Wenn Utopie zur Realität wird "Volt" - jenseits der Willkommenskultur
03.02.2017, 19:26 Uhr
Benno Fürmann als Volt - ein Mann unter Strom.
(Foto: dpa)
Menschen, die Schutz suchen - sie kommen in unser Land, doch das Land kommt damit nicht klar. Es sind zu viele. Die Katastrophe ist programmiert. Beängstigend realistisch zeigt "Volt" im Kino, wie es enden könnte, wenn wir nicht menschlich handeln.
Im Kinofilm "Volt" wird eine rohe Welt gezeigt, die uns da in Deutschland erwartet. In der wirklichen Welt, in den USA zum Beispiel, werden ja mittlerweile fünfjährige Kinder festgehalten, in Handschellen, weil sie angeblich eine Bedrohung darstellen könnten. Menschen aus bestimmten Ländern werden gar nicht mehr reingelassen in das Land. Mauern und Zäune sollen errichtet werden, nicht nur vor Mexiko. Vor allem in unseren Köpfen werden die Mauern ja immer höher. Die Angst wird größer. Jeder verteidigt, was er hat, niemand will mehr abgeben. Wir müssen uns fragen: Unsere sogenannte Willkommenskultur - hat sie sich überlebt?
Und die "Flüchtlingskrise", wie wir sie nennen - war sie nur der Anfang? In "Volt"sieht das so aus: In naher Zukunft hat Deutschland Transitzonen an seinen Grenzen errichtet. Tausende Flüchtlinge warten dort in großen Lagern - auf ihre Einbürgerung, oder auf ihren Rücktransport. Längst wurden die Menschen in den rechtsfreien Slums allerdings sich selbst überlassen. Die Situation brodelt, droht ständig zu eskalieren. Brachiale Polizeikorps halten die wütenden Transits auf Abstand.
In den Reihen der staatsübergreifenden Einsatzkommandos steht auch Volt (Benno Fürmann), der im nächtlichen Einsatz eine folgenschwere Tat begeht: Volt tötet den Flüchtling Hesham (Tony Harrisson) in einem Zweikampf. Das Verbrechen bleibt zeugenlos, doch aufkeimende Schuld beginnt ihn zu zerfressen und treibt Volt immer tiefer in die Welt seines Opfers - bis in die Arme von LaBlanche (Ayo), der Schwester des Toten. Er beginnt ihr zu folgen. Zuerst als Retter, dann als Freund. Doch immer als Lügner. Tagsüber als Polizist an der Frontlinie, nachts auf der anderen Seite. Volt müsste sich entscheiden, auf welcher Seite er steht, denn die Unruhen in Folge seiner Tat beginnen zu eskalieren.
"Volt" zeigt, wie es eines, nicht allzu fernen, Tages aussehen könnte, und es stimmt: "Die Flüchtlinge", sie leben nicht wirklich unter uns - auch wenn es noch nicht so krass wie im Film von Autor und Regisseur Tarek Ehlail ist. Ehlail, dessen außergewöhnlicher Werdegang ihn vom Boxer und Piercingstudiobesitzer zum Film geführt hat, zeigt Zustände, die so weit weg wahrscheinlich gar nicht sind.
Ihr wollt uns vergessen
Hesham, das Opfer in der Transitzone, sagt zu Beginn des Films:
"Ich lebe im Transit."
"Ich bin geflohen, um zu überleben."
"Ihr habt uns in Transit-Zonen gesteckt. Weit hinter euren schönen Häusern, die ihr hinter Mauern versteckt."
"Ihr wollt uns vergessen. Aber wir sind da. Auch, wenn ihr uns nicht seht - wir sind viele."
Klingt bedrohlich. Für alle Seiten. Die Flüchtlinge in "Volt", in diesem Gettho, das "Transit" genannt wird, befinden sich weit weg von Integrationsbemühungen, weit weg von Containerdörfern mitten in der Stadt, weit weg von Neubau-Vorhaben, und ganz weit weg von Erfolgsgeschichten, die Einzelne unter uns mit Flüchtlingen vielleicht durchaus zu verzeichnen haben.
In "Volt" geht es um eine Form von Verrohung, die unter der Bevölkerung stattfindet, unter den Flüchtlingen, und unter der Polizei. Ein Menschenleben zählt nicht mehr viel. Die Polizei nennt Farbige "Blackys" oder "Kanaken", sie "blickficken", wenn ein "Spast" sich komisch verhält, sie haben alle Narben. Am Körper, in der Seele. Und Benno Fürmann, als einsamer Wolf und als titelgebende Hauptrolle, ist ein Rastloser im verzweifelten Kampf mit sich selbst und den Folgen seiner Schreckenstat. Das ganze Schauspieler-Ensemble übrigens ist beängstigend überzeugend.
"Geladen mit ebenso viel Ampere wie sein Titel", beschreibt der Regisseur seinen eigenen Film. Recht hat er. In weiteren Rollen sind Ayo Ognunmakin ("Down on my Knees"), Sascha Alexander Geršak ("5 Jahre Leben"), Anna Bederke ("Soul Kitchen"), Denis Moschitto ("Chiko"), Kida Khodr Ramadan ("3 Türken & ein Baby")¸ Stipe Erceg ("Der Baader Meinhof Komplex") sowie André M. Hennicke ("Victoria") zu sehen.
Ehlails Gespür für diese brisante Geschichte am Puls der Zeit ist erschreckend: Das fiktive Szenario einer Welt von morgen, der scheinbar jedes Mitgefühl verloren ging, wird durch die gegenwärtigen Entwicklungen beklemmend real. Was als Science-Fiction begann, ist aktueller denn je und längst zur tatsächlichen Drohkulisse unserer Gegenwart geworden.
"Volt" läuft seit dem 2. Februar in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de