Unterhaltung

Wiener "Tatort" mit Erlenmeyerkolben Ziemlich ätzend

Adele Neuhauser umrahmt von Harald Krassnitzer (r) und dem Regisseur der Folge, Robert Dornhelm.

Adele Neuhauser umrahmt von Harald Krassnitzer (r) und dem Regisseur der Folge, Robert Dornhelm.

(Foto: dpa)

Moritz döst, Bibi lächelt, Säuren treten aus, Konzernchefs ab und die Polizei ist schon vor dem Mord am Tatort. Ein Sonntagskrimi wie eine Chemiestunde in der 8. Klasse: Unverständlich, einschläfernd und nur mit Laborantenbrille auf der Nase zu ertragen.

Wie hieß es einst im Chemieunterricht? Zuerst das Wasser, dann die Säure, sonst geschieht das Ungeheure. Viel mehr ist nicht hängengeblieben, außer vielleicht das Knallgas-Experiment, weil es so herrlich böllerte. Und die Tatsache, dass der Lehrer eine Flasche Korn im Labortisch versteckt hielt, gleich neben den Schutzbrillen. Fest steht aber auch für den größten Simpel: Hat ein Rohr ein Leck, dann fließt da wohl was weg. Und passiert das in einem Chemiewerk, in dem mit giftigen Substanzen hantiert wird, dann geht es den Bossen dort aber so was von an den Kragen. Richtig? Im Prinzip ja, nur in Wien gehen die Uhren anders.

Aber der Reihe nach: In einer Chemiefabrik ereignet sich ein Unfall. Der jungen Roswita Mader (Emily Cox), Werksmitarbeiterin, Patenkind des Polizeichefs und zudem schwanger, tröpfelt hochätzende Flusssäure auf die Schulter. Und von nun an, also circa ab der dritten Minute des Films, nimmt die Story mitsamt Personal einen derart kruden Verlauf, als hätte jene Säure nicht nur Roswita, sondern auch noch das Drehbuch verätzt und Regisseur Robert Dornhelm versucht, die wenigen gerade noch lesbaren Stellen zu verfilmen.

Wenn ihr Lächeln gefriert, dann herrscht Eiszeit ...

Wenn ihr Lächeln gefriert, dann herrscht Eiszeit ...

(Foto: imago/Future Image)

Das fängt schon mit der armen Roswita selbst an. Wie gesagt: Unerfahren im Job. Freudig in der Erwartung. Umgeben von Säuren, die ätzen und zersetzen. Genau der richtige Arbeitsplatz also, um mit nachlässig verschlossenem Schutzanzug und ohne den Hauch von Kopf-, Atem- oder Sichtschutz durch eine Halle zu flanieren, in der die Rohre vor sich hintröpfeln wie in einer Traumsequenz aus "Freitag, der 13.". Werkschutz my Ass. Kein Wunder also, dass es sie erwischt. Die hochgradig ätzende Szene gerät zu einer derartigen Over-the-top-im-Overall-Szene mit Nachcolorieren, Zeitlupe und Bauchfleisch – man rechnet jeden Moment damit, Homer Simpson mit Kneifzange und glühendem Brennstab durchs Bild flanieren zu sehen.

Stattdessen ist der Schutzanzug im Nu perdu, wenige Stunden später zuckt Roswita ein letztes Mal unterm Defibrillator. Nulllinie. Exitus. Flugs wird dem Polizeichef da der Dienstweg egal und er schickt Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhaus) in den Dampfkessel des Geschehens, um die Verantwortlichen dingfest zu machen. Dabei scheint das Chemiewerk mit Sicherheitsbestimmungen wie einst in Bophal niemanden auch nur im Geringsten zu interessieren.

Miss Moneypenny auf Psychopharmaka

Stattdessen macht man die minderwertigen Schutzanzüge und damit deren Herstellerkonzern für den Tod verantwortlich. Schutzanzüge werden hier fortan als klassisches Investment-Geschäft vorgeführt, von sagenhaften 30 Prozent unter Normalpreis gehandeltem Material als Quell der unrechtmäßigen Bereicherung ist die Rede - wer in derlei Finanzmodellen denkt, hat einst im Chemieunterricht schon zu dicht am Bunsenbrenner gesessen. Oder muss eben im Tatort mitspielen. Wie die wackere Johanna Mertinz, die ihre Rolle der Sekretärin Schneider als Miss Moneypenny auf Psychopharmaka anlegt. Oder Thomas Nash, dessen Butler mit den Säurehänden wie ein Wiedergänger aus einem alten Edgar-Wallace-Schinken über den Rasen wandelt und der stoische Anian Zoller als eingeknasteter Peter Wendler, dessen Mimik wohl erst mit einem Zeitraffer richtig zur Geltung kommt.

Gegen den Schalter mit der Splitscreen-Aufschrift scheint in der Postproduction dann auch noch jemand gestolpert zu sein. Aus drei verschiedenen Blickwinkeln wird uns da vorgeführt, wie der Wendler seine Pantoffeln wegstellt. Jack Bauer, nimm' dich in Acht. Selbst der wackeren Bibi Fellner gefriert da fast das chronische Lächeln. Zumindest schiebt man den Wiener Ermittlern dann noch ein sinnstiftendes Mordopfer unters Klemmbrett, Tage, nachdem die beiden ihre Arbeit aufgenommen haben - in dieser Reihenfolge ein auch nicht oft gesehener Kniff.

Am Schluss gibt es fast noch eine Pointe, aber retten kann das diesen zwölften Fall aus Wien längst nicht mehr. Auch nach einem Anhaltspunkt für den Titel "Gier" sucht man vergebens, ein schlichtes "Gähn" hätte besser gepasst. Gut, dass man Harald Krassnitzer für die Dreharbeiten nicht extra geweckt hat. 

Quelle: ntv.de

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