Triumph von Style über Sound Deutschlands junge Musik-Talente
08.09.2014, 17:00 Uhr
Kein Event ohne Selfie! Mia und Lary wissen, was zu tun ist.
(Foto: dpa)
Sie mischen Rap mit Elektro-Beats, sie indierocken und kreieren ihre ganz eigene Musikrichtung. Beim "New Music Award" treten Deutschlands vielversprechendste Nachwuchsmusiker gegeneinander an. Doch nur einige erwartet eine große Zukunft.
Kraftklub haben sie geholt, Ok Kid auch, Bonaparte haben sie sich ebenfalls gesichert: die Trophäe des "New Music Awards". Zum siebten Mal haben die jungen Radioprogramme der ARD Deutschlands vielversprechendste Nachwuchsmusiker auf eine Bühne geholt, damit sie sich vor Publikum messen können. So unterschiedlich die Musikrichtungen am Wochenende, so unterschiedlich auch das Talent der Kandidaten. Bis sich jedoch zwei Favoriten aus der Menge der Darbietungen herauskristallisierten, sollte einige Zeit vergehen.
Rapper Drehmoment aus Saarlouis rappt mit Puppe. Die soll sagen, was er nicht kann. Was das ist? Eine Mischung aus Empörung, Bösartigkeit und gesunder Gleichültigkeit. Ein Ausblick auf den "Gebeutelte-Jugend"-Tenor, den noch etliche weitere Künstler anschlagen werden. Zum Beispiel Faakmarwin aus Bremen: "Wer nichts erreicht im Leben, kann immer noch feiern." Ist solche eine Einstellung zu Werbezwecken auch noch gesunde Gleichgültigkeit? Man verzeiht es den Jungs, denn ihr Song "Und du tanzt" treibt nicht nur das Publikum, sondern vor allem die Bandmitglieder wild hopsend über die Bühne. Und sie tanzen nicht nur, sie strahlen richtig. Der Knicklicht-Appell des Frontmanns wird schnell vergessen. Knicklichter können wirklich gerne auf dem "Tomorrowland" bleiben.
"Lost-sein, Frei-sein, High-sein"
Auf den etwas ausgelutschten Selbstfindungszug springen leider auch Heinrich auf. Songs vom "Lost-sein, Frei-sein, High-sein" sind schön, aber da muss mehr Substanz her. Kann doch nicht sein, dass alle Nachwuchsmusiker als gequälte Seelen durch die Welt spazieren? Die drei Geschwister aus dem Pfarrhaus sehen gut aus, ihr Einspieler ist vielversprechend, aber irgendwie soll es nicht sein an diesem Tag. Vielleicht liegt es an der Anlage - die Stimmen der Leipziger verschluckt allerlei Geräusch.
Ein bisschen mehr Leichtigkeit versprechen die tanzbaren Beats des Mannheimer Duos Tom Thaler & Basil. "Hier Mit Dir" könnte problemlos als Spätsommerhit 2014 durchgehen. Dass die Herren die Kombination aus Rap und elektronischer Musik nicht mehr als Novum verkaufen können, sollte ihnen vielleicht mal jemand sagen. Der Drops ist irgendwie gelutscht. Innovativ ist die Musik von Tom Thaler & Basil nicht, aber sie macht Spaß - die Band macht Spaß. "Wir dürfen ja nur drei Songs, haben Bock auf zehn", ruft Rapper Tom in die Menge. Das merkt man. Weil sie keinen eigenen Merchandise haben, haben sie selbst ein Shirt für einen Fan in spe gebastelt. Eine junge Frau in der Menge darf sich freuen.
Musik zum Sex
eRRdeKa ist dann ein bisschen zu irrelevant, The Void ein bisschen zu "Bandcontest" und Pew Pews Ungezogene-Lolita-Attitüde ist maximal eine Rebellion gegen den guten Geschmack. Vor Bekanntgabe des Siegers ist völlig klar: Es kann nur die einen oder die andere geben - die Band mit dem sperrigen Namen AnnenMayKantereit aus Köln oder die Berliner Sängerin Lary mit den Ruhrpottwurzeln.
"Wenn ich alles richtig gemacht habe, ist die Musik einfach ich in Musik übersetzt", sagt Lary. "FutureDeutscheWelle" wäre das dann wohl. So lautet nämlich nicht nur der Titel ihres Debütalbums, so heißt gleich ihre eigene neue Musikrichtung. Ihre Musik soll man beim Sex hören oder im Club - eigentlich ganz egal. Larys Show ist ein Gesamtkonzept. Schöne Stimme? Klar. Aber auch ein bisschen laszives Rumrekeln kann die Sängerin, das Outfit sitzt sowieso. Lary ist deutlich weniger aufgedreht als viele der anderen Acts. Lary ist einfach lässig - und live besser als auf Youtube. Ohne die Fassade eines hippen Musikvideos ist die junge Frau nämlich wirklich sympathisch. Sie ginge jetzt was trinken, erklärt Lary nach ihrem Auftritt. Und sollte sie die 10.000 Euro Preisgeld abräumen, dann würden - versteht sich - erst einmal Schulden beim Gitarristen bezahlt, danach allerdings sollen die Gäste auf ihrer Album-Release-Party einen Tequila aufs Haus bekommen.
"Hausgemachte deutsche Musik"
Nachdem Lary in puncto Performance so ziemlich alle anderen Musiker in den Schatten gestellt hat und die Luft nach oben dünner zu werden scheint, spielen AnnenMayKantereit, die Jungs mit der "hausgemachten deutschen Musik". Mal abgesehen davon, dass in Song Nummer eins mal wieder eine Generation Heranwachsender hadert ("Du bist 21, 22, 23 und du kannst noch gar nicht wissen, was du willst") - es braucht nur ein paar Takte, da hat Sänger Henning May alle Blicke im Saal eingefangen. Dass diese markante Stimme die eines so jungen Mannes ist, muss überraschen. So einige deutsche Schauspieler sollten sich also nicht allzu viel auf ihr Organ einbilden ...
Was darüber hinaus positiv auffällt: AnnenMayKantereit erspielt sich nicht nur musikalische, sondern auch inhaltliche Relevanz mit Musik, die ohne Baukastensystem auskommt, sondern ehrlich aus der Mitte des Herzens kommt. "Oft gefragt", ein Lied über den Reifeprozess einer Vater-Sohn-Beziehung, ist das beste der gesamten Awardshow.
Es ist vielleicht ein wenig unfair, dass die Jungs als einziger Act eine Zugabe spielen dürfen. Überragend ist Henning Mays Interpretation des legendären King-Lui-Songs aus dem Dschungelbuch trotzdem. Doch gereicht hat es für AnnenMayKantereit am Ende nicht. Der New Music Award geht an Lary. Ein wenig scheint es vielleicht, als sei es der Triumph von Style über Sound.
Quelle: ntv.de