"Frühjahrsklassiker des Radsports" Dreck fressen für die Unsterblichkeit
19.04.2015, 07:19 Uhr
Nicht selten wird Paris-Roubaix zu einer Staubschlacht.
(Foto: REUTERS)
Der Traum der sportlichen Unsterblichkeit wartet auf die Radsportprofis jedes Jahr im März und April bei den Frühjahrsklassikern. Dann heißt es Kampf, Mann gegen Mann gegen Technik gegen Natur. Ehrlicher und traditionsbewusster geht es nicht.
"Das wird ein Spaziergang für John", sagt Jens Voigt am Mikrofon von Eurosport, als sein deutscher Landsmann John Degenkolb ins Velodrom von Roubaix einfährt. Hinter ihm liegen mehr als 250 zermürbende Kilometer durch Frankreichs "Hölle des Nordens". Es laufen die letzten Sekunden des Radsportrennens Paris-Roubaix, der "Königin der Frühjahrsklassiker".
Degenkolb ist Teil einer Gruppe, sein Sieg steht noch nicht fest. Kurz darauf rast er über den Zielstrich, seine Arme gen Himmel gereckt, dann zu einer Geste der Überraschung und unbändigen Freude am Kopf verschränkt. Degenkolb hat soeben Radsport-Geschichte geschrieben: Er gewinnt als erst zweiter Deutscher das härteste Eintagesrennen im Radsportzirkus. 1896, bei der ersten Austragung hatte es den bis dato einzigen deutschen Sieg gegeben - durch den Münchener Josef Fischer.
Was Paris-Roubaix so einzigartig unter den Frühjahrsklassikern macht, sind seine Pavés, die Kopfsteinpflasterstrecken. In diesem Jahr mussten sich die Profis auf ihren Spezialrädern über 52,7 Kilometer dieser knüppelharten Passagen quälen. Paris-Roubaix gewinnt man nicht glücklich, man hat es sich verdient, wie es in Radsportkreisen deshalb heißt.
Der Traum von der Unsterblichkeit

John Degenkolb mit dem obligatorischen Pflasterstein für den Sieger von Paris-Roubaix
(Foto: picture alliance / dpa)
Und Degenkolb hat es sich verdient. Im Vorjahr war er bereits Zweiter bei dem Rennen, von dem er immer geträumt hat, es eines Tages zu gewinnen. Das Gleiche galt übrigens für Mailand-San Remo. Auch dort siegte Degenkolb in diesem Jahr. Damit zählt er zu einer knappen Handvoll Profis, die dieses Kunststück in der gleichen Saison geschafft haben. Das zeigt wiederum das Spezielle, das Einzigartige an den Frühjahrsklassikern, die jedes Jahr im März und April im Terminkalender der Pedaleure stehen.
Du kannst Olympiasieger oder Weltmeister sein. Du kannst beim Giro oder der Vuelta triumphieren. Du kannst Sprint- oder Bergkönig bei einer der drei großen Rundfahrten werden. Ja, du kannst selbst mehrmals die Tour de France gewinnen - und dennoch nie bei einem Frühjahrsklassiker den Zielstrich als Erster überfahren. Aber nur mit einem Sieg bei der Flandern-Rundfahrt, bei Paris-Roubaix, dem Fleche Wallone, dem Amstel Gold Race oder Lüttich-Bastogne-Lüttich machst du dich als Radsportprofi wirklich unsterblich.
Echter Sport und Emotionen pur
Zwar sind auch die Frühjahrsklassiker in den vergangenen Jahren immer professioneller geworden - so werden wie beispielsweise bei Paris-Roubaix Spezialräder eingesetzt, die zwar im normalen Fachhandel zu haben sind, für den Durchschnittsradler aber unbezahlbar bleiben -, ihren Reiz haben sie dennoch nie eingebüßt. Ob Schnee, Sturm, Hagel oder staubtrockene Hitze: Alles kann über die Fahrer während der kräftezehrenden Distanzen hereinbrechen. Die Gesichter sind nach den Rennen gezeichnet.
Das kommt bei den Zuschauern an. Sie säumen jedes Jahr zu Hunderttausenden die Strecken, die dann auch schon einmal Landwirtschaftswege sein können. Wer hier am Straßen- oder Wegesrand steht, kann pure unverfälschte Radsporttradition atmen, sie in sich aufsaugen. Wer dieses auch während der restlichen Saison machen will, greift einfach zu "Die Frühjahrsklassiker des Radsports".
Das Buch hat sie alle. Es fängt in wunderbaren Bildern die Atmosphäre der einzelnen Rennen ein. Es zeigt die Faszination dieser Kämpfe Mann gegen Mann gegen Technik gegen Natur: Der junge Klassiker mit Anspruch heißt Amstel Gold Race. Kreuz und quer durch die Ardennen führt der Fleche Wallone. Unbarmherzig, aber ehrlich geht es bei der Flandern-Rundfahrt zu. Das Eintagesrennen Lüttich-Bastogne-Lüttich fasziniert bereits seit mehr als 120 Jahren. Und Paris-Roubaix, die "Königin der Klassiker", ist wohl der letzte Wahnsinn des Radsports. Ein Wahnsinn, den der Leser durch die Texte und Bilder hautnah miterlebt, fast so, als wäre er live dabei.
Und so wird es nicht wenige geben, die nach der Lektüre des Buches ihr Rennrad entstauben, sich das eigentlich viel zu enge Trikot überstreifen und zu einer Ausfahrt aufbrechen wollen. Egal, ob es regnet, stürmt oder die Sonne brennt. Das Ziel war nie klarer vor Augen: der persönliche Triumph über Natur, Technik und den eigenen Schweinehund - und ganz am Ende vielleicht auch einen Pflasterstein in Händen halten wie John Degenkolb. Träumen ist schließlich erlaubt. Bis zur Unsterblichkeit dauert es noch.
Quelle: ntv.de