"Su simmer all he hinjekumme" Wie Köln fast seine Flüchtlings-Hymne verlor
05.10.2015, 12:26 Uhr
Erry Stoklosa (vorn) mit den Musikerkollegen Frank Reudenbach, Micky Brühl und Jochen Damm.
(Foto: imago/Eduard Bopp)
Mit ihrem Lied "Stammbaum" besingen die Black Fööss seit Jahren Miteinander und Toleranz in Köln. Doch im Moment habe er Probleme, dieses mit Überzeugung zu singen, sagt einer der Sänger. Die Kölner sind erschüttert. Zu Recht?
Über viele Städte gibt es Lieder. In Köln beschäftigt sich eine eigene Musikindustrie damit, die Stadt zu besingen. Es gibt ungezählte Schlager, Rock-, Pop- und A-cappella-Songs über den Rhein, den Dom, den Karneval und die sprichwörtliche Offenheit der Kölner gegenüber alles und jedem. Eins dieser Lieder passt nicht nur auf die Bierseeligkeit der Kölner, sondern auch auf die aktuelle politische Situation. "Ich wor ne stolze Römer, kom met Caesars Legion, / un ich ben ne Franzus, kom mem Napoleon", singen die Bläck Fööss, die älteste und wahrscheinlich auch beliebteste Band in Köln.
Das Lied handelt davon, dass es etwas Schönes ist, wenn Menschen aus aller Welt ihr Glück in Köln suchen. Der Refrain: "Su simmer all he hinjekumme, / mir sprechen hück all dieselve Sproch. / Mir han dodurch su vill jewonne. / Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing. / Dat es jet, wo mer stolz drop sin."
"Sorry, ich habe Schwierigkeiten"
Doch ausgerechnet Ernst "Erry" Stoklosa, einer der markantesten Köpfe der "Fööss", hat bei diesem Lied nun ein schlechtes Gefühl: "Sorry, ich habe im Moment echt Schwierigkeiten, diesen unseren Song aus dem Jahre 2001 noch mit Kraft und Überzeugung zu singen, weil die Umstände und Verhältnisse sich heute kolossal verändert haben", schrieb er am Donnerstag auf seiner Facebookseite.
Die Aufregung ist groß. Hunderte Kommentare prasselten auf Stoklosa ein, auf seiner eigenen Seite und auf der der Kölner Boulevardzeitung "Express", die über das Posting berichtet hatte. Viele sagten, "Erry" habe genau das ausgedrückt, was sie auch denken. Nur 10 Prozent, so Stoklosa, seien "not very amused gewesen". Doch es reichte dafür, dass er das Gefühl bekam, man wolle ihm den Mund verbieten.
Band ist "überrascht"
"Ich ben us Palermo, braat Spaghettis für üch met. / Un ich wor ne Pimock, hück laach ich met üch met. / Ich ben Grieche, Türke, Jude, Moslem un Buddhist, / mir all, mir sin nur Minsche, vür'm Herjott simmer glich", singt Stoklosa. Daran erinnerten ihn nun manche. Als es ihm zu viel wurde, löschte er den Eintrag, um dann zu erklären, er habe sich wohl missverständlich ausgedrückt: "Ja, mein Vater Stoklosa war auch ein Flüchtling (Pimock), sonst würde ich das doch nicht singen. Das weiß ich doch auch alles. Meine Mutter stammt aus dem Elsass, und ich bin ein Bläck Foß noch Fragen?" Aber wenn er diese Zeilen singe, gingen ihm die Gedanken durch den Kopf: "Ist das, was jetzt täglich passiert, zu schaffen?"
Wenn man die Postings, die noch folgten, wohlwollend zusammenfasst, ist es wohl so: Stoklosa singt sein Lied weiterhin gerne, macht sich aber auch Sorgen, ob die Politik mit der Herausforderung zurechtkommt. Wer wollte ihm das verbieten? Bei einem klammheimlichen Rassisten mitzusingen, muss niemand befürchten.
Stoklosa hat den Wortlaut seines alten Postings mittlerweile wieder online gestellt und der Rest der Band hat reagiert. Der Kommentar sei nicht abgesprochen gewesen, man sei "überrascht", heißt es im "Kölner Stadtanzeiger". Alles Weitere soll erst in zwei Wochen besprochen werden. Die "Fööss" machen jetzt erst einmal Urlaub.
Quelle: ntv.de