Immerwährende Schönheit Die Kunst küsst die Wissenschaft
02.10.2016, 16:00 Uhr
Wenn im Chelsea Garden die Blumen verwelkt sind, leuchten die Zeichnungen weiter.
(Foto: REUTERS)
Blumen verwelken, das liegt in ihrer Natur. Um sie trotzdem für Wissenschaft und Forschung nutzbar zu machen, werden Pflanzen schon seit Jahrhunderten gezeichnet. Botanische Exaktheit trifft dabei beeindruckend auf künstlerische Individualität. Bis heute.
Fast jede größere Stadt, vor allem wenn sie eine Universität beherbergt, hat einen botanischen Garten. Was heute beliebte Ausflugsziele sind, diente lange Zeit ausschließlich der Wissenschaft. Ob Kultivierung von Arznei- oder Nutzpflanzen, Exoten zur taxonomischen Bestimmung, Samentausch zum Erhalt gefährdeter Arten oder neuerdings Material für die Genforschung, botanische Gärten sind Forschungs-, Ausbildungs- und Pflanzenzuchtstätten in einem. So auch der Chelsea Physic Garden, der der älteste seiner Art in London ist und im 18. Jahrhundert als der bedeutendste überhaupt galt.
In so vielen Jahren sammelt sich natürlich eine bemerkenswerte Kollektion an. Da diese aus naheliegenden Gründen meist nur eine begrenzte Zeit im Jahr nutzbar ist, hat sich beinahe zeitgleich zu den botanischen Gärten die Kunst der botanischen Illustration herausgebildet. Die beiden Disziplinen sind so eng verwoben, dass viele Gärten eine eigene Illustrations-Schule angegliedert haben. Dabei ist das Ziel der Arbeit der Illustratoren das Bewahren der Pflanzen in naturgetreuem Zustand. Das heißt botanisch korrekt und repräsentativ für die ganze Art.
Dass diese aufwendige Arbeit trotz zunehmender Digitalisierung noch zeitgenössisch ist, zeigt der Bildband "Die Kunst der botanischen Illustration" von Andrew Brown. Darin veröffentlicht die "Florilegium Society" des Chelsea Physic Garden 78 Bildtafeln mit Illustrationen aus dem umfangreichen Archiv ihrer eigenen Illustrations-Schule, der English Gardening School. Doch statt eine Auswahl historischer Bilder zu zeigen, setzen die Herausgeber wie schon im Vorgängerband auf junge Talente und veröffentlichen Werke der Absolventen aus den letzten 20 Jahren.
Der Zauber des Meerträubel
Entstanden ist ein Rundgang durch das Reich der Gefäßpflanzen – die Moose wurden außen vor gelassen. Und obwohl auch zwei Vertreter der evolutionär sehr alten Farne Einzug erhalten haben, stehen die Samenpflanzen ganz klar im Fokus. Ihre Vielfalt und Schönheit sind es, die dieser Bildband eindrucksvoll illustriert. Ob einzelner Zweig des Ginkgo-Baumes oder gewöhnliche Küchenzwiebel, unscheinbarer Meerträubel oder sich rankende Schmetterlingsblütler, ein verdorrter, samentragender Stängel des Fenchel oder die Farbenpracht der Schwertlilien – jede Art wird in ihrer Einzigartigkeit gewürdigt. Und wie es sich für ein Werk mit wissenschaftlichem Anspruch gehört, sind die Pflanzen außerdem nach Familien geordnet – der Betrachter bekommt gleich noch eine kleine Einführung in die botanische Systematik.
Vielfältig sind auch die Arbeiten selbst; Aquarelle, Tusch- und Graphitzeichnungen und sogar eine Buntstiftarbeit sind zu sehen. Dabei spiegelt jede Tafel den individuellen Stil des Künstlers wider, schlicht und botanisch perfekt oder eher ästhetisch-künstlerisch. Ihnen allen gemein ist, dass jede auf ihre Weise die Essenz der Pflanze festhält. Begleitet werden die Tafeln von liebevollen Texten zu den Pflanzen, den Künstlern und der Geschichte des Gartens. Auf den meisten Seiten jedoch wirkt einfach nur die wunderschöne Vermählung von Kunst und Wissenschaft. Deshalb gilt für dieses Buch dasselbe wie für eine schöne Blume: Erfreuen Sie sich daran!
"Die Kunst der botanischen Illustration" bei Amazon bestellen
Quelle: ntv.de