Panorama

Süßer Wein und scharfes Essen "Lasst die Mosel durch China fließen!"

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Das China-Restaurant "Hotspot" in Berlin ist ein Mekka für Gäste, die Wein lieben. Davon zeugen nicht nur die vielen leeren Flaschen, die überall stehen, sondern auch die Urkunde des Restaurantführers Gault Millau aus dem Jahr 2014: "Weinkarte des Jahres".

Das China-Restaurant "Hotspot" in Berlin ist ein Mekka für Gäste, die Wein lieben. Davon zeugen nicht nur die vielen leeren Flaschen, die überall stehen, sondern auch die Urkunde des Restaurantführers Gault Millau aus dem Jahr 2014: "Weinkarte des Jahres".

(Foto: Peter Littger)

Asiatisches Essen, das, reichlich gewürzt, am Gaumen brennt, gepaart mit einem edlen deutschen Tropfen? Unmöglich, so die verbreitete Meinung. Dabei sind es vor allem die süßen Weißweine aus Deutschland, die den Genuss steigern. Im Restaurant "Hotspot" funktioniert das spitzenmäßig.

Esst langsam! Das ist ein alter chinesischer Rat. Für Kenner gibt es noch einen zweiten, etwas neueren: Trinkt deutschen Wein dazu! "Ich bin hundertprozentig davon überzeugt", sagt Jianhua Wu, der es am liebsten mag, wenn "die Tropfen schon ein bisschen älter und restsüß sind". Das bedeutet, dass der Zucker in den Trauben zum Zeitpunkt der Gärung nicht vollständig in Alkohol verwandelt wurde. Und dieser Zeitpunkt könne ruhig 10, 20 oder 30 Jahre her sein, so Wu.

Der Berliner Gastronom Jianhua Wu mit einem Wein seines mittlerweile geschlossenen deutschen Lieblingsweingutes "Jos. Christoffel jun." Der Vorname Jianhua bedeutet übrigens in maoistischer Tradition "Fortschritt" - und der ist Wu in puncto "Wine Pairing" hervorragend gelungen.

Der Berliner Gastronom Jianhua Wu mit einem Wein seines mittlerweile geschlossenen deutschen Lieblingsweingutes "Jos. Christoffel jun." Der Vorname Jianhua bedeutet übrigens in maoistischer Tradition "Fortschritt" - und der ist Wu in puncto "Wine Pairing" hervorragend gelungen.

(Foto: Peter Littger)

Er hält eine Flasche in den Händen, auf der "Ürziger Würzgarten Spätlese" steht. Darunter "Riesling halbtrocken" und darüber die Jahreszahl 2001. Es ist ein weißer oder, wie sich bald zeigen soll, ziemlich gelber Wein von der Mosel. Der Winzer Karl-Josef Christoffel starb 2021, seine Weingärten sind heute an das Weingut von Markus Molitor verpachtet. Die Flasche ist also eine Rarität.

Schweinebauch. Stille. Schmatzen

"Kajo hat mir die Augen und vor allem den Gaumen geöffnet", sagt Wu. Er wurde in China groß, kam 1984 als Maschinenbaustudent mit einem staatlichen Stipendium nach Berlin - und dann zum Ärger der chinesischen Funktionäre ab vom programmierten Pfad. Wu kellnerte und wurde bald Gastronom. Einer, der es heute versteht, die verschiedenen Küchen seiner Heimat - die scharfe aus Sichuan und die eher milde aus Shanghai - mit feinsten Weinen zu kombinieren: aus Frankreich, aus Übersee und vor allem aus Deutschland. "Wir verbinden nicht nur zwei Arten zu kochen, sondern auch zwei Welten: Essen und Wein." Wu schenkt die Spätlese in die Gläser und sagt: "Gleich lassen wir die Mosel durch China fließen."

Seine Frau Huiqin Wang bringt die Vorspeisen, nach der pikanten Art Sichuans: "Yuxiang-Qiezi", eine Aubergine mit Hackfleisch vom Schwein in einer Knoblauchsoße. Dazu einen mit Salz gebratenen Schweinebauch mit schwarzen Bohnen. Und eine kleine Portion knusprig gebratene Ente, die in Teeblättern geräuchert wurde. Wu breitet die Hände aus und beginnt sofort zu essen, zunächst ohne den Wein. Stille. Und Schmatzen.

Eine lauwarme Munddusche voller Aromen

Alles schmeckt neu und ist aufregend lecker - süß, sauer, scharf. Die Aubergine eher fett und würzig, sie ähnelt am Gaumen einem europäischen Braten. Der Schweinebauch mit einer Schärfe, die leicht sticht und zunimmt, aber dank des gegarten Gemüses nicht alles abtötet. Es folgt ein satter, erdiger Geschmack. Dann das enorm zarte Entenfleisch. Es hat eine rauchige Note und hinterlässt auf dem Weg in den Magen eine liebliche Schärfe, gewissermaßen im Überflug.

