
Ein seidiger Spätburgunder geht eigentlich immer.
(Foto: imago images/CHROMORANGE)
Deutschland hat keine tollen Weine, schon gar keine roten, so eine verbreitete Meinung. Der schlechte Ruf resultierte aus einer historischen Durststrecke, die der "Verband der Prädikatsweingüter" (VDP) nun feierlich für beendet erklärt hat. Zu Recht! Über "Grosse Gewächse" und kleine Fortschritte.
Es gibt italienische Weinkenner, die erklären, deutscher Riesling schmecke nach Katzenpipi. Es gibt englische Weinkenner, die erklären, deutscher Riesling schmecke nach Garage. Und es gibt deutsche Winzer wie den Moselaner Markus Molitor, der ohne Zweifel ein Weinkönner ist und der die verbreiteten Urteile kennt. Vielen Menschen schmeckt Rieslingwein neben sogenannten phenolischen Noten ganz einfach zu süß oder zu sauer. Da Molitor die Früchte seiner Arbeit mit der urdeutschen Traube vielleicht demnächst nach Amerika trägt, sagt er: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich dann überhaupt Riesling aufs Etikett schreiben würde."
Damit würde Molitor noch einen Schritt weiter gehen als Ernst Loosen, ein anderer Weinbaron an der Mosel. Schon seit Jahren bringt er ziemlich viel Riesling unters amerikanische Volk. Auf den Etiketten seiner "Loosen Bros." bleibt die Rebsorte nicht unerwähnt, doch im Vordergrund steht der Markenname: "Dr. L".
Der exklusive Weinclub VDP definiert Qualität
Mit solchen Verkaufsmethoden - die sich an den immerhin größten Weinmarkt der Welt richten - liegen Molitor und Loosen nicht auf der Linie des VDP. Das ist der "Verband Deutscher Prädikatsweingüter", dem Molitor nie beigetreten ist, während Loosen zu den ältesten Mitgliedern zählt. Obwohl der VDP als exklusiver Club von 200 Winzerinnen und Winzern nur einen Bruchteil des in Deutschland hergestellten Weins vertritt - geschätzt fünf Prozent der Menge und knapp zehn Prozent des Umsatzes - versteht er sich als Hüter und als Leitinstanz für Qualität.
Das bekannteste Erkennungsmerkmal des VDP ist ein stilisierter, beinahe amtlicher Adler am Flaschenhals. Darüber hinaus gibt es Bezeichnungen wie "Gutswein", "Ortswein", "Erste Lage" oder "Große Lage". An der Spitze dieser "Qualitätspyramide" entstehen "Grosse Gewächse" - kurz "GG". Obwohl es diese Klassifizierung allen leichter machen soll, die Herkunft und die Verarbeitung der Trauben zu erkennen, sorgt sie nicht nur unter Laien für Verwirrung.
Weinideologische Zeitenwende vor 20 Jahren
Seit Jahrhunderten hatte man deutschen Wein mit sogenannten Prädikaten wie "Kabinett", "Spätlese" oder "Auslese" bezeichnet - was sich weiterhin im "P" des VDP spiegelt und bis heute für die Weine von Markus Molitor gilt. In der neuen Sprachregelung des VDP sind Prädikate nur noch süßen Weinen vorbehalten, sodass sie folglich niemals "Grosse Gewächse" sein können - selbst wenn sie in aller Welt viele Fans haben, die vor der Größe deutscher "Beeren-" oder "Trockenbeerenauslesen", zum Beispiel von Egon Müller, dahinschmelzen wie nasse Zuckerwürfel. Preise von mehreren 100 oder sogar 1000 Euro pro Flasche sind der Beweis. Sie verdienen genau genommen das Prädikat "gesalzen".
Der Grund für die offizielle Diskriminierung sogenannter edel- oder restsüßer Weine - ohne Zweifel eine luxuriöse Spezialität aus Deutschland - ist eine weinideologische Zeitenwende. Sie wurde vom VDP nach wilden Diskussionen vor genau 20 Jahren ausgerufen, um den Ausbau trockener deutsche Spitzenweine zu fördern, allen voran trockener Rieslinge, selbst wenn diese für viele Menschen geschmacklich problematisch sind. Das übergeordnete wirtschaftliche Ziel lag darin, der "Verramschung des deutschen Weins" ein Ende zu setzen, so die Zusammenfassung des Pfälzer Winzers und VDP-Präsidenten Steffen Christmann.
Deutsche Weine wurden verramscht
Tatsächlich blickte man damals zurück auf eine furchtbare Durststrecke von rund vier Jahrzehnten, in denen Ausschussmengen und industrielle Methoden, also Quantität und Effizienz, auch für viele VDP-Betriebe wichtiger gewesen waren, als Gaumenfreuden zu produzieren. Das führte nicht nur zu einem massiven Verfall des Ansehens, der Nachfrage und der Preise, sondern auch zu einer bis heute andauernden, beinahe panischen Angst vor "lieblichen" Weinen. Sie waren millionenfach und relativ billig als "Liebfrauenmilch" oder "Blue Nun" verkauft worden und mit einem an Genialität grenzenden Marketing zu Inbegriffen für "German Wine" geworden. Hatten deutsche Weine am Anfang des 20. Jahrhunderts die internationalen Preislisten sogar vor Bordeaux und Burgunderweinen angeführt, erschien es an dessen Ende nur noch utopisch, jemals wieder Deutsches unter den feinsten und teuersten Weinen der Welt zu finden.
