Kino

The ABCs of Death and Splatter Das "Jenke Experiment" mal anders

Szenenbild aus "American Mary": einer der Highlights der diesjährigen Fantasy Filmfest Nights

Szenenbild aus "American Mary": einer der Highlights der diesjährigen Fantasy Filmfest Nights

(Foto: Universal Pictures)

Seit Wochen redet Deutschland über Jenke von Wilmsdorff und seine Selbstversuche-Doku-Reihe. "Der macht das wirklich", heißt es da. Wochenlang saufen bis zum Umfallen beispielsweise. Das kann ich auch! Aber es muss schon etwas Neues sein. Nicht etwa bei einer Hartz-IV-Familie wohnen oder in 5 Stunden um 30 Jahre altern. Mein Selbstversuch dreht sich um Filme, Horrorfilme.

Fantasy Filmfest Nights: Fear Good Movies

Fantasy Filmfest Nights: Fear Good Movies

(Foto: Fantasy Filmfest Nights)

Mein Name ist nicht Jenke von Wilmsdorff. Aber ich muss zugeben, dass mich seine Selbstversuche faszinieren. Wochenlang als Alkoholiker? Das dürfte gehörigen Ärger zu Hause geben, auch wenn Alkoholis mus bei Journalisten ein Berufsrisiko ist, genauso wie das exzessive Rauchen. Ich versuche es einmal eine Nummer kleiner: Als Kinofan, dessen Jahresquantum bei um die 50 Filmen und mehr liegt - der Durchschnittsdeutsche schafft es statistisch gesehen nicht ein einziges Mal im Jahr ins Kino -, ist klar, welches Terrain ich mir vorknöpfen werde. Und die Fantasy Filmfest Nights (FFFNights) kommen mir da gerade recht: Zehn Filme an zwei Tagen. Jeweils fünf Horrorstreifen täglich, insgesamt mehr als zwanzig Stunden Blut, Mord und was das Genre sonst noch so hergibt. Wird mich das Experiment verändern?

Es geht los. Eine Spätschicht-Woche liegt hinter mir. Zypern kämpft gegen die Pleite. Mir egal. Es ist Samstagvormittag, ich habe ab jetzt andere Sachen im Kopf - den Eröffnungsfilm der FFFNights etwa. Ich fülle meinen Rucksack mit zwei kleinen Flaschen Wasser, zwei kleinen Bier, zwei Schokoriegeln und - dem Rat von Detlev Buck alias Karl Schmidt in "Herr Lehmann" befolgend ("Denkt an die Elektrolyte!") - auch noch mit je einer Tüte Nüsse und Salzbrezeln. Das war's. Ab zu "American Mary".

"American Mary": Extreme Body Modification in Fleisch und Blut

"American Mary": Extreme Body Modification in Fleisch und Blut

(Foto: Universal Pictures)

Ich habe mich vor dem Filmfest nicht informiert. Ich weiß absolut nichts über die gezeigten Filme, außer die Titel, denn sie stehen auf den Kinokarten. Aber die Zuschauerklientel der FFFNights ist redselig und mitteilungsbedürftig. "American Mary" sei der neue Film der Soska-Twins, höre ich da etwa. Soska-Twins? Kenne ich. "Dead Hooker In A Trunk", ihren Erstling, habe ich gesehen. Und nach "American Mary" bin ich mir sicher: Der neue Tarantino sind eineiige Zwillinge und hören auf den Namen Jen und Sylvia. Klingt komisch, aber ist so. Das Thema von "American Mary" ist der Beweis: Body Modification. Gespaltene Zungen und abgefeilte Zähne sind dabei noch völlig harmlos. Und wenn man als Medizinstudentin Geld verdienen muss, wieso dann als Stripperin arbeiten, wenn illegale Operationen doch so viel besser bezahlt werden?

"No One Lives": Hillbillies, Psycho-Killer und jede Menge Kunstblut

"No One Lives": Hillbillies, Psycho-Killer und jede Menge Kunstblut

(Foto: Tiberius Films)

Der Auftakt der FFFNights ist gelungen. Mit einem Bier und einem Schokoriegel weniger geht es zum zweiten Film: "No One Lives". Und wer dachte, dass Body Modification eine blutige Angelegenheit ist, sollte u nbedingt darauf achten, nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Wenn nämlich in den USA eine Hillbillie-Familie auf einen gestörten Psycho-Killer trifft, fließt das Kunstblut in rauen Mengen. Wenn den Film die FSK in die Hände bekommt, verschwindet er für Jahre in irgendwelchen staubigen Kellerverliesen - wie die "X"-Akten. Das kann ich euch versichern. Allein die Häcksler-Szene …

