Kino

"Einsamkeit und Sex und Mitleid" Unter deutschen Dächern

Keine Wurstabschnitte mehr?

Keine Wurstabschnitte mehr?

(Foto: dpa)

Wenn Sie mit Ihrer ganz neuen Bekanntschaft einen ungezwungenen Kinoabend erleben wollen, dann gehen Sie vielleicht nicht in diesen großartigen Film, der wie ein Spanner hinter die Kulissen deutscher Schlafzimmer guckt. Alle anderen schon.

Die Eingangsszene ist schon mal großartig. Die Fleischereifachverkäuferin sagt: "Gibt's nicht mehr." Der Kunde, sein Name ist Ecki, fragt: "Für immer?" "Ja, für immer. Erstmal", antwortet die Fleischereifachverkäuferin. Es ist nur eine von vielen großartigen Szenen eines Films, der auf einem Buch basiert, von dem der Schriftsteller Daniel Kehlmann sagte: "Das witzigste deutsche Buch des Jahres." Das Buch stammt von Helmut Krausser und ist 2009 erschienen, der Film ist von Lars Montag, der als Regisseur ein Herz für Krimis hat und sich sonst eher im "Tatort" oder "Polizeiruf 110" austobt. Nun also ein Film - und was für einer. Eine Tragikomödie? Ja. Ein Krimi? Auch. Ein Lehrstück über Befindlichkeiten? Auf jeden Fall. Was sind Menschen bereit für Liebe, Zärtlichkeit, Zuneigung, Sex zu tun? Was bedeutet überhaupt "Liebe" in der heutigen Zeit? Wer liebt wen, warum und wie? Was in Deutschland hinter verschlossenen Türen und verschlossenen Herzen abgeht, zeigt der 46-Jährige in diesem Spielfilm, der allein durch seinen Titel "Einsamkeit und Sex und Mitleid" verlockend klingt. Zum Glück hält er, was er verspricht.

Regisseur Lars Montag.

Regisseur Lars Montag.

(Foto: imago/Future Image)

Die Themen Einsamkeit, Sex und Mitleid sind ja Themen, die uns alle angehen, mit denen jeder etwas anfangen kann. Und auch, wenn es in dem Film keinen einzigen wirklichen Sympathieträger gibt - von zwei kleinen Kindern mal abgesehen - kann sich der eine oder andere Zuschauer sicher in der einen oder anderen Figur wiederfinden. Manchmal. Zumindest dann, wenn wir uns daran erinnern, dass uns auch schon mal die Liebe abhanden gekommen ist, egal, ob wir allein, in einer Beziehung oder auf der Suche waren.

Ist das jetzt der Blick hinter die Fassade? Hinter die Fassade des Reihenhauses, dieses Symbolbilds für das Heim aller Durchgeknallten, wo der Boden stets gewischt ist, aber die Fassade bröckelt? Oder in den cleanen Neubau, in dem die Stiefel geleckt werden? In die Rumpelbude eines Messis, der seinem alten Leben hinterherjagt und jegliche zarte Pflanze, die sich in seinem neuen Leben entwickeln könnte, im Keim erstickt? Dieser Film ist politisch nicht korrekt, so viel steht fest, denn das Leben ist es ja auch nicht, und der Mensch, ob nun einsam oder nicht, ist viel mit seinem Handy oder seinem Laptop beschäftigt.

Friederike Kempter, Taliha Iman Celik, Lilly Wiedemann und Lara Mandoki bei der Premiere.

Friederike Kempter, Taliha Iman Celik, Lilly Wiedemann und Lara Mandoki bei der Premiere.

(Foto: imago/Future Image)

"Einsamkeit und Sex und Mitleid" ist ein Episodenfilm, in dem alle Charaktere miteinander zu tun haben, verwoben sind. Es geht um verbotenen Sex ("Hast du ihren Geburtsweg berührt? Geschlechtsbeziehungen sind den Verheirateten vorbehalten."), um das Angsttraining eines feigen Polizisten, der seine Wut und seine Kleinheit an Kindern, Ausländern und Frauen auslässt, der wegrennt, wenn es eng wird und der ausrastet, wenn ihm seine Pferdeledercowboystiefel geklaut werden.

Wir müssen uns die Fragen stellen, ob Sex und Liebe und Beziehungen im Internet zu finden sind und ob das jetzt eher arm oder eine Bereicherung für den modernen Menschen ist. Wir sehen in eine Welt, in der es einem Mann schwerer fällt, sich von seinem Bienenstock zu trennen als von seinen Frauen (Gattin und Töchter), wir sehen einen Mann, dem seine Frau vorwirft, er hätte keine Struktur mehr.

Freudlose Fickerei

Sie prüft lieber mal den ordnungsgemäßen Zustand des Gerätes ...

Sie prüft lieber mal den ordnungsgemäßen Zustand des Gerätes ...

(Foto: dpa)

Wir lernen einen kleinen arabischen Jungen kennen, der seinen großen Bruder in Sachen Frauen berät und der Koranverse zitieren kann wie ein alter Imam. Der sagt: "Allah weiß um die Nöte der Männer". Und Ecki, der Mann von der Wursttheke, ist "virtuell obdachlos" in seiner Messi-Höhle, denn man kann ihm keine Mail zustellen. Soll heißen: Er kann sich eine virtuelle Existenz nicht leisten, keinen Laptop, kein WLAN. Ecki ist am Ausrasten, latent und dann auch physisch. Weil sein Supermarktfilialleiter, der XXL-König, der durch seinen Supermarkt joggt, damit sein Laufschrittmesser abends nicht mit ihm meckert, nicht die richtigen Chips im Regal hat. Man könnte endlos weiter über die Figuren reden. Denn ja, es gibt schon merkwürdige Biografien ... und in diesem Film kommen sie alle zusammen.

Angst macht die Frage: Sind unsere Kinder echt so wie die im Film? Und sagt die nächste Frau, die ein Mann kennenlernt, tatsächlich so etwas wie, dass sie darauf steht, wenn man "in Maßen Zwang auf sie ausübt", um dann eine Choreografie des Vögelns vorzugeben (erst lecken, dann von vorne bumsen, dann von hinten, dann übernimmt sie). Oh je, armes Deutschland. Arme Männer, arme Frauen. Das alles ist eine sehr "freudlose Fickerei" (Zitat), auch wenn die Darstellungen derselben extrem realistisch geglückt sind.

"Einsamkeit und Sex und Mitleid" startet am 4. Mai in den deutschen Kinos

Quelle: ntv.de

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