeugt, bleibt noch eine ganze Weile kleben, nachdem der Film nach knapp 90 Minuten ebenso unaufgeregt endet, wie er begonnen hat. Auch wenn dem armen Meuffels am Ende eher zum Heulen ist - für alle Unbeteiligten hat dieser tranceartige Zustand etwas seltsam Beruhigendes.
Quelle: ntv.de