"The Collection": Slasher-Horror at it's best

"The Collection": Slasher-Horror at it's best

(Foto: Planet Media)

Irgendwie bin ich froh, nur leicht gefrühstückt zu haben. "No One Lives" liegt mir schwer im Magen. Aber kaum zu glauben, beim Thema Slasher-Horror geht es noch extremer: "The Collection". Dass s ich der Filmfestleiter Rainer Stephan für diesen "blutigen Samstag" bereits jetzt entschuldigt, lässt Böses ahnen. Er hat nicht übertrieben: Nach einem Danceclub-Massaker, das dank 11.1-Soundsystemausstattung des Kinos absolut bombastisch daherkommt, geht das Gemetzel erst richtig los. Ein durchgeknallter Massenmörder "sammelt" seine Opfer als Trophäen. Schnelle Schnitte, explodierende Menschen, offene Brüche. Dennoch verlässt kein Zuschauer den Kinosaal. Ich auch nicht. Erst beim Abspann. Wahnsinn.

"The Seasoning House": schwer verdaulich

"The Seasoning House": schwer verdaulich

(Foto: Capelight)

Mein Magen versucht, danach zu rebellieren. Beruhigung mit Bier geht nicht, die zweite Flasche ist bereits alle, ebenso sind d ie Nüsse aufgebraucht und die Schokoriegel. Das Wasser muss helfen. Und zum Glück steht mit "The Seasoning House" ein ruhigerer Film an, wie ein deutlich übergewichtiger Mittzwanziger in der Schlange am Einlass vielsagend andeutet. "Du Lügner!" will ich ihm nach dem Film in sein feistes Gesicht schreien. Aber er hat sich wohlwissend aus dem Staub gemacht. Ich unterdrücke meine Aggressionen. Mir wird klar: Nur weil wenig Blut fließt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass der Film leicht zu verdauen ist. Er spielt im Balkankrieg. Es geht um ein taubstummes Mädchen, das seine Familie verliert und in einem Bordell landet. Dort trifft es dann erneut auf die Mörder ihrer Familie. Eine minutenlange Vergewaltigungsszene ist zu viel für mich. Die Augen geschlossen, rächt sich jetzt das leider immer noch bombastisch klingende Kino-Soundsystem. Ein Horror. Nach dem Filmende ist der Masse der Zuschauer anzusehen, dass "The Seasoning House" nicht spurlos an ihnen vorübergegangen ist. Irgendwie ist das doch beruhigend.

"The ABCs of Death": Der Tod hat 26 Gesichter.

"The ABCs of Death": Der Tod hat 26 Gesichter.

(Foto: Capelight)

Zum Tagesabschluss steht "The ABCs of Death" auf dem Programm, sprich der Kinokarte. Die kurze Einführung vor dem Film läs st sofort die Erwartungen ins Unermessliche steigen: 26 Genre-Regisseure haben je einen Buchstaben des Alphabets zugeteilt bekommen und sollen mit einem Minibudget einen Kurzfilm zum Thema Tod drehen. Und da ist wirklich für jeden etwas dabei: Lustiges mit Spinnen, Mann beißt Hund - aber mal richtig, japanische Furzfantasien, japanische Libido-Exzesse und ein ratloser Regisseur, der nicht weiß, wie er den Buchstaben "Q" umsetzen soll. Beim "X" legt eine "XXL"-Frau selbst Hand an ihre Body Modification, mit jeder Menge elektrischem Gerät. Ich erkenne die weit über den Subtext hinausgehende Kritik am heutigen Schönheitswahn der Topmodel-Gesellschaft und denke kurz: "Wow". Dennoch: Gut schlafen kann ich nach den fünf Filmen nicht, der mexikanische Schneemann aus "The ABCs of Death" taucht in meinen Träumen auf und macht Jagd auf mich.

Sunday, bloody sunday?

Ich schrecke auf. Es ist Sonntag. 11.50 Uhr. Ich habe verschlafen und fühle mich wie gerädert. Ein Blick in den Spiegel beweist, dass fünf Horrorfilme am Stück als Vorbereitung für gesunden Schönheitsschlaf eher suboptimal sind. Eine Dusche und ein leichtes Frühstück später, geht es zurück ins Kino. Während der U-Bahn-Fahrt dahin verdränge ich die immer wiederkehrende Frage nach dem "Wieso machst du das eigentlich?"

