Spandau Ballet tanzen wieder Mit selbstgenähtem Anzug in den Pop-Olymp
09.10.2014, 14:55 Uhr
Martin und Gary Kemp präsentieren "Soul Boys of the Western World" in London - und alles ist wieder gut.
(Foto: AP)
Man sollte Musiker nie nach ihren Erzfeinden fragen. Auch wenn man gar nicht weiß, dass sie verfeindet sind - eine denkwürdige Begegnung mit Spandau Ballet, die sich mit drei neuen Songs und einer sehenswerten Dokumentation zurückmelden.
Wenn man Spandau Ballet so richtig ärgern möchte, braucht man nur The Smiths zu erwähnen. Eine harmlose Frage in die Runde, was sie Marr & Co. denn für Tipps geben könnten, wie man als Band nach Gerichtsstreitigkeiten um Tantiemen wieder zusammenkommt, trifft auf starre Mienen in der Runde, selbst Sänger und Frohnatur Tony Hadley gefriert das Lächeln. Saxofonist Steve Norman klärt auf: "Als Spandau Ballet vor fünf Jahren wieder zusammenkamen, hat Johnny Marr ziemlich gemeine Sachen über uns gesagt." Trommler John Keeble setzt noch eins drauf: "Meinetwegen muss es auch keine Reunion von 'The Smiths' geben."
Regisseurin George Hencken mit ihren Soul Boys: Tony Hadley, John Keeble, Martin Kemp, Steve Norman und Gary Kemp bei der Premiere des Films in der Royal Albert Hall.
(Foto: AP)
Okay, das war dann wohl die falsche Frage, um ein Interview zu beenden. Und um ehrlich zu sein - es fängt auch nicht glorreich an. Gleich zu Anfang will ich ein Bekenntnis ablegen, dass ich zwar zu "True" und "Gold" getanzt habe, aber nie die ganz große New Romantic-Anhängerin war, sondern eher Dylan gehört habe. Da zuckt es doch merklich verächtlich um die Mundwinkel von Gitarrist Gary Kemp.
Nun möchte ich mit dem Bekenntnis auch niemanden vor den Kopf stoßen, sondern eigentlich nur erklären, warum die vorzügliche Dokumentation "Soul Boys of the Western World" so interessant ist, denn sie bringt so viel Neues für Nicht-Fans zum Vorschein. Der Film, der am 30. September in der Royal Albert Hall Europa-Premiere feierte und bislang noch keinen deutschen Starttermin hat, ist auch einer der Gründe, warum wir hier alle so hübsch zusammensitzen - hübsch sind die anderen, denn natürlich wirken die "Spandau Ballet"-Herren wie aus dem Ei gepellt, einzig Keeble fällt mit seinen Jeans und Rocker-T-Shirt aus dem Rahmen. Die Briten sind immer noch begeistert vom vorherigen Abend, als sie das Werk der Dokumentarfilmerin George Hencken in der ehrwürdigen Londoner Halle vorstellten und danach noch live ihre größten Hits zum Besten gaben.
Von wegen vornehm - wir sind Arbeiterjungs!
"Soul Boys of the Western World" offenbart, dass alle fünf aus Arbeiterfamilien stammen. Wenn man sie sich damals mit ihrer doch recht aufwändigen Garderobe angeschaut hat, wäre man nie darauf gekommen: "Ja, haben wir schon öfter gehört", merkt Bassist Martin Kemp an. "Es liegt wahrscheinlich daran, dass die Leute dachten, dass unsere Klamotten teuer waren." Waren sie aber gar nicht, einiges wurde sogar von Mutti selbst genäht. Zu Beginn der 80er-Jahre fungieren Spandau Ballet zusammen mit ihren Rivalen Duran Duran als Speerspitze der musikalischen "New Romantic"-Bewegung, für die Style fast genauso wichtig ist wie die Musik. Man zieht sich sehr dramatisch an, um sich von den Punkern zu unterscheiden. Und macht ebenso dramatische Musik.
Es wird vielleicht deshalb überraschen, dass sich Spandau Ballet als Jugendliche zunächst dem Punkrock verschreiben und erst später zu ihren bombastischen Pop-Tönen fanden. "Damals haben doch alle Punkrock gespielt", berichtet Keeble. "Wenn man als Band anfängt, orientiert man sich erstmal an dem, was um einen herum passiert." Die Jungs entdecken dann elektronische Musik - Kraftwerk und Krautrock der Marke Can hat großen Einfluss auf die musikalische Entwicklung von Gary Kemp, der alle Songs komponiert. 1980 gibt es mit "To Cut a Long Story Short" den ersten Charterfolg, drei Jahre später erobert die Band mit dem dritten Album "True" die USA und Europa.
