Polit-Punk von Anti-Flag Aufruf zum Amerikanischen Frühling
23.05.2015, 16:15 Uhr
(Foto: imago stock&people)
Occupy Wall Street! Wie es sich für eine ordentliche Polit-Punkband gehört, rufen Anti-Flag zum Klassenkampf auf. In Anlehnung an die Proteste in der arabischen Welt hat das Quartett sein zehntes Studioalbum "American Spring" getauft.
"Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken", sagte der Chef der Internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Angel Gurria, im Dezember 2014. Diese Worte könnten so auch von Justin Sane stammen, soziale Ungerechtigkeit ist für ihn das größte Übel. Seine 1993 gegründete Band Anti-Flag klagt jedoch nicht nur lauthals an, sondern versteht sich auch als Aktivist: Zu Beginn des Irakkrieges organisierten sie mit dem Regisseur und Autor Michael Moore die größte nationale Gegendemonstration, für die russischen Musikerinnen von Pussy Riot spielten sie Benefizkonzerte, jüngst standen sie im Berliner SO 36 für Flüchtlinge auf der Bühne. Über Hoffnung, die Fortsetzung von Occupy Wall Street und mehr direkte Demokratie sprach n-tv.de mit dem 42-Jährigen.
Ein Song auf dem Album, der deutschen Hörern sofort auffällt, ist "Brandenburg Gate". Warum ein Lied über das Brandenburger Tor?
Justin Sane: Das ist ein Song über Hoffnung. Während des Kalten Krieges hätte niemand eine Wiedervereinigung Deutschlands für möglich gehalten. "Brandenburg Gate" handelt davon, dass selbst Dinge, die wie ein Wunder erscheinen, wahr werden können.
Ihr singt über Terrorismus, Völkermord, Klassenkampf, Drohnen und Guantanamo. Was ist aktuell das größte Problem der USA - Rassenunruhen?
Ich denke, dass Wohlstand und Gleichheit die wichtigsten Themen sind. Die Lücke zwischen Arm und Reich ist so groß wie seit der Großen Depression nicht mehr. Wenn du arm bist, ist es egal, welche Hautfarbe du hast. Alle Menschen sollten gleich behandelt werden - ob schwarz oder weiß, arm oder reich.
Es ist offenkundig schwer, Gleichheit zu verwirklichen.
Occupy Wall Street und das Motto "Wir sind die 99 Prozent" haben 2011 in den USA schon zu einer Diskussion über Wohlstand und Gleichheit geführt. Vorher haben viele Menschen nicht darüber nachgedacht, dass nur ein Prozent der Bevölkerung über einen Großteil des Vermögens verfügt. Diese Debatten müssen jetzt öffentlich weiter vorangetrieben werden.
Ihr klingt auch enttäuscht von Präsident Barack Obama. Wer könnte es denn künftig besser machen: Hillary Clinton? Der parteilose Bernie Sanders? Ein Republikaner?
Wir brauchen weitreichende Veränderungen in der Politik. Ich denke, dass es in den USA oder Europa möglich ist, sich weg von der repräsentativen Demokratie hin zu mehr direkter Demokratie zu bewegen. Statt für Kandidaten zu stimmen, die schon von Unternehmen und Lobbyisten gekauft wurden, müssten wir unsere Stimme direkt in den politischen Prozess einbringen. Ich glaube, dass diese Ansicht auch langsam in den Mainstream vordringt.
Ihr habt "American Spring" viele Texte beigefügt – persönliche Gedanken, Artikel, Expertenzitate. Konntet ihr nur mit den Songs nicht alles sagen, was ihr sagen wolltet?
Wir haben die Band gegründet, um auszudrücken, wie wir denken und fühlen. Aber es ist fast unmöglich, das in drei Minuten zu tun. Mit den Essays wollen wir Leute anstoßen, sich intensiver mit einem Thema zu befassen. Ich glaube wirklich, dass Musik die Welt verändern kann. Sie gibt dir eine Plattform, um Statements zu machen und Leute zu ermutigen, darüber nachzudenken.
Gab es auch mal einen kleinen Moment der Enttäuschung, dass eure Songs das Erhoffte doch nicht bewirken könnten?
Nein, ernsthaft nicht - eher im Gegenteil. Und das treibt mich an und inspiriert mich. Manchmal bin ich verblüfft, dass ein Song von mir jemand anderen so stark beeinflusst hat. Zum Beispiel sagte mir mal jemand, er habe eigentlich zum Militär gehen wollen. Doch dann habe er Anti-Flag entdeckt und sich anders entschieden.
Ihr geht immer sehr hart mit den USA ins Gericht. Wie hältst du es aus, dort zu leben?
Ich habe Familie und Freunde da - Menschen, die ich liebe. Es ist mein Zuhause. Die meisten Menschen können nicht einfach gehen und das Umfeld verlassen, in das sie hineingeboren wurden. Ich glaube auch daran, dass wenn du Menschen in deiner Nähe hilfst, du auch etwas für Menschen weit weg von dir tust.
Also bist du trotz Kapitalismus und Kriegsverbrechen in der Welt Optimist?
Ja. Ich glaube nicht, dass ich sonst tun könnte, was ich tue. Ich finde auch, dass "American Spring" eine sehr optimistische Platte ist. Und wenn wir zum Beispiel nach Ägypten schauen: Viele hätten gedacht, dass es dort nie eine Revolution gegen das autokratische Regime geben würde. Doch dann kam der Arabische Frühling. Viele argumentieren auch, dass sich die Situation im Land nicht verbessert habe. Ich denke aber, das war nur Schritt Nummer eins. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA brauchte auch Jahrzehnte. Vielleicht passieren manche Veränderungen nicht mehr in meinem Leben, aber danach.
Mit Justin Sane sprach Nadine Emmerich.
Das Album "American Spring" erscheint am 22. Mai 2015 - bei Amazon bestellen
Quelle: ntv.de