"Citadel": Hoodie-Horror á la "Harry Brown"

"Citadel": Hoodie-Horror á la "Harry Brown"

(Foto: Films Distribution)

Die Antwort darauf liefert am Mittag der erste Film des Tages: "Citadel". Auch hierzu weiß ich nichts, aber bereits nach den ersten Credits ist mir klar, der muss gut sein: Schotten und Iren arbeiten zusammen. AYE! Und der Film ist gut. Beängstigend realistisch: Ein Mann muss hilflos mit ansehen, wie Jugendliche in Kapuzenpullis seine schwangere Freundin im heimischen, heruntergekommenen Plattenbau-Hochhaus ("Zitadelle" genannt) halbtot prügeln. So kommt der Mann zu einem zu früh geborenen Baby, einer ins künstliche Koma versetzten Frau und einer handfesten Angstpsychose. Natürlich muss er sich der irgendwann stellen. Eine viel zu gutherzige Krankenschwester, ein durchgeknallter Priester und ein blinder Junge helfen ihm dabei. "Citadel" ist eine Mischung aus "F", "Rosemary's Baby" und "Harry Brown". Das absolute Highlight der FFFNights - bisher. So kann der Tag weitergehen.

"Painless": spanischer Mystery-Thriller mit Tiefgang

"Painless": spanischer Mystery-Thriller mit Tiefgang

(Foto: Senator)

Natürlich geht er nicht so weiter. Er wird zusehends anspruchsvoller. "Painless" im spanischen Originalton mit englischen Untertiteln. Ich hasse spanische Filme mit englischen Untertiteln. Irgend wie hat man bei dem Stakkato-Sprech der Spanier immer das Gefühl, mit dem Lesen der englischen Texte nicht hinterherzukommen und etwas Wichtiges zu verpassen. Nur chinesische Filme mit englischen Untertiteln sind noch schlimmer. Jetzt rächt sich auch die nicht ganz optimale Vorbereitung: Zwar sind Bier und Wasser wieder im Rucksack, ebenso wie Schokoriegel und der Rest Brezeln. Aber null Koffein. Ich verliere den Faden der Handlung. Bruchstückhaft zieht "Painless" an meinem inneren Auge vorbei: Kinder, die keinen Schmerz spüren. Spanien in den 1930er Jahren. Ein deutscher Arzt. Nazis. Bürgerkrieg. Ein an Krebs erkrankter Neurochirurg und am Ende ein Feuer. Als die Zuschauer um mich herum applaudieren, bin ich plötzlich munter. Ich merke den Film sicherheitshalber als DVD-Kauf vor, so er es denn nicht ins normale Kinoprogramm schaffen sollte.

"John Dies At The End" erscheint in Kürze auf DVD und Blu-ray.

"John Dies At The End" erscheint in Kürze auf DVD und Blu-ray.

(Foto: Pandastorm)

Der mehrfache Sekundenschlaf bei "Painless" lässt mich dafür im Anschluss "John Dies At The End" in vollem Bewusstsein genießen. Das ist auch gut so. So etwas nennt man wohl Trash-Horror. Völlig durchgek nallt. Aberwitzige Dialoge. Eine aus Sojasoße bestehende Superdroge. Außerirdische Monster. Parallelwelten. Skurrile Figuren mit noch schrägerem Humor und eine Bratwurst!!! Als Handy. Da freut sich der Thüringer, auch wenn das komische Etwas in dem labbrigen Hotdog-Brötchen nichts mit der Original Thüringer zu tun hat. Aber das Wort "Bratwurst" taucht mehrfach in dem Film auf - ebenso wie überdimensionale Geschlechtsorgane und der Hinweis: "Was immer du siehst, dreh nicht durch!" Besser lässt sich der Film nicht zusammenfassen.

Ich habe zum ersten Mal herzhaft gelacht bei den diesjährigen FFFNghts, fällt mir danach im Abspann auf, der noch Teil des Films ist. Ich hätte aber auch den Abspann sausen lassen sollen, denn vor dem Kinosaal wartet bereits eine Horde Filmfans auf den Einlass zum nächsten Streifen. Egal was ich auch versuche, weiter vor als bis zur Mitte der Schlange schaffe ich es nicht. Jetzt rächt sich auch, dass die FFFNights in Berlin die bestbesuchten des Landes sind - und eine deutsche Institution. "Typisch deutsch!" sagt eine junge Frau mit Schweizer Akzent, als sie im Kino dann die bejackten Sitzreihen erblickt. Egal, was die "Bild" auch schreiben mag, der "Handtuch-Krieg auf Mallorca" ist nichts gegen diesen Jacken-Krieg. Da der Film auch noch über-ausverkauft ist, nehme ich auf der Treppe Platz. Armes Deutschland. Da könnte ich ja gleich noch im Oster-Verkehr mit der Deutschen Bahn ohne Sitzplatz-Reservierung quer durch Deutschlad fahren. Zum Glück geht in diesem Moment das Licht aus, somit bleibt mein kurzes verrücktes Lachen im Dunkeln - und hoffentlich unbemerkt.

