Filmheld "Bambi" wird 70 Jahre Hier bin ich Tier, hier darf ich's sein
13.08.2012, 09:36 Uhr
Bambi erkundet seine Welt - auf noch wackeligen Beinen, ...
(Foto: Disney)
Vor 70 Jahren setzt ein großäugiges Tier an, die Kinoleinwände auf der ganzen Welt zu erobern. "Bambi" rührt zu Tränen und wird eines der erfolgreichsten Werke von Walt Disney. Trotz digitaler Konkurrenz kann das Werk zeichnerisch auch heute noch überzeugen. Es hat nur ein Problem: sein gänzlich veraltetes Familienbild.
"Liebe ist mehr als nur ein Wort, Liebe kennt keine Grenzen", säuselt ein Chor. Die Kamera fährt vorbei an mächtigen Bäumen und raschelnden Sträuchern, bunten Blumen und einem glitzernden Wasserfall. Hier bin ich Tier, hier darf ich's sein, denkt man bei sich. Doch die Tiere sind in Aufregung, sie versammeln sich, um den jüngsten Bewohner des Waldes zu begrüßen: Bambi, den Hirsch. Moment! Bambi, der Hirsch? Dieses putzige, vierbeinige Etwas, dass da brav an der Seite seiner Mutter liegt, ist ein Hirsch? Ja, genau!
Der Bambi-Irrtum ist legendär, denn der wackere Filmheld ist kein Reh. Auch wenn die Synchronisation etwas anderes behauptet. Auch wenn das Wort Bambi fast schon synonym für ein Rehkitz verwendet wird. Filmheld Bambi ist und bleibt ein Weißwedelhirsch. Denn in Nordamerika, wo der Disney-Film spielt, gibt es keine Rehe, zumindest nicht in freier Wildbahn. Als reales Vorbild dienten Hirsche, die für die Zeit der Produktion auf dem Studiogelände ein Zuhause gefunden hatten. Wobei angemerkt werden muss, dass Bambi in der Buchvorlage des Österreichers Felix Salten, die in Europa spielt, dann doch ein Reh ist.
Das Trauma einer Kindheit
Aber vielleicht ist diese Frage auch lächerlich, denn im Wald sind ohnehin alle Tiere Freunde, egal ob Reh oder Hirsch. Und Bambi gehört schnell dazu. Er lernt Klopfer kennen, den vorlauten Hasen, und Blume, das verschlafene Stinktier. Und er begegnet erstmals der jungen Hirschkuh Feline - man ahnt schon, dass da was laufen könnte. Vorher zeigt ihm seine Mutter allerdings noch liebevoll die Geheimnisse des Waldes und die Gefahren der Wiese, wo mitunter die Jäger lauern. Der Vater, der große Hirsch, hat dagegen mit der Erziehung nichts am Hut. Er hat Wichtigeres zu tun: Einer muss schließlich über allen anderen Tieren thronen. "Alle haben Respekt vor ihm, alle ordnen sich ihm unter", sagt Bambis Mutter.

Akribisch bereiten sich die Zeichner auf den Film vor: Walt Disney macht Skizzen von jungen, männlichen und weiblichen Hirschen.
(Foto: AP)
Wenn man "Bambi" zum ersten Mal sieht, sind die Erwartungen natürlich groß: So viel hat man schon gehört von seinen Abenteuern, von seinen Freunden im Wald, vor allem aber vom brutalen Tod der Mutter, der unzählige Kinder (und Erwachsene) tief prägte und zu Tränen rührte und etwa Paul McCartney zum Tierschützer werden ließ. Bis heute diskutieren Experten, ob man den Tod der Mutter, der freilich nicht direkt gezeigt wird, Kindern zumuten kann. Bei so viel Kontroversen ist der 70. Jahrestag der Uraufführung von "Bambi" eine gute Gelegenheit, den Disney-Klassiker neu oder wieder zu entdecken.
Seine Uraufführung erlebte der Film im August 1942. Mitten im Krieg war der Streifen eine der wenigen zivilen Produktionen des Studios. Zwar blieb der durchschlagende Erfolg in den Kriegsjahren zunächst aus, doch spätestens seit der Wiederaufführung 1947 entwickelte sich "Bambi" zum Kassenmagneten. In der Reihe von Disneys "Meisterwerk"-Serie braucht er sich dabei keinesfalls verstecken, auch wenn diese solch Klassiker wie "Alice im Wunderland", "Susi und Strolch", "101 Dalmatiner", "Das Dschungelbuch", "Robin Hood" und "König der Löwen" beinhaltet.
Sechs Jahre arbeiteten Walt Disney und sein Team überaus akribisch an den Zeichnungen. Sie hielten auf dem Studiogelände nicht nur Hirsche, deren Wachstum man mit dem Skizzenblock in der Hand verfolgte. Auch Kaninchen und Stinktiere gehörten zu dem kleinen Zoo. Gleichzeitig wurde die Mimik von Kleinkindern studiert, um sie auf die Protagonisten zu übertragen. Zusammen wollte man so menschliche Gefühle und Regungen auf die Tiere übertragen, ohne dass diese ihre typischen Bewegungen einbüßten. Der Fotograf Maurice Day wiederum dokumentierte die Wälder von Maine, die als Vorbild für die Hintergründe dienten. Zudem verwendete Disney die im eigenen Hause entwickelten Multiplan-Kameras, die vor allem der Eingangssequenz (die mit dem säuselnden Chor) einen dreidimensionalen Eindruck verleihen.
