Familiäre Herausforderung Patchwork ist alles andere als Bullerbü


Für die Kinder ist die neue Konstellation nicht leicht, für die Erwachsenen aber auch nicht. Umso wichtiger ist es, sich nicht von Erwartungen verrückt machen zu lassen.
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Patchworkfamilien sind für viele Menschen Alltag, doch die Herausforderungen und die Erwartungen sind groß. Denn in diesen Familien entstehen komplexe Beziehungen und Konflikte. Das Versprechen eines harmonischen Familienlebens wird dann schnell zur Illusion.
Seit sechs Jahren berät Lisa Jahns Menschen bei den Herausforderungen des Patchwork-Lebens. Meine Kinder, deine Kinder, deine alte Beziehung, unsere neue Beziehung - das alles wird mit dem Bild der bunt zusammengewürfelten Flickendecke eher unzureichend beschrieben, auch wenn das für immer mehr Menschen ihre Familienkonstellation ist.
"Meist kommen die Frauen in die Beratung", erzählt Jahns ntv.de. Mit einem Gefühl von grundsätzlicher Überforderung. "Sie wissen einfach nicht mehr weiter, kommen im Alltag nicht klar, berichten von totalem Chaos." Im Gespräch kristallisieren sich dann schnell die Problemfelder heraus.
So unterschiedlich die Familien sind, die Probleme ähneln sich. Wer übernimmt welche Aufgaben in der Patchworkfamilie? Welche emotionale Beziehung muss oder soll man zu den Stiefkindern haben? Wie werden die Finanzen geregelt?
Zusammen mit ihrem Mann Torsten Geiling hat Jahns den Ratgeber "Du wusstest doch, dass ich Kinder habe" geschrieben, der Patchworkeltern unterstützen soll. Beide kennen die Herausforderungen gut. Als sie sich trafen, hatte Geiling bereits zwei Kinder. Gemeinsam hat das Paar ebenfalls zwei Kinder. "Ich wollte es allen recht machen, der neuen Familie, den Kindern aus der alten Familie, die ja irgendwie auch zu der neuen dazugehören", erzählt Geiling, der als systemischer Coach arbeitet, über die erste Zeit. Jahns erinnert sich, dass sie zwar schon gewusst habe, dass sie Kinder will, ihr Schwerpunkt aber noch auf ihrem Berufsleben lag. "Das waren sehr unterschiedliche Grunderwartungen", erinnert sie sich.
Aktuell geht man davon aus, dass zwischen 7 und 13 Prozent aller Familien in einer Patchworkkonstellation leben. Genauere Zahlen gibt es nicht, weil sich die organisatorische und rechtliche Vielfalt dieser Familien kaum erfassen lässt. Es gibt Stiefmutter- oder Stiefvaterfamilien, aber auch komplexe Gebilde, in denen beide Erwachsene eigene Kinder haben, die im gleichen Haushalt leben und zu denen manchmal noch gemeinsame Kinder hinzukommen. Viele Menschen, die so leben, berichten von der Bereicherung, die das Zusammenleben bringt.
Die böse oder die perfekte Stiefmutter
Jahns wurde jedoch schnell klar, dass die zusammengewürfelte Familie auch Schattenseiten hat und vor allem mit der Stiefmutterrolle erhebliche gesellschaftliche Erwartungen verbunden sind. "Von Stiefeltern, besonders Stiefmüttern, wird erwartet, dass sie wirklich eine komplette Mutterrolle übernehmen", sagt sie. Sie sollen Rücksicht auf die Trennungskinder nehmen, die Stiefkinder genauso lieben wie die eigenen, und natürlich in der Alltagsorganisation für alle Kinder gleichermaßen perfekt funktionieren. Dass sie dahinter ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, wird geradezu als selbstverständlich angenommen. Schließlich wusste sie ja, dass der neue Partner schon Kinder hat.
Doch das sei ein Totschlagargument, denn die Beziehung, die der leibliche Elternteil zu seinem Kind hat, lässt sich nicht einfach nachholen. Jahns rät zu Realismus. "Da werden einfach zwei Menschen zusammengewürfelt, die sich das beide nicht ausgesucht haben. Die Beziehung, die daraus entsteht, ist relativ offen."