"Stoker": Psychothriller von Chan-wook Park mit Starbesetzung

"Stoker": Psychothriller von Chan-wook Park mit Starbesetzung

(Foto: 20th Century Fox)

Verdammt! Ein Film mit Nicole Kidman. Wieso ist der Kinosaal dann so proppenvoll? Ah, der Regisseur ist Chan-wook Park, seit "Oldboy" eine echte Genre-Legende. "Stoker" heißt sein neuer Film, produziert von den Scott-Brüdern Ridley und Tony (RIP). Ein Psychothriller par excellence, wie sich herausstellt. Wunderbar ausgeleuc htete Bilder, die selbst von linksaußen auf der Treppe ihre hypnotische Wirkung voll ausspielen. Kameramann und Regisseur verstehen ihr Handwerk. Keine Frage. Dazu eine etwas durchgeknallte Geschichte samt Mutter-Tochter-Konflikt. Aber trotzdem: Nicole Kidman? Ich runzele die Stirn. Ich kann das noch ohne Probleme.

Der Platz auf der Treppe garantiert mir ein schnelles Entkommen aus dem Kino und damit einen Sitzplatz für den Abschlussfilm. Es wird Zeit, merke ich. Mein Bauch gibt mir mehrfach zu verstehen, dass Ernährung mit Bier, Nüssen, Brezeln und Schokolade nicht mehr wirklich so seine Sache ist. Sein Gurgeln erinnert an das Röcheln der Opfer in "No One Lives". Ich versichere ihm, dass es nur noch ein Film ist und deute das anschließende Gurgeln als "Ok. Schon gut".

"The Bay": Umweltschocker von Oscar-Gewinner Barry Levinson

"The Bay": Umweltschocker von Oscar-Gewinner Barry Levinson

(Foto: Koch Media)

Der letzte und zehnte Film heißt "The Bay". Klingt vielversprechend. Nach Haien. Vielleicht sogar Piranhas? Nicht wirklich, merke ich schnell. Es ist ein Found-Footage-Film. Immerhin. Wackel-Kameras. Dazu bruchstückhaft Informationen zur Handlung. Und die ist wieder einmal erschreckend real. Pferdefleisch in Tiefkühl-Lasagne? In Claridge an der idyllischen Chesapeake Bay ist es eine Hühner-Mastfarm, die für Wi rbel sorgt. Die Exkremente des lieben Federviehs werden natürlich aus Kostengründen (diese fiesen Kapitalistenschweine!) direkt in die Bucht eingeleitet. Der Boden ist bereits zu 40 Prozent tot. Und dann passiert's: Millionen toter Fische, zwei tote Taucher, zig tote Einheimische. Passenderweise alles am 4. Juli. Aber in den Medien taucht nichts darüber auf. Wieso eigentlich nicht? Das FBI wusste doch Bescheid. Und selbst das Weiße Haus … Oscar-Gewinner Barry Levinson ("Rain Man") appelliert mit diesem Umweltschocker an unser Gewissen.

"The Bay" ist der richtige Film, um die FFFNights 2013 mit einem mulmigen Gefühl zu verlassen. Ich stelle wieder einmal fest: Horror ist längst alltäglich geworden. Das ist nicht gerade beruhigend. Beruhigend ist dagegen schon eher, dass ich bis auf ein paar Magenprobleme und eine schlaflose Nacht keine unmittelbaren gesundheitlichen Folgen nach meinem Horror-Experiment an mir feststellen kann. Zumindest äußerlich nicht. Jenke von Wilmsdorff kann stolz auf mich sein. Ich zumindest bin es. Ein paar Stunden Schlaf werden alles wieder richten. Und dann am besten ein leckerer Teller Hühner-Frikassee aus der Dose. Für zwei Euro. Oder doch lieber eine Bratwurst? Die kriegt man in Berlin schon für 1,20 Euro und direkt an der U-Bahn.

Quelle: ntv.de

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