Jäger gehen auf die Barrikaden
Der Lohn war ein realistischer Film, der sich wohltuend von Disneys bisherigen cartoonhaften Micky-Maus-Filmen abhob und neue Standards setzte. Vor allem die Kampfszene zwischen Bambi und seinem Konkurrenten um Feline sowie die expressive Darstellung des Waldbrands beeindrucken noch heute - selbst im Vergleich mit digitalen Zeichentrickfilmen, die ganz andere visuelle Erlebnisse ermöglichen. Hinzu kommen immer wieder überraschend moderne Perspektiven.

"Bambi" ist derzeit auf DVD und Blu-ray in der Diamond-Edition erhältlich. Der Film ist vollständig digital restauriert und enthält Bonusmaterial zur Entstehung und Wirkung des Films. Die Blu-ray kommt dabei mit umfangreicherem Bonusmaterial und zusätzlicher DVD.
(Foto: Disney)
Es ist jedoch nicht nur diese zeichnerische und technische Meisterleistung, die den großen Einfluss des Films auf nachfolgende Produktionen erklärt. Auch inhaltlich dient "Bambi" als Vorbild. Da wäre etwa der - damals durchaus fortschrittliche - Naturschutzaspekt, der auf den schädlichen Einfluss des Menschen auf das Ökosystem hinweist. Einem Sturm gleich bedrohen die Jäger die Naturidylle, Wolken ziehen auf, wo die Menschen auftauchen, die allerdings nie gezeigt werden. Schließlich verursachen sie auch noch den verheerenden Waldbrand. Wie kontrovers diese Naturthematik damals war, zeigen die lautstarken Proteste der amerikanischen Jäger gegen den Film. Sie sahen sich als brutale Mörder gebrandmarkt. Disneys "Cap und Capper" zeichnet 1981 übrigens eine ähnliche Naturidylle, die der Mensch brutal beherrschen will. Dass das Leben in der Natur in beiden Filmen kindgerecht verklärt wird, versteht sich von selbst, macht ja aber auch einen Teil des Charmes aus.
Auch das Thema des Tierkindes, das sich beweisen muss, wurde später noch einmal aufgegriffen. "Der König der Löwen" aus dem Jahr 1994 variiert "Bambi" auf verschiedenste Weisen: Auch hier kommen die Tiere der Savanne zusammen, um das Neugeborene des Tieroberhaupts zu begrüßen. Auch hier erlebt der Nachwuchs zunächst eine unbeschwerte Kindheit. Und Simba muss wie Bambi den Tod eines Elternteils verkraften, bevor er seinen Platz im Leben findet.
Stockkonservatives Familienbild
Apropos Platz im Leben: Hier zeigt sich die Krux an "Bambi", denn er zeichnet ein gänzlich veraltetes Familienbild. Das zeigt sich etwa am Filmende, das hier ausnahmsweise mal verraten wird: Bambi tritt nach überstandenen Abenteuern in die Fußstapfen seines Vaters. Als Fürst der Tiere, dem sich alle anderen unterordnen, steht er nun bedeutungsschwanger auf dem Hügel, während seine "Frau" Feline sich im Dickicht um das Neugeborene kümmert - wie einst Bambis eigene Mutter. Die alte Ordnung hat Bestand.
Selbst Hase Klopfer integriert sich gut in die heile Waldgesellschaft. Als Jungtier sorgte er mit seinem vorlauten Mundwerk und seinen Streichen für einige Lacher. Zur Strafe musste er dann die guten Ratschläge seines Vaters zitieren: "Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man den Mund halten." Am Ende freilich ist Klopfer selbst Vater geworden - die Eule hatte ja darüber aufgeklärt, wie ulkig man sich verhält, wenn man "schwer verknallt" ist und wie man sich küsst. Prompt fand Klopfer ein Weibchen und gründete eine Familie. Gehorsam und "ordentliche" Familienverhältnisse sind eben Teil des Weltbilds, das Disney-Filme bis heute prägt. Vor 70 Jahren entsprach das natürlich den Wertvorstellungen von Walt Disney, der sein Leben lang die US-Republikaner unterstützte und ein glühender Antikommunist war, der Berichte über Mitarbeiter an das FBI lieferte.
Disneys überholtes Weltbild der 1940er Jahre aktualisierte 2003 ein anderer Zeichentrickfilm auf bestechende Weise: "Findet Nemo" erzählt die Geschichte eines alleinerziehenden Vaters und seines einflossigen Sohnes. Wie Bambi erkundet Nemo neugierig seine Welt, zeigt sich dabei aber anarchischer, wilder und vorlauter - mithin kindlicher. Einen König der Tiere gibt es hier nicht: Clownfisch, Tintenfisch und Schildkröte stehen auf einer Ebene. Nur der Hai stört - neben dem Menschen - die Idylle. Schließlich verändern die Abenteuer nicht nur den Sohn, sondern auch den Vater, der auf seiner Odyssee durch die Ozeane seine Angst vor der weiten Welt überwinden kann. Angetrieben wird er dabei durch die Liebe zu seinem Kind. Denn das wiederum galt vor 70 Jahren und gilt noch heute: "Liebe ist mehr als nur ein Wort, Liebe kennt keine Grenzen."
Quelle: ntv.de