Bleibt die Frage, was seit 2002 in den schweren Flaschen mit der Aufschrift "GG" gereift ist. Kann Deutschland nach der langen Flaute wieder Spitzenweine? Eine besondere Gelegenheit zum Vergleich bot die Jubiläumsfeier des VDP "20 Jahre Grosses Gewächs", die Ende August in Wiesbaden stattfand. Während Steffen Christmann feierlich und selbstbewusst "die Renaissance des deutschen Spitzenweins" verkündete, bekamen rund 400 Gäste reichlich Proben aus zwei Jahrzehnten.
Mal wieder spielte die "Phenolik" der Weißweine eine überragende Rolle, da sie sich in gereiften Rieslingen bildet, die erwartungsgemäß die Verkostung dominierten. Wer diese Aromatik mag, konnte längst nicht in allen, aber doch in vielen Flaschen - trocken sowie restsüß - ein köstliches und anregendes Zusammenspiel aus Säure, Frucht, Gerbstoffen und Alkohol finden. Zum Beispiel im 2004er Nonnenberg vom Weingut Georg Breuer aus dem Rheingau. Der Riesling war ein ausgezeichnetes Beispiel für die wiedergewonnene Qualität und für die Lagerfähigkeit weißer deutscher Spitzenweine. Zugleich repräsentierte er die Aufregung um die Zeitenwende, da Winzer Georg Breuer, der im Jahr 2004 verstarb, zuvor unter Protest aus dem VDP ausgetreten war. Postum wurde ihm trotzdem eine "Goldene Ehrennadel" verliehen. Steffen Christmann sprach dabei offen aus: "Ohne Breuers Einsatz könnte auch ich heute nicht 60 Euro für meine eigenen 'Grossen Gewächse' verlangen."
Rotweine überzeugen besonders
Was die Wertschöpfung in der Zukunft betrifft, muss allerdings betont werden, dass es die roten Weine aus der Spätburgunder-Traube waren, die in Wiesbaden am meisten beeindruckten: mit großer Beständigkeit und oft auch Jugendlichkeit. Die Rede ist von der Rebsorte, die in Frankreich "Pinot Noir" heißt und die in einigen Regionen Deutschlands sowie in der Schweiz "Blauburgunder" genannt wird.
Durch die allgemeine Erwärmung, die mit der Klimaveränderung einhergeht, spekulieren nicht wenige Experten, dass es "der Spätburgunder" ist, der auf dem deutschen Terroir das größte Potenzial entwickelt. So entstehen zum Beispiel mittlerweile an der relativ nördlich gelegenen Ahr Rotweine, die vor der Zeitenwende noch nicht möglich erschienen. Sie sind dermaßen hochwertig - Verkoster sprechen gerne von "seidig" - dass sie bereits mit teuren roten Weinen aus dem französischen Burgund verglichen werden.
So ist auch der Brite Pierre Mansour überzeugt, dass vor allem der Spätburgunder - nicht der Riesling - in den nächsten Jahren zum Markenzeichen deutscher Spitzenweine aufsteigt. Mansour ist in London als "Director of Wine" für den Einkauf der genossenschaftlich organisierten "Wine Society" verantwortlich und berichtet von einer stark steigenden Nachfrage. Während die 180.000 Mitglieder der Wine Society im Jahr 2019 insgesamt 40 Prozent mehr Wein kauften, sei der Absatz deutscher Weißweine um 67 Prozent und deutscher Rotweine gar um 81 Prozent gestiegen.
Während der deutsche Pinot Noir also einen großen geschmacklichen Nerv zu treffen scheint, erobert er sich langsam seinen Markt. Weingüter wie Jean Stodden an der Ahr, Solveig im Rheingau, Fürst in Franken, Schnaitmann in Württemberg und nicht zuletzt auch Molitor an der Mosel arbeiten längst kräftig daran.
Unterdessen ist Pierre Mansour überzeugt: "Deutsche Weine werden dann bekannter, wenn es gelingt, wieder Marken abzufüllen wie früher die süße betörende 'Blue Nun' - nur viel besser!" Mit anderen Worten: Neben dem Geschmack kommt es auf die Vermarktung und die sogenannte Wiedererkennung an.
Eine neue "blaue Nonne"?
Allen sollte klar sein, dass die generische Dachmarke "GG" des VPD nicht automatisch Unverwechselbarkeit und große Weinmarken schafft. Auch sind deutsche Winzerinnen und Winzer wahrscheinlich gut beraten, wenn sie Riesling nicht um jeden Preis ins Rampenlicht stellen, süße Weine nicht verstecken und vor allem nicht nur nebenbei hervorragende Rotweine produzieren. Darüber hinaus sollten sie nicht alleine auf genaue und gediegene Herkunftsbezeichnungen setzen - da sie nicht nur im Fall eines "Ürziger Würzgarten" für sehr viele Menschen ohne Deutschkenntnisse unaussprechlich sind.
Keine Frage: Durch harte Arbeit in den Weinbergen und -kellern ist in den vergangenen 20 Jahren eine Menge erreicht worden, um einen neuen Wert - und eine neue Wertschätzung - für den deutschen Wein zu schaffen. Allerdings ist zu erkennen, dass es nicht zuletzt an den Etiketten in den nächsten 20 Jahren noch viel zu optimieren gibt. Molitor und Loosen haben das längst erkannt.
Quelle: ntv.de