"Nenn' mir mal eine politische Band!"
Zu der Zeit regiert in Großbritannien Maggie Thatcher mit eiserner Hand, aber Politik wird man in den Texten von Spandau Ballet nicht finden. Warum war das so? Oh, wieder eine Frage, bei der Gary Kemp der Blutdruck ansteigt: "Warum wir keine politische Band sind? Wer ist das denn bitte? Nenn' mir mal eine politische Band?! Selbst die Sex Pistols waren nicht politisch", echauffiert sich der Londoner, um dann aber auch zu betonen: "Wir waren aber auch irgendwie politisch. Indem wir uns nämlich wehrten, wie Vertreter der Arbeiterklasse von der bürgerlichen Musikpresse dargestellt wurden, die so eine Fantasie verbreiteten, wie man als Rocker zu sein hat. Das hat außer uns niemand gesagt." Gut, dass wir dies jetzt final geklärt haben.
Zurück zur Musik: Spandau Ballet bringt nun das Kompilation-Album "The Story" heraus, auf dem sich neben Raritäten auch drei neue Songs finden, die von keinem Geringeren als Star-Produzent Trevor Horn beaufsichtigt wurde. Tony Hadley kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. "Was für ein toller Typ! Wir haben mit ihm schon einmal 1981 für 'Instinction' zusammengearbeitet. Er macht überhaupt keinen Druck." Die drei neuen Songs "This Is The Love", "Steal" und "Soul Boy" bleiben trotzdem im typischen Gerüst - empathische Liebeslieder, unterlegt mit Streichern, Normans Saxofon darf natürlich auch nicht fehlen, dazu Hadleys Stimme, die irgendwie immer dramatisch klingt, selbst wenn sie die Lautstärke herausnimmt. Der Mann kann gar nicht anders, als voller Theatralik zu singen, dafür wird er auch von den Fans heiß geliebt. Abseits der Bühne ist er überhaupt nicht hochtrabend, sondern sehr bodenständig und nimmt sich selbst gar nicht so ernst.
"Wir stehen nicht mehr so unter Druck"
Tatsächlich gewinnt man den Eindruck, dass die Musiker von Spandau Ballet viel entspannter als zu ihrer Glanzzeit in den 80er-Jahren sind - man sollte eben bloß nicht Johnny Marr oder Politik erwähnen. Sie haben wieder Spaß im Studio. Das war nicht immer so und "Soul Boys of the Western World" thematisiert natürlich auch die Trennung und die Zeit Anfang der 90er-Jahre, als Hadley, Forman und Keeble vor Gericht von Gary Kemp einen größeren Anteil an Tantiemen erzwingen wollten und damit scheiterten. In den vielen Aufnahmen von früher wird deutlich, wie sehr Kemp damals das Heft in der Hand hielt. Er war der alleinige Herrscher über musikalische Entscheidungen und darüber, was in Interviews gesagt wird. Das hat wohl sehr frustriert. Keeble formuliert es im Film trocken: "Normalerweise trennen sich Bands wegen Geld oder Drogen. Bei uns gab es eine andere Variante - das Ego."
Nach 19 Jahren finden die zerstrittenen Parteien 2009 wieder zueinander. Die Gebrüder Kemp hatten mit mehr oder minder großem Erfolg eine Schauspielkarriere aufgebaut, Hadley tourte mit Keeble und Norman, aber nichts war so groß wie Spandau Ballet. Die Band und besonders Gary Kemp reagiert allergisch, wenn es heißt, dass die Reunion nur aus Geldgründen passierte. "Das war es nicht, es hatte emotionale Gründe". Und wenn er das mit blitzenden Augen sagt, möchte man ihm auch nicht widersprechen.
Er beteuert aber auch, dass er jetzt viel gelassener sei - Norman und Hadley dürfen im Studio mitkomponieren, was ihnen früher immer verweigert wurde: "Wir stehen nicht mehr so unter Druck wie in den 80er-Jahren. Wir haben Spaß. Das merkt man auf der Bühne. Dort geben wir alles, das ist für uns das Wichtigste, live zu spielen." Ob man nun Fan ist oder nicht - sie sind eine klasse Live-Band. Die ehrwürdige Royal Albert Hall tobt, als die Herren ihre Hits spielen und selbst die coolen Jungs der britischen Musikpresse werfen ihre Arme in die Höhe und skandieren "Gold!". Im nächsten Jahr werden deutsche Fans die Gelegenheit haben, das Gleiche zu tun, denn dann geht Spandau Ballet auf Welttour.
"Soul Boys of the Western World" feierte gerade Europapremiere in London, hat aber noch keinen deutschen Starttermin.
Quelle: ntv.de