Nicht noch eine Arztserie "The Knick" metzgert für den Fortschritt
09.08.2014, 10:59 Uhr
Krankenhausaufenthalte vor rund hundert Jahren waren kein Zuckerschlecken.
(Foto: AP)
In einer Zeit, in der ein Aufenthalt im OP noch an den Gang zur Schlachtbank, Chirurgen an Metzger erinnern, operiert Dr. John Thackery. "The Knicks" spickt brutale Lebensrealität mit Hoffnung. Dank Steven Soderbergh fühlt sich diese Vergangenheit wie Gegenwart an.
Eine heimelige Hölle hat Steven Soderbergh da geschaffen: Manhattan, Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Straßen sind eigentlich zu staubig für die weißen Schühchen, die völlig zu Recht nur kurz als kleidsam für die Herren der Schöpfung galten. New York erlebt den Umbruch zur Moderne. Gleiches gilt für die Medizin. Ob arm oder reich, krank werden sie alle. "In den letzten fünf Jahren wurde mehr über den menschlichen Körper herausgefunden, als in den vorigen 500", stellt der renommierte Arzt Dr. John Thackery (Clive Owen) fest. Doch die Herren Doktoren haben bei Weitem noch nicht ausgelernt.
Gleich zu Beginn der HBO-Show "The Knick", die in der Nacht Premiere feierte, zeigt sich, wie sehr die Medizin noch in den Kinderschuhen steckt. Vor den Augen aufmerksamer Akademiker sollen Thackery und sein Vorgesetzter einen Kaiserschnitt vornehmen. Heute eine Standardprozedur, ist es bei "The Knick" noch alles andere als selbstverständlich, dass das Kind überlebt und die Mutter aus der Narkose wieder aufwacht. Das ruhige, doch wachsame Auge Soderberghs lässt die Kamera über den OP-Tisch wandern. Mal zuckt sie zurück, doch immer wieder hält sie voll drauf, wenn das Skalpell die Bauchdecke der jungen Frau aufschlitzt, die Hände des Arztes darunter gleiten. Für einen normalstarken Magen ist das wirklich gar nichts, keine Frage. Dennoch wahrt Soderbergh bei der Inszenierung des Blutigen eine erstaunliche Klasse.
Brillanter Unsympath spritzt Kokain
Thackery soll komplex erscheinen, doch eventuell ist er genau der Typ Antiheld, der im TV-Format im Prinzip seit Jahren schon gefeiert wird: brillant, doch voll verhängnisvoller Fehler. "Dr. House's" Gregory House hat seine Schmerzmittel, "Masters of Sex’" Bill Masters seinen Vaterkomplex, Thackery hat eben seine Kokainsucht - "The Knick" ist so retro, da wird Koks sogar noch gespritzt. Vielleicht hat das Fernsehen etwas zu viel abbekommen von diesen so verdammt eckigen Männercharakteren, die man ob ihrer Großartigkeit in all ihrer Grausamkeit akzeptieren muss, um dem Plot der Show zu folgen. Sie langweilen als rebellische Einzelgänger mit unkontrollierbaren Launen.
Clive Owen ist als Thackery vor allem eins: treibende Kraft der Szenerie. Er ist Strippenzieher eines medizinischen Dramas vor soziokulturellem Panorama. Während ihm die Patienten bereits in den ersten Minuten "The Knick" unter den Händen wegsterben, erlebt er auch eine Zeit unbegrenzter Möglichkeiten. Sigmund Freud hat gerade seine "Traumdeutung" veröffentlicht, Ferdinand von Zeppelin geht in die Luft. Die ersten Grenzen, die Thackery der Plot aufzeigt, sind die eigenen - die im Kopf. Von der Schirmherrin des Krankenhauses Cornelia Robertson (Juliet Rylance) wird er gebeten, den jungen Arzt Dr. Algernon Edwards (Andre Holland) einzustellen - ein Mann von bestem Renommee, doch von falscher Hautfarbe. Edwards ist schwarz und Thackery kann - oder will - sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Patienten mit dem Neuzugang einverstanden wären.
Nicht schön und nur selten glücklich
Vielleicht wird Edwards "The Knick" spannend machen. Vermutlich werden es auch die tendenziell etwas unorthodoxe Nonne Harriet (Cara Seymour) oder die junge Krankenschwester Lucy Elkins (Eve Hewson) sein. Owen, der hinter Scheitel und Schnauzer nur schwer zu erkennen ist, für alle, die ihn nicht als Schriftsteller in "Hemingway & Gellhorn" gesehen haben, hat trotz Hauptrolle einfach nicht den spannendsten Part bei "The Knick" abbekommen.
Im vergangenen Jahr verabschiedete sich Regisseur Soderbergh vom Film, um die Zukunft in TV-Produktionen zu suchen. Soderbergh schuf sich ein neues Publikum, eines von dem er mehr Verständnis für komplexe Charaktere, Doppeldeutigkeiten und Risiko erwartete. Mit seinem Film "Liberace" erzählte er mutig die Geschichte eines homosexuellen US-Pianisten und landete damit für den Sender HBO den absoluten Fernseh-Coup. Seine erste Serie "The Knick" denkt leider - noch - nicht so weit über übliche Inszenierungsformen hinaus. Soderbergh muss sich das trauen, was er von seinen Zuschauern aufgenommen sehen will.
Bei aller Kritik: Soderbergh ist es gelungen, eine Show über die Vergangenheit zu schaffen, die sich anfühlt, wie die Gegenwart. Er zeichnet seine Geschichte in Dunkelheit, doch trotz visueller wie inhaltlicher Härte trägt sie eine Hoffnung auf Licht - auf bessere Zeiten, bessere Bedingungen. Der Zuschauer muss einen gewissen Willen beweisen, durch Blut und Schmutz durchzusehen, auch mal Sexismus und Rassismus zu tolerieren - der guten Geschichte wegen. Die Welt von "The Knick" ist eben eine, die von weißen Männern dominiert wird. "The Knick" ist nicht "Grey’s Anatomy" - es ist nicht schön und nur gelegentlich glücklich. Wenn von der Show etwas zweifelsohne bleibt, dann das dankbare Gefühl des Zuschauers, in einer Zeit zu leben, in der man nicht mit Kokain betäubt wird und Narkosen in der Regel überlebt.
Ab Samstag, den 9. August, ist "The Knick" in der Originalfassung abrufbar über den Bezahlsender Sky Go, ab Sonntag, den 10. August auch über Sky Anytime.
Quelle: ntv.de