Das Gewissen des Oligarchen Schuld und Sühne im Kaukasus
10.10.2018, 09:32 UhrEin ungesühntes Verbrechen und ein russischer Oligarch, der seine Mittäter zur finalen Buße lädt. Der Plot von Nino Haratischwilis neuem Buch "Die Katze und der General" klingt vielversprechend. Doch es gibt ein Aber.
Mit ihrem Roman "Das achte Leben (Für Brilka)" sorgte Nino Haratischwili vor vier Jahren für mächtig Furore. Auf fast 1300 Seiten begleitet sie darin mehrere Generationen einer georgischen Familie, verknüpft deren Schicksal eng mit der sowjetischen Geschichte und spannt dabei den Bogen über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg. Nun war die Vorfreude groß: Endlich erscheint mit "Die Katze und der General" das neue Werk der 35-Jährigen.
Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse, die in diesem Jahr Georgien als Gastland begrüßt, liegt der Roman der in Tiflis geborenen und in Hamburg lebenden Haratischwili nun in den Buchhandlungen. Viel Beachtung fand er auch deshalb, weil die Jury des Deutschen Buchpreises ihn unter die sechs Finalisten auf die Shortlist wählte. "Großes Kino", so die Begründung.
In den Mittelpunkt der Handlung des mit fast 800 Seiten erneut sehr stattlichen Wälzers stellt Haratischwili ein Gewaltverbrechen und spürt der Frage nach, wie die Täter danach weiterleben, wie sie mit ihrer Schuld umgehen. Das Verbrechen ereignet sich Mitte der 1990-Jahre in den kaukasischen Bergen. Dort, wo sich eine russische Einheit eigentlich eine Auszeit vom Tschetschenienkrieg nehmen soll, kommt es zu einem Gewaltexzess: Das 17-jährige Bauernmädchen Nura wird von Soldaten vergewaltigt und ermordet.
Vergangenheit ruht nicht
Auch der junge Alexander Orlow ist an der Schändung beteiligt. Sein Wunsch, dass er und seine drei Mittäter bestraft werden, erfüllt sich nicht. Der Prozess scheitert am Unwillen des Militärgerichts, Armeeangehörige hinter Gitter zu bringen. Die Geschehnisse verändern Orlow radikal: Aus dem zaudernden Literaturliebhaber wird der "General". Gnadenlos und mit dubiosen Männern an seiner Seite häuft er durch Immobiliengeschäfte ein Vermögen an und wird einer der einflussreichsten Oligarchen Russlands.
Die Vergangenheit aber lässt ihn nicht los. 2016, inzwischen lebt er in Berlin, sieht er auf einem Plakat eine georgische Schauspielerin, die dem getöteten Mädchen zum Verwechseln ähnlich sieht. Da schmiedet er einen Plan. "Die Katze", so der Spitzname der Frau, soll ihm als Köder dienen, um seine Mittäter in die tschetschenischen Berge zu locken. Dort soll das Verbrechen nach seinen Vorstellungen endgültig gesühnt werden.
Haratischwili beackert in ihrem Buch viele Themenfelder. Sie beschreibt die Grausamkeiten des Krieges, den Verfall der Sowjetunion und die Auswirkungen der Perestroika, die das Leben der Menschen durcheinanderschüttelt und sowohl Verlierer als auch Gewinner produziert. Die Befindlichkeiten einer zerrissenen Auswanderergeneration schildert sie am Beispiel der "Katze", die als Kind mit Mutter und Schwester vor dem unberechenbaren Kriegsheimkehrer-Vater nach Deutschland floh.
Üppig in jeder Hinsicht
Der Roman, der auf zwei Zeitebenen im Kaukasus, in Berlin, Moskau und Marrakesch spielt, beleuchtet die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Die selbstbewusste Nura, die davon träumt, den einengenden Sitten ihres Bergdorfes zu entkommen, lernt der Leser im Prolog kennen. Neben dem moralisch mehrschneidigen "General" und der "Katze", die sich immer stärker in ihre Rolle als Nura hineinsteigert, ergänzt eine weitere Figur das Tableau der Hauptpersonen: ein deutscher Journalist, genannt "Krähe", den sowohl sein Beruf als auch eine unlauter beginnende und tragisch endende Beziehung zur Tochter des Generals mit der Oligarchenfamilie verbindet.
Liebe, Tod, Verdrängung, Schuld, Sühne - Haratischwili scheut den großen Auftritt und die ebenso großen Emotionen wahrlich nicht. Sie hat einen Plot erdacht, dessen Grundidee vielversprechend ist. Als Leser muss man sich ein wenig in Geduld üben: Die überbordende Handlung vollzieht eine Vielzahl von Volten, jede noch so kleine Nebenfigur wird mit einer kompletten Biografie ausgestattet. Und so dauert es seine Zeit, bis aus Anspielungen konkrete Ereignisse werden und sich die nicht in allen Belangen plausible Geschichte abzuzeichnen beginnt.
Der inhaltlichen Üppigkeit steht die Sprache in nichts nach. Auch hier geht die Autorin in die Vollen. Und übertritt dabei das eine oder andere Mal die Grenze zum Kitsch. Haratischwilis Stil lebt von Bildern und Vergleichen, die sich allerdings in abgewandelter Form teils mehrmals wiederholen.
Diesen sehr opulenten Erzähl- und Sprachstil muss man mögen. Ansonsten war in diesem Fall die Vorfreude auf den Roman ein bisschen größer, als es das Vergnügen bei der Lektüre ist.
Quelle: ntv.de