
Klospruch in einer Kneipe: Welcome to Berlin and now go home!
(Foto: alfaville)
Berlin erlebt einen gigantischen Besucherboom. Viele Hauptstädter sind genervt, Widerstand und Feindseligkeit gegen die Rollkoffer-Horden machen sich breit. Der Film "Welcome Goodbye" geht der Frage nach: Ist der Touristenhass berechtigt? Und: Wem gehört die Stadt?

"Berlin liebt dich nicht"-Aufkleber im Stadtteil Kreuzberg - das Bild ist vom Mai 2011. Die Ablehnung einiger Anwohner des Viertels gegenüber den Touristenmassen ist also nicht neu.
(Foto: dpa)
Berlin boomt und boomt und boomt – was die Besucherzahlen betrifft. 2013 kamen etwa 11,3 Millionen Touristen nach Berlin, viereinhalb Prozent mehr als im Jahr zuvor. 27 Millionen Mal wurde in Berliner Hotels übernachtet – ein Rekord und über 8 Prozent mehr als 2012. Noch deutlicher wird der Anstieg, wenn man zehn Jahre zurückschaut: 2003 waren es 11 Millionen Übernachtungen. Der weit größte Anteil der Gäste kommt aus Großbritannien (450.600) und den USA (327.200).
Die Touristenmassen freuen die Hotelbranche der Hauptstadt und ihren Bürgermeister Klaus Wowereit, der Berlin für "arm, aber sexy" hält. Aber die Freude ist nicht ungetrübt und befällt nicht jeden - manch Alteingesessene (und Zugezogene, die sich dafür halten) sind zunehmend genervt. Parolen a la "All Tourists Are Bastards" in Anlehnung an ACAB oder "No more Rollkoffer" liest man da an Wände gesprüht, "Berlin liebt dich nicht"-Aufkleber gibt es schon seit Jahren hier zu kaufen.
Fluch Szeneviertel
Ist die Ablehnung berechtigt? Man ist ja schließlich selbst überall anders auch Tourist und wünscht sich eine freundliche Aufnahme durch die Einheimischen. Aber wenn man in einem "Szeneviertel" wohnt (dieser Titel ist mittlerweile mehr Fluch als Segen) und erleben muss, dass die Hälfte der Wohnungen im Haus als Ferienzimmer vermietet werden, dass es fast nur noch Bars, Cafes, Restaurants und auf Touristen ausgerichtete Krimskramsläden in seiner Straße gibt, aber dafür kaum noch Lebensmittelgeschäfte, weil die die gestiegenen Mieten nicht mehr zahlen können; wenn betrunkene Pub-Crawler in den Hauseingang pinkeln und ihre Flaschen auf dem Gehweg zerschellen lassen; wenn also durch den Tourismus die Lebensqualität der Stadtbewohner enorm leidet, dann ist der Ärger und der Widerstand durchaus nachvollziehbar.
Der Dokumentarfilm "Welcome Goodbye - Wem gehört Berlin?" von Nana A.T. Rebhan beschäftigt sich mit ebenjenen Widerständen, der wachsenden Touristenfeindlichkeit und den Vertreibungsängsten in Berlin. Er versucht die Stimmung unter Anwohnern und Berlin-Touristen einzufangen und lässt sowohl die Freunde als auch die Feinde des hauptstädtischen Besucherbooms zu Wort kommen.
Viel Berlin in zwei Tagen

Christian im Touristenkostüm erzählt einer Touristin was von Berlin, hinter ihnen der Fernsehturm.
(Foto: alfaville)
Da sind etwa Minhan und Hsuany aus Taiwan - ebenso wie Igor aus Mexiko sind sie nur für zwei Tage in Berlin und wollen in der kurzen Zeit möglichst viel schaffen. Das heißt: Extrem-Sightseeing für die nimmermüden, stets nervig-quietschend gut gelaunten Taiwanerinnen und Set-Suche für den Mexikaner: Er will in Berlin einen Kurzfilm drehen, hat aber weder Darsteller noch Drehort noch Filmteam - und auch nur wenig Zeit und keine Ahnung von Berlin. Nur eine vage Filmidee, bei der ihm Christian helfen soll - der Hauptdarsteller des Films quasi.
Er ist zwar kein geborener Berliner, aber er tut und fühlt sich so. Christians Englisch ist so unterirdisch, dass es einen beim Zuhören schüttelt und von Berlin hat er auch nur begrenzt Ahnung - das hält ihn aber nicht davon ab, mit Touristenführungen sein Geld zu verdienen. Die Besucher kennen sich in der Hauptstadt ja meist noch weniger aus als er und englisch sprechen viele auch nicht besser. Also Augen zu und durch. Leicht verdient ist sein Geld aber nicht - vor allem die unermüdlichen Taiwanesinnen kosten ihn seine gesamte Touristenführungskraft.
Zum Glück spricht der Italo-Amerikaner Paul, der ganze sechs Wochen in Berlin verbringt, sehr gut deutsch und kennt die Clubszene gut, im Gegensatz zu Christian. So muss der sich keinen auf Englisch abstottern und kann gleich noch was lernen. Dafür zeigt er Paul den nach seiner Meinung schönsten Sonnenuntergang Berlins - von der Oberbaumbrücke. Uh, ein echter Geheimtipp!
Leben und arbeiten in Berlin
Sein Englisch versucht Christian mithilfe der israelischen Touristin Tamar aufzubessern - sie ist schon seit zwei Monaten hier, würde aber gern noch länger in der Stadt bleiben, hier arbeiten und Deutsch lernen. Ihr gefällt das im Vergleich zu ihrer Heimat friedliche Berlin und das "kreative Flair", da sie selbst Künstlerin ist. Auch der Niederländer Joris ist in Berlin, um zu arbeiten - er will einen Roman über die Stadt schreiben, war in den letzten Jahren schon viele Male hier und kann daher gut beurteilen, was sich wie verändert hat.

Frontstadt-Gefühl: Touristen auf einem Sightseeing-Bus am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie.
(Foto: alfaville)
Und wie hat sich Berlin denn verändert? Hierzu kommen Alt- und Neu-Berliner zu Wort, und die sind durchaus unterschiedlicher Meinung zum Touristenärger. Ein Passant auf der Oranienburger Straße im Stadtbezirk Mitte erzählt: "In Mitte torkeln Tag und Nacht kostümierte betrunkene Horden von Touristen durch die Straßen - es ist wirklich ein Ganzjahresvolksfest." Der Kolumnist Harald Martenstein fragt: "Wie kann ich denn gegen den Tourismus in Kreuzberg auf die Straße gehen und dann nach Kreta fahren?" Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele gibt zu bedenken, dass vom Tourismus zwar "die ganze Stadt profitiert, auch das Staatssäckel. Aber wie immer ist es so: die schon am meisten haben, profitieren auch am meisten, auch am Tourismus."
"Maul auf, Touristen rein, Maul zu"
Natürlich geht es beim Tourismus auch um Geld - Tacheles-Aktivist Martin Reiter sieht die Touristen als "Konsumsklaven"; es gehe "quasi darum, dass man mehr oder weniger hysterisch in Bewegung ist und irgendwie Umsatz gemacht wird." Umsatz - natürlich. Das klamme Berlin kann ein paar mehr Einnahmen gut gebrauchen - so sieht das auch Burkhard Kieker, Geschäftsführer von visitBerlin, ein Tourismusmanager im Auftrag des Berliner Senats. Von daher ist er qua Amt geradezu verpflichtet, den riesigen Besucherzuwachs zu begrüßen und weiter zu fördern - bis nichts mehr geht.
Aber bis dahin ist es seiner Meinung noch lange hin: "Berlin war in den letzten 20 Jahren wie ein großer Walfisch. Wir haben wirklich ganze Legionen von Touristen verschluckt, ohne dass man es groß gemerkt hat. Maul auf, Touristen rein, Maul zu. Und alle haben sich im Bauch des Walfisches wohlgefühlt, offensichtlich, sonst würden ja nicht immer mehr kommen. Jetzt müssen wir gucken, wie sich der Walfisch dadurch verändert und ob er in der Lage ist, noch mehr zu verdauen."
"Es wird zurückgeblitzt"
Noch mehr Touristen in Berlin? Da hat Martin Sonneborn, GröVaZ von "Die Partei", aber was dagegen - er rüstet auf und kündigt im Film an: "Wir werden große Wasserpistolen mit maximaler Reichweite kaufen und dann auf Touristenjagd gehen. Wir werden Touristenbusse einkesseln und zum Halten nötigen und Touristen fotografieren, so wie sie auch die Einheimischen hier fotografieren - es wird zurückgeblitzt." Ein typischer Sonneborn eben.
Dass sie aggressiv wurde, hat auch Michi Hartmann gemerkt - sie wohnte lange in einem Hinterhaus in der Kastanienallee im Bezirk Prenzlauer Berg, komplett zugetagged und daher sehr auffällig in der ansonsten schick sanierten Straße. Ihr Haus fand sogar Erwähnung in diversen Reiseführern - was dazu führte, dass ständig Touristen in ihrem Hof standen, sie fotografierten und ihr die Privatsphäre raubten: "Es ging bis dahin, dass ich mich in so eine schimpfende Oberzicke verwandelt hab, die die Leute nur noch angekackt hat: Ey, könnt ihr mal abhauen?!? Könnt ihr mich mal in Ruhe lassen? Und das bin ich eigentlich nicht." Sie hielt es nicht mehr aus und zog schließlich in einen anderen, weniger hippen Stadtbezirk.
Wem gehört die Stadt?
Abhauen oder zuschlagen, wegziehen oder anpöbeln - das kann aber keine befriedigende Lösung sein. Am besten wäre es wohl, wenn sich alle wie gute Gäste beziehungsweise Gastgeber benehmen würden, mit dem Gedanken im Hinterkopf: Jeder ist mal irgendwann irgendwo Tourist. Und: Die Stadt gehört allen!
"Welcome Goodbye" startet am 29. Mai 2014 in den deutschen Kinos.
Ab dem 10. Oktober 2015 ist die DVD hier käuflich zu erwerben.
Quelle: ntv.de