"Modfather muss man gehört haben" Paul Weller vermisst Chaos und Wahnsinn
12.05.2015, 22:17 Uhr
Im April stand Paul Weller im Berliner Admiralspaplastauf der Bühne.
(Foto: dpa)
Mit The Jam und Style Council war er ein Superstar, in den 90ern musste Paul Weller sich sein Publikum erst wieder zurückerobern. Zwei Dekaden später ist der Mann aus Woking ein Ikone des Britrocks. n-tv.de sprach mit dem Modfather über neue Songs und alte Laster.
Im Konzertsaal des Hamburger Dock’s lässt eine brachiale Soundcheck-Version von "White Skies" die Wände beben. Seine neue Platte ist noch nicht einmal draußen, da tourt Paul Weller bereits wieder durch die Welt. Im Club auf der Reeperbahn geht es dabei ebenso konzentriert wie unaufgeregt zu, vom glamourösen Leben auf Tour keine Spur: Der Backstage-Raum hat keine Fenster, abgewetzte Ledersessel stehen in der Ecke. Wie aus dem Nichts steht plötzlich Michael Rother in dem winzigen Gewölbe, später am Abend wird der einstige Neu!-Gitarrist und Kraut-Pionier mit Weller auf der Bühne jammen. Rother stellt seinen Rucksack ab, macht etwas Smalltalk und verschwindet wieder. Da taucht Weller auf. Drahtig, bester Dinge, blaues Sommerjacket, das sich auch prima auf alten Bandfotos von Style Council gemacht hätte. Erstmal eine Zigarette, Camel Lights. Knie an Knie zwängen wir uns an einen winzigen Glastisch.
n-tv.de: Paul, Dein neues Album "Saturn’s Pattern" erscheint fast auf den Tag genau 20 Jahre nach "Stanley Road", einer Platte, die heute als eines Deiner Kern-Alben gilt. Hattest Du damals das Gefühl, einen Klassiker in petto zu haben?
Paul Weller: Ich würde gern "Ja" sagen, aber letztlich ist es die Zeit, die ein Album zum Klassiker macht. Aber doch, es fühlte sich schon sehr, sehr gut an damals.
Wie erinnerst Du Dich an die Zeit um 1994/95?
Es war großartig. Als Band waren wir so gut zusammen, wir gingen nach einer endlosen Tour von der Bühne buchstäblich direkt ins Studio. Binnen drei oder vier Tagen hatten wir sechs Songs aufgenommen. Es ging so schnell (schnippt mit den Fingern). Sehr schnell.
Ich erinnere mich an ein Konzert in Roskilde 1995. Sonntagmittag, grünes Zelt, Platz für 10 oder 15.000 Leute. Nur ein paar Hundert waren gekommen, um Dich zu sehen. Eine schwere Zeit zwischen den Höhenflügen von The Jam und Style Council und dem Neustart als Solist?
Ich weiß nicht so genau. Fand ich das schwer? Ob es nun 200 sind oder 20.000, das macht für mich keinen Unterschied. Du willst es halt so gut hinbekommen, wie es nur geht. Ganz ehrlich, es kratzte mich nicht wirklich.
Seit Du Teenager bist, zieht es Dich durch die Hallen und Clubs der Welt. Von Mitte der 70er Jahre bis heute - was hat sich am Leben auf Tour verändert?
Schau Dich um! (lacht) So lange ich mich erinnern kann, sitze ich in beschissenen Backstage-Räumen wie diesem hier. Seit ich 18 bin, Mann. Ich sage Dir: Nichts hat sich geändert. Aber das ist ok.
In einem Interview hast Du jüngst davon erzählt, wie schwer es war, auf Drogen und Alkohol zu verzichten. Wie fühlt es sich an, nüchtern zu spielen?
Ich mag es, Mann, wirklich. Aber es war sehr schwer, dort hinzukommen. Vor etwa fünf Jahren erreichte ich einen Punkt, wo ich dachte: Ich kann das so nicht mehr lange durchhalten. Ich brauchte weitere zwei Jahre, bis es sich normal und okay anfühlte. Was für ein merkwürdiges Gefühl, völlig klar die Bühne zu betreten, wirklich verunsichernd.
Alkohol und Drogen sind oft auch sozialer Kitt, gerade auf Tour. Hat man da mal das Gefühl, man konnte die Leute besser leiden, als alle, nun ja, dicht waren?
Das kümmert mich eigentlich wenig. So denke ich nicht. Aber was mir wirklich zuweilen fehlt, ganz ehrlich: Der Wahnsinn. Das Chaos und der Wahnsinn. Das machte schon Spaß. Aber die Dinge, die mir fehlen, sind nichts im Gegensatz zu dem, was ich zurückgewonnen habe.
Was hast Du zurückgewonnen?
Mein Bewusstsein. Ein Gefühl für die Gegenwart, einen klaren Kopf und eine viel höhere Wertschätzung für das, was ich im Leben habe.
Sprechen wir über das neue Album, "Saturn’s Pattern" heißt es. Ist Astrologie ein neues Hobby?
Nein, ganz sicher nicht. Ich fand einfach, es klingt gut.
Du sagtest jüngst, es wäre eine Deiner besten Arbeiten. Denkt man das nicht immer, wenn man ein neues Album herausbringt?
Das stimmt schon, es ist meistens so bei neuen Platten. Ich denke tatsächlich sehr oft bei einer Veröffentlichung, das ist das Beste, was ich bislang gemacht habe. Man mag halt die neuen Songs, sie sind frisch im Ohr.
Gab es Alben, bei denen Du dachtest, das ist jetzt nicht so gut geworden?
Ja, das habe ich in der Tat. Aber dann ist es leider zu spät.
Gibt es eine bestimmte Tageszeit, die am besten fürs Songwriting ist?
Wenn ich arbeite, dann ist es immer spät in der Nacht. Wenn alle Kinder im Bett sind, wenn Ruhe einkehrt, dann ist es am besten.
Meine Tochter Anni hat mir wieder eine Frage mitgegeben: Was macht Paul Weller eigentlich so am Nachmittag?
Ich esse Lunch mit meinen Zwillingen. Wenn es schön draußen ist, gehen wir in den Park. Dann holen wir die anderen Kids von der Schule. Den ganz alltäglichen Kram wie ihr sicherlich auch. Und das ist wunderbar so.
Nach dem Album ist zumeist vor dem Album - gibt es schon Ideen für die Zukunft?
Nein, nicht wirklich, ich plane so etwas nicht. Live spielen, gute Platten machen. Ich will offen gestanden nicht viel anderes. Ich bin glücklich, genau das zu tun, was ich tue. Ich liebe es.
Im Sommer stehst Du im Londoner Hyde Park u.a. mit The Who auf der Bühne. Pete Townshend veröffentlich in Kürze eine weitere Version von 2Quadrophenia"…
… schon wieder?
Ja, als Klassikausgabe.
Oh Mann, das ist doch rubbish. Ich mag die kurzen Songs, "I can't explain", so etwas. Ich liebe "Pictures of Lily". Ich meine: Wie viele Studioalben haben The Who in 50 Jahren gemacht, etwa zehn? Warum nicht mehr? Immer wieder dieses Zeug.
Wäre sowas mit einem Weller-Album denkbar?
Nein, niemals.
"Stanley Road - das Musical" vielleicht?
Nein, fuck that. Ich schaue nach vorne. Neue Songs, neue Platten. Darum geht es, um nichts anderes.
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"The Jam - About the Young Idea" - eine Ausstellung über das stilprägende Trio im Londoner
Somerset House vom 26. Juni bis zum 31. August 2015
Mit Paul Weller sprach Ingo Scheel
Quelle: ntv.de