"Der erste fiese Typ" Diese sexy Gewaltspiele sind für Erwachsene
18.08.2015, 20:04 Uhr
Wie ihr erster Roman geboren wurde? Miranda July sagt: So!
(Foto: Instagram/mirandajuly)
Fast jeder ist ein kleines bisschen seltsam. Miranda July aber interessieren die, die anstößig sind. In "Der erste fiese Typ" schreibt sie von Senioren, die sich nach Teenagern verzehren und Mauerblümchen, die erst Gewalt das Lieben lehrt.
Menschliche Abgründe sind Miranda Julys Spezialgebiet. Sie drehte den Film "The Future" und erzählte damit die Geschichte zweier Mittdreißiger, deren Selbstverwirklichungsdrang bereits eine Katze im Weg steht. Und sie schuf mit "Somebody" eine App, die viel Freude stiften könnte, tatsächlich aber vor allem Raum für Feigheit und Drückebergerei gewährt. Mit ihr lassen sich nämlich Nachrichten von Unbeteiligten überbringen - Schlussmachen oder kündigen leicht gemacht.
So wundert es denn auch nicht, dass sich Julys erster Roman "Der erste fiese Typ" ebenfalls auf die Suche nach den dunklen Kapiteln des Lebens begibt. Ohne zu urteilen, schickt July ihre Charaktere zwischen Sex und Gewalt auf eine fesselnde Reise zu sich selbst.
Julys Heldin Cheryl könnte kaum ungewöhnlicher daherkommen. Sie ist ein unbeholfenes Mauerblümchen Anfang 40, arbeitet in einem Kampfsportstudio, dass vor allem Selbstverteidigungs-Videos vertreibt, und schwärmt von dem 20 Jahre älteren Phillip, der mit einem Teenager schlafen will - doch das weiß Cheryl noch nicht.
David Bowie gegen Zwangshandlungen
Cheryl ist überzeugt davon, seit Anbeginn der Zeit als Phillips Seelenverwandte zu existieren. Und mit noch einer Person ist sie so innig verbunden: Kubleko Bondy nennt sie den kleinen Jungen, dessen richtigen Namen sie lange vergessen hat und dessen Gesicht ihr manchmal aus dem fremder Babys entgegenblickt.

Miranda July thematisiert gern menschliche Abgründe - auch in "Der erste fiese Typ".
(Foto: Instagram/mirandajuly)
Klingt komisch? Keine Frage, Cheryl ist schließlich extrem gestört. Sie trinkt die Farbe Rot gegen einen Kloß im Hals, singt David Bowie gegen Zwangsvorstellungen und benutzt, bewegt oder berührt in ihrer eigenen Wohnung lieber keine Gegenstände, als zu riskieren, sie später wieder an ihren rechten Platz räumen zu müssen.
July beschreibt Cheryl als graue Maus. Das heißt aber nicht, dass sie deswegen keine sexuellen Bedürfnisse hat. Sie masturbiert zu Phillips tränenreichen Worten und prügelt sich mit der jungen Tochter ihrer Chefs, Clee, bis zur Erregung - obwohl das junge Ding im Jogging-Anzug sie mit Käsefüßen und Fastfood-Faible eigentlich zutiefst anekelt.
Bis an die Schmerzgrenze
Schrullig bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus, so präsentiert July ihre Protagonistin. Sie hegt definitiv keine besonderen Sympathien für Cheryl und auch dem Leser wird es so kaum möglich, sich mit ihr zu identifizieren. Jedoch schreibt July mit einer Empathie, die im großen Kontext zwar weniger auf Zuneigung zur gestörten Einzelperson, dafür aber auf eine tiefe Liebe zur Vielfalt schließen lässt.
Nicht nur Cheryl, sondern auch die anderen Charaktere in "Der erste fiese Typ" sind nicht gerade liebenswert, wenngleich nicht abstoßend genug, um als böse zu gelten. Sie müssen weder als Lichtgestalten noch als Schuldige herhalten, weil hinter ihrer Geschichte keine Moral steht.
July drängt ihre Leser nicht zur Meinung. Sie drängt sie lediglich dazu, Denkmuster zu hinterfragen und nicht sofort in naheliegende Schubladen zu sortieren, nur weil sich das gerade anbietet. "Der erste fiese Typ" ist neu und anders, weil der Roman ohne Stereotypen auskommt und Charaktere in einer Abgründigkeit zelebriert, die nicht zu allererst skandalös, sondern einfach bittersüß ehrlich wirkt. Nach über 300 Seiten darf man urteilen, sollte vielleicht aber mit einer Verurteilung abwarten.
Quelle: ntv.de