"Nicht ohne meine Tochter" Für immer die Gefangene ihres Vaters
06.04.2015, 08:00 Uhr
Mahmoody berichtet auch von dem allgegenwärtigen Antiamerikanismus im Iran.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
"Nicht ohne meine Tochter", diesem Bestseller konnte man in den 1980er Jahren kaum entkommen. Zunächst als Buch und später als Film erzählt er von der Flucht einer Mutter mit ihrer Tochter aus dem Iran der Ayatollahs. Nun hat das kleine Mädchen von damals aufgeschrieben, wie es weiterging.
Als Fünfjährige reist Mahtob Mahmoody gemeinsam mit ihrer amerikanischen Mutter und ihrem iranischen Vater zu einem Verwandtenbesuch in den Iran. Es sind die 1980er Jahre. Aus dem für zwei Wochen geplanten Besuch wird eine monatelange Gefangenschaft. Schließlich können Mutter und Tochter unter dramatischen Umständen aus dem Iran fliehen. Unter dem Titel "Nicht ohne meine Tochter" hat Betty Mahmoody ihre Erlebnisse aufgeschrieben, Millionen Menschen kennen diese Geschichte.
Beinahe 30 Jahre später schildert Mahtob Mahmoody ihr Leben, in dem sich ein privates Drama verhängnisvoll mit den Läufen der Zeitgeschichte verbunden hat. "Endlich frei" nennt die inzwischen 38-Jährige ihr Buch. Doch schon der Untertitel lässt ahnen, wie lange die filmreifen Ereignisse ihrer frühen Kindheit nachwirken: "Ich bin die Tochter aus ‚Nicht ohne meine Tochter‘. Hier ist die ganze Geschichte".
Wer eine weitere Schilderung der Entführung in den Iran und der abenteuerlichen Flucht über die Berge erwartet, wird von Mahmoody enttäuscht. "Ich weiß zwar, dass ich diese schmerzhafte Erfahrung in der Vergangenheit gemacht haben muss, kann jedoch kein klares Bild mehr dazu heraufbeschwören." Wie in einer Dia-Show hat Mahmoody lediglich eine Abfolge von Bildern aus dieser Zeit gespeichert. So schlaglichtartig, wie diese Bilder in ihrem Kopf auftauchen, schildert sie sie auch dem Leser, "verwittert und fern, als würden sie zu einem anderen Kind gehören, das mir ähnlich sieht". Manch eine Szene aus dieser Dia-Show deckt sich mit dem, was Betty Mahmoody beschrieben hat. Doch ihre Tochter hat deren Buch nie gelesen, sie wollte sich ihre eigene Erinnerung bewahren.
Angst und Alpträume
In Mahmoodys Erzählung nehmen ihre ersten sechs Lebensjahre nur einen sehr kleinen Teil ein. Denn was in "Nicht ohne meine Tochter" als Happy End gelten durfte, war im echten Leben der Familie nur der Anfang eines sehr langen Weges. Mahmoody schildert zwar das Glück, wieder mit ihrer amerikanischen Familie vereint zu sein. Sie beschreibt aber auch die dramatischen psychischen Folgen, die die Ereignisse im Iran hatten. Zu viel hatte Mahtob, kaum sechsjährig, innerhalb weniger Monate erlebt: den Verlust des eigenen Zuhauses und aller damit verbundenen Sicherheiten, ein fremdes Land mit völlig anderen Regeln, der geliebte Vater entpuppt sich als gewalttätiger und gefährlicher Mann, Hunger und Krieg.
Jahrelang hat Mahmoody Alpträume, in denen ein Fuchs sie verfolgt, während sie durch nächtliche Wälder hetzt, immer auf der Flucht. Sie nässt ein. Am liebsten schläft sie bei der Mutter, obwohl auch die nächtelang die Ereignisse im Iran immer wieder neu durchleidet. Nur langsam kommt sie wieder in ihrem amerikanischen Kinderalltag an. Sie geht zur Schule, aber unter falschem Namen, aus Mahtob wird Mandy. Immer wieder zieht die Familie um, eine Alarmanlage schützt das Haus, eine das Auto. Der ferne iranische Vater bleibt eine Dauerbedrohung. Würde er seine Tochter erneut entführen lassen, um aus ihr eine gute Muslimin zu machen?
Glauben und Verstehen
Vieles von dem, was Mahtob Mahmoody beschreibt, liest sich wie eine unmittelbare Reaktion auf das Erlebte. Sie lässt sich taufen. Wie ein roter Faden zieht sich ihr beinahe schon fundamentalistischer christlicher Glaube durch das Buch. Jede neue Lebenswendung erscheint als göttliche Fügung. Der Glaube wird so etwas wie Mahtob Mahmoodys Schutzschild. Sie studiert Psychologie, um zu ergründen, warum Menschen bestimmte Dinge tun und wie man einen Schicksalsschlag meistern kann.
Denn auch wenn die Ereignisse im Iran inzwischen jahrelang zurückliegen, lässt das Gefühl der Bedrohung kaum nach. Immer wieder beschreibt Mahmoody seltsame Vorgänge in ihren Wohnungen, verschlossene Türen, die vorher offen gestanden hatten, hochgeklappte Toilettendeckel, obwohl sie den Deckel heruntergeklappt hatte, ein eingeschalteter Fernseher. Mehr als einmal gibt Mahmoody Job und Wohnung überstürzt auf, weil sie sich an einem Ort nicht mehr sicher fühlt.
Ein selbstbestimmtes Leben als Erwachsene ist auf diese Weise kaum zu führen. Erst mit dem Tod des Vaters im Jahr 2009 beruhigt sich die Situation etwas. In den Jahren zuvor hatte ein finnischer Filmemacher immer wieder versucht, sie zu einer Begegnung mit dem Vater zu überreden und damit neue Ängste ausgelöst. Das zwiespältige Verhältnis zu ihrem Vater bleibt Mahmoody dennoch. Durch die Entführung in den Iran und die Gewalt gegenüber seiner Familie hat er das Privileg verwirkt, mit ihr in Kontakt zu sein, so ist die Haltung der Tochter.
Aber sie will den Vater auch nicht hassen, will nicht verbittert und zynisch werden. Sie spürt die starke Verbindung zu ihren iranischen Wurzeln, sie liebt das persische Essen, das ihre Mutter noch immer kocht. Sie schaut Fotos an, nimmt Kontakt zu amerikanisch-iranischen Freunden des Vaters auf. Ihr hilft, dass die Mutter in all den Jahren nicht schlecht über den Vater gesprochen hat. Mühsam erobert sich Mahtob Mahmoody die ersten glücklichen Jahre ihrer Kindheit zurück, als sie noch eine Papa-Tochter war. Und dokumentiert am Ende doch einen E-Mail-Briefwechsel, in dem der Vater seine Sicht beschreibt. Demnach hätten Mutter und Tochter im Iran ein luxuriöses und freies Leben führen können, hätte Betty Mahmoody nicht die Familie zerstört. Ein verstörendes Zeugnis eines zutiefst gekränkten Narzissten, ohne jedes Mitgefühl für seine Tochter.
Wer "Nicht ohne mein Tochter" verschlungen hat, wird auch dieses Buch mit Interesse lesen. Mahmoody schreibt, das Buch habe sie von der Erinnerung an den Schmerz und den Qualen der Vergangenheit befreit. "Es ist vorbei. Ich werde nicht mehr verfolgt. Ich bin frei." Doch der Leser ahnt, dass Mahtob Mahmoody zeit ihres Lebens die Tochter aus "Nicht ohne meine Tochter" bleiben wird.
Quelle: ntv.de