"Man darf da glaube ich, keine Erwartungen haben, weil man es gar nicht steuern kann", sagt auch Antonia Kühn ntv.de, deren Graphic Novel "Aufblasbare Eltern" sich mit dem Thema beschäftigt. Kühn lebt nach einer Trennung seit fünf Jahren in einer Patchworkfamilie mit ihrem Kind und dem Kind ihres neuen Partners. "Man kann aber immer für eine Gesprächsbasis sorgen, damit man in Kontakt bleibt."
"Mit der Fluktuation leben lernen"
In Kühns Buch sind die einen Füchse, die anderen Katzen. Sie sind sich prinzipiell nah und auch nicht unähnlich, aber eben nicht gleich. "Gerade zu Beginn meiner neuen Beziehung war ich auf der Suche nach Lektüre, nach Ratgebern, Hilfe oder Austausch mit anderen Familien in dieser Situation", erzählt sie. Dabei habe sie die Erfahrung gemacht, "ich will jetzt nicht sagen, dass es tabuisiert wird, aber es wird doch so ein bisschen ausgespart".
Also schrieb sie sich das Buch, das sie suchte, selbst. Auch Kühnes Idee von einer neuen, besseren, freieren Familienstruktur traf auf die Realität, "in der die Frau fast automatisch Ansprechpartnerin für beide Kinder wird, während sich der Vater eher um logistische Aufgaben kümmert".
Inzwischen hat sie sich mit dem Dauerchaos und den immer wieder neuen Entwicklungen eingerichtet. "Die Kinder und die ganze Familie machen eine Menge durch", sagt sie. "Man kann das gar nicht fixieren, man muss mit dieser Fluktuation irgendwie leben lernen." In ihrer Familie äußert sich das grundlegende Wohlwollen in Namen, die nur innerhalb ihres Kreises verwendet werden und die die Beziehungen jenseits von Mama oder Papa abbilden. So löste es auch die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris, deren Stiefkinder sie Momala nennen.
Akzeptanz und Kommunikation
Bei aller Offenheit können der neue Partner oder die neue Partnerin erwarten, dass man die Existenz des Kindes oder der Kinder aus der vorherigen Beziehung voll und ganz akzeptiert, betont Beraterin Jahns. Alles andere müsse in der neuen Partnerschaft verhandelt werden. Das ist in einer noch nicht so gefestigten Liebe eine Belastung, andererseits wird man vermutlich nicht dauerhaft miteinander glücklich, wenn der Umgang mit den Kindern immer voller Konflikte ist. Den Stiefelternteilen sagt Jahns: "Du bist nicht die leibliche Mutter oder der leibliche Vater, du musst gar nichts."
Für die eigenen Kinder sei der leibliche Elternteil die erste Beziehungsperson und bleibe das auch. In Kühns Buch gibt es zwei Situationen, die die meisten Eltern vermutlich kennen. Einmal streitet das Paar darum, dass immer das leibliche Kind die erste Stulle geschmiert bekommt. An anderer Stelle geht es um die Frage, wen man zuerst retten würde, das leibliche oder das Stiefkind? Und so sehr sich viele Stiefeltern die Akzeptanz des Stiefkindes wünschen, so wenig richtig erscheint es, das eigene Kind hintenan zu stellen. Jahns leitet daraus ab, dass jeder für die eigenen Kinder zuständig bleibt. Je mehr Zuständigkeiten abgegeben werden, je mehr Mitbestimmung in Erziehungsfragen müsse man auch zulassen.
Ohne Absprachen, ohne Konflikte, ohne Schwierigkeiten wird es trotzdem nicht gehen. Jahns sieht es als Erfolg für jede einzelne Patchworkfamilie, "wenn man es schafft, auch gewisse Schwierigkeiten in diesem Familienzusammenspiel auszuhalten, darüber zu reflektieren und individuelle Lösungen zu finden, fernab von irgendwelchen Gesellschaftsbildern, denen man meint, entsprechen zu müssen".
Quelle: ntv.de