Nur vier Länder entsenden Retter Warum Marokko nicht jede Hilfe annimmt
11.09.2023, 10:44 Uhr Artikel anhören
Nach einer Erdbeben-Katastrophe müsste ein betroffenes Land eigentlich jede Hilfe annehmen, glaubt man. Marokko geht derzeit einen anderen Weg und erntet dafür Kritik. Allerdings gibt es durchaus auch gute Gründe, warum nicht alle Hilfsangebote wahrgenommen werden.
Such- und Rettungsteams aus Spanien und Großbritannien haben ihren Einsatz in den Erdbebengebieten in Marokko aufgenommen. Sie würden gegenwärtig die örtlichen Einsatzkräfte in betroffenen Gebieten unterstützen, berichtete die marokkanische Nachrichtenagentur MAP. Großbritannien schickte 60 Such- und Rettungsexperten samt Ausrüstungen sowie vier Suchhunde nach Marokko, um die Einsätze unter marokkanischer Führung zu unterstützen, wie der britische Botschafter Simon Martin auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) mitteilte. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden flog am Sonntag nach Marokko.
Obwohl mehrere Länder, darunter Deutschland, Frankreich, die USA und Saudi-Arabien, Hilfe angeboten haben, nahm Marokko zunächst nur von vier Ländern Unterstützung an. Das sorgte für Verwunderung und Kritik. Deutsche Spezialisten bereiteten sich etwa vergeblich auf einen Hilfseinsatz vor. Wie das Technische Hilfswerk (THW) mitteilte, standen seit Samstagabend Rettungskräfte am Flughafen Köln-Bonn bereit. Da aber kein internationales Hilfeersuchen aus Marokko eingegangen sei, seien sie wieder an ihre Standorte zurückgekehrt. Nun werde die Lieferung von Hilfsgütern geprüft.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Parlamentariergruppe Maghreb, Carl-Julius Cronenberg, kritisierte das Verhalten Marokkos im "Tagesspiegel": "Dass Rabat bislang auf deutsche Hilfe verzichtet, ist unverständlich." Cronenberg sagte, das THW sei "leistungsstark und hilfsbereit". "Im Namen der betroffenen Familien appelliere ich an die marokkanische Regierung: Jetzt darf es nicht um falsch verstandenen Nationalstolz gehen, sondern allein um die schnellst- und bestmögliche Hilfe für die Erdbebenopfer."
Rettungskräfte können eine Last sein
Eine mögliche Erklärung für die Zurückhaltung der marokkanischen Regierung gibt Christoph Johnen vom Deutschen Roten Kreuz in der "Süddeutschen Zeitung": "Viele Länder haben schlechte Erfahrungen mit internationaler Hilfe gemacht". Sie bringe für das betroffene Land immer auch eine Last mit sich. Manche Länder schickten zum Beispiel Hilfsgüter, die so nicht angefordert und auch nicht gebraucht würden. Deswegen sei es denkbar, so Johnen, dass sich Marokko derzeit auf Hilfskräfte vor Ort verlasse, die sich in der Region schon auskennen und die Bedürfnisse besser einschätzen können - und einige wenige ausländische Rettungskräfte hinzuhole. Trotzdem könnte das Land in den kommenden Tagen doch noch weitere Hilfe aus dem Ausland benötigen, sagen sowohl der DRK-Experte Johnen als auch der Wohlfahrtsverband Caritas International.
Eine Erklärung des marokkanischen Innenministeriums vom späten Sonntagabend stützt Johnens Erklärung. Darin hieß es, die Behörden hätten eine genaue Bewertung der Bedürfnisse vor Ort vorgenommen. Dabei sei berücksichtigt worden, dass ein Mangel an Koordinierung in solchen Situationen zu nachteiligen Ergebnissen führen würde, meldete die marokkanische Nachrichtenseite Hespress. Daher habe man zunächst "auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert", hieß es in der Erklärung weiter. Allerdings würde das Land auf weitere Hilfsangebote zurückkommen, "wenn sich der Bedarf ändern sollte", ergänzte das Innenministerium.
Bis zum Sonntag waren einige betroffene Gebiete noch isoliert, weil Straßen in der bergigen Unglücksregion durch Erdrutsche blockiert wurden. Die Einsatzkräfte versuchen unter großen Mühen