Wu hebt sein Glas und trinkt. Mit geschlossenen Augen, als inszeniere er einen Moment der Andacht und des Respekts. "Schmeckst du das?", fragt er. Tatsächlich passiert etwas im Mund. Die leicht süßen und die sauren Aromen der Spätlese, die ein wenig an Orangen erinnern, legen sich auf die Zunge wie ein Film. Darunter konzentrieren sich langsam noch einmal die Aromen des Essens - doch milder, runder, öliger. Dann schwemmt alles in die Wangen und schließlich in den Rachen. Die Schärfe schwindet spürbar und hinterlässt ein Gefühl von Frische. Eine faszinierende Frische. Vielmehr eine Munddusche voller Aromen! "So", sagt Wu triumphierend. "Ich empfehle das Ganze noch einmal mit Essen!"

Joschka Fischer ist Stammgast - Gerhard Schröder auch

Die Pekingente wird auf dem Teller mit Reisfladen, Porree, Gurken und einer dickflüssigen Weizensoße gegessen. Dazu eine goldgelbe 1995er Auslese vom "Ürziger Würzgarten" an der Mosel.

Die Pekingente wird auf dem Teller mit Reisfladen, Porree, Gurken und einer dickflüssigen Weizensoße gegessen. Dazu eine goldgelbe 1995er Auslese vom "Ürziger Würzgarten" an der Mosel.

(Foto: Peter Littger)

Das Restaurant "Hotspot", in dem wir sitzen und genießen - und in dem auf jeder sich bietenden Stellfläche leere Flaschen kostbarer Weine ausgestellt sind - befindet sich in der Berliner Eisenzahnstraße, um die Ecke vom Adenauerplatz. Nach einigen gastronomischen Anläufen und auch Misserfolgen versuchte es Wu hier 2007 "noch ein letztes Mal", wie er betont. Diesmal klappte es, das "Hotspot" wurde seinem Namen gerecht - und zu einem heißen Tipp. Seitdem ist es ein Treffpunkt für Genießer. Prominente Hedonisten pilgern zu Wu, zum Beispiel Joschka Fischer - mal mit und etwas häufiger ohne Gerhard Schröder.

"Auch bekannte Weinkritiker kommen immer wieder vorbei", betont Wu nicht ohne Stolz. Er selbst ist Autodidakt. "In China habe ich nie Wein getrunken und in Deutschland am Anfang nur billigen Fusel aus Tetrapacks", sagt er. "Bis ich irgendwann richtig guten Wein probiert habe."

Chinesische Investoren an der Mosel

Dieses "Irgendwann" war ein Weg von ungefähr zehn Jahren, an dessen Anfang Neugier und eine Bestellung von zwölf Kisten Rotwein aus Bordeaux stand. "Ich wollte verstehen, warum Menschen 20, 30 oder sogar 100 Mark für eine Flasche ausgeben", sagt Wu. "Mit dem ersten Schluck habe ich es verstanden!" Fortan kombinierte er scharfes Essen mit dieser Art Wein, das Zusammenspiel der Gerbstoffe und der Gewürze im Essen mag Wu noch heute. Mit seiner neu entdeckten Leidenschaft blieb er allerdings vorerst alleine, ein Wine Pairing - also: Welcher Wein passt zu welchen Speisen? - im damaligen Restaurant gab es nicht. Wohl auch aus Hemmung, weil er keine Ausbildung als Sommelier hatte.

Den Mut entwickelte Wu erst, nachdem er 2003 einen Anruf aus China bekommen hatte: Ein Mann, der sich für deutschen Wein interessierte, bat um eine Tour an die Mosel. Wu war dankbar für den Zufall und den Anlass, da er das legendäre Tal noch nie besucht hatte. "Ich schaute im Gault Millau nach und fand viele Einträge. Als besonderer Tipp wurde Kajo Christoffels Weingut genannt". Die Verabredung war leicht und sie wurde zu einem unvergesslichen Erlebnis. Wus erster Wein von Christoffel war ein Riesling Kabinett, der etwas mehr Alkohol und etwas weniger Zucker als eine Spätlese hat. "Das Wort, das mir im Rückblick einfällt, ist Melancholie: Ich war traurig und auch glücklich. Weil mir klar wurde, welchen Genuss ich im Leben verpasst hatte - und wie viel noch vor mir lag!"

Was Wu nicht ahnte: Der fremde Chinese war ein Strohmann der Investoren, die 13 Jahre später zum ersten Mal an der Mosel und überhaupt in Deutschland ein Weingut kaufen sollten, um Restaurants und Geschäfte in China zu versorgen. Heute gehört ihnen der Mönchhof in Ürzig und das Weingut "Joh. Jos. Christoffel Erben" - ausgerechnet! Es war viele Jahre eine Art Schwesterbetrieb von Kajo Christoffel.

Die Weinkarte ist lang - und voller Schnäppchen

Wu hat inzwischen in der Küche Bescheid gegeben fürs kulinarische Finale: Pekingente. Und er ist in sein Lager verschwunden, um einen weiteren seiner Lieblingsweine zu holen, den er vorsichtig auf dem Tisch platziert, als er zurückkommt: Eine "Riesling Auslese", ebenfalls von "Jos. Christoffel" und ebenfalls vom "Ürziger Würzgarten", aber aus dem Jahr 1995. Während die Spätlese neun Prozent Alkohol enthält, sind es in der Auslese nur noch 7,5 Prozent. "Nach einer Flasche dreht sich noch nichts", sagt Wu.

Eine Kellnerin präsentiert die Pekingente, bevor diese in Tranchen zerlegt und serviert wird.

Eine Kellnerin präsentiert die Pekingente, bevor diese in Tranchen zerlegt und serviert wird.

(Foto: Peter Littger)

Auf der Weinkarte des "Hotspot" kostet diese Auslese 110 Euro - was teuer erscheinen mag, aber als Schnäppchen gelten kann, da man mindestens dieselbe Summe in einem Geschäft bezahlen müsste, sofern dieser seltene Wein überhaupt noch angeboten wird. Längst hat sich in der deutschen Weinszene herumgesprochen, dass Wu nicht viel auf seine Einkaufspreise schlägt und so gut wie nichts für die jahre- und oft jahrzehntelange Lagerung verlangt.

"Mir ist klar, dass manche Gäste deshalb zu mir kommen", sagt Wu und tippt mit dem Finger auf einige Posten in seiner sehr langen Weinkarte: 69 Euro für eine fruchtsüße Spätlese von Markus Molitors "Niedermenniger Herrenberg" aus dem Spitzenjahr 2003. Oder 139 Euro für eine 28 Jahre alte Riesling-Auslese mit Goldkapsel vom "Saarburger Rausch" des Weingut Zilliken.

Wer nicht zu einer ganzen Flasche greifen möchte, kann in Standardgläsern für rund acht Euro vier bis sechs Jahre alte, restsüße Weine der Güter Markus Molitor, Reichsgraf von Kesselstatt oder Witwe Dr. H. Thanisch bestellen.

Die Pekingente ist gelandet

Erst als Wus Finger abrutscht und in der Abteilung "Rar und Edel im Glas" landet, wird deutlich, dass ein Ausflug ins "Hotspot" auch sehr teuer werden kann. Ein halbes Glas des "G-Max Riesling" vom Weingut Klaus-Peter Keller kostet 270 Euro, die Flasche des Jahrgangs 2014 sogar 1590 Euro. "Der Preis ist das eine. Dass ich diesen Kultwein überhaupt habe, ist das andere", sagt Wu - und er hat recht: Nur wenige kommen in den Genuss sogenannter Zuteilungen durch das Weingut Keller. Und wer genau diesen Wein in einem Geschäft findet, muss oft einige Hundert Euro mehr zahlen als bei Wu.

Inzwischen ist die Ente auf dem Tisch gelandet – in sorgfältig übereinander gefächerten Scheiben ihrer festen, glänzend braun gebratenen Haut mit dünner Fettschicht und ganz wenig Fleisch. Über mehrere Stunden und in einem speziellen Grill sei sie mit Öl begossen und gebraten worden, erklärt Wu. Das rechtfertigt den Preis: 25 Euro für den Teller mit den Tranchen, 40 Euro inklusive Fleisch und Gemüse als zweiten Gang. "Jetzt trinken wir direkt", sagt er - mit leicht erhobener Stimme. Ihm ist anzumerken, dass er sich freut: "Auf das Hochgefühl!"

Die Trockenbeerenauslese bleibt im Keller

Das Fett der Ente erweist sich als Geschmacksverstärker für den Wein. Er hat Aromen von Apfel und Aprikosen, Orangen, Balsamico und dann immer mehr Zwiebeln, Minze und sogar ein bisschen Lakritze. Und das alles in einem angenehmen Gleichgewicht. Während der Gast schweigend auf diesem bombastischen Geschmack herumkaut, beginnt Wu von neulich zu schwärmen: Ein Gast habe in just diesem Moment noch einmal auf die Weinkarte geschaut und einen "Graacher Domprobst Riesling" von Kajo Christoffel bestellt: als hoch konzentrierte Trockenbeerenauslese aus dem Jahr 1976 und zum Preis von 890 Euro. Für ihn selbst sei dabei auch ein Glas herausgesprungen.

Wu schaut den Gast fragend an. Die Antwort ist nüchtern: "Vielleicht beim nächsten Mal." Wu lacht.

Quelle: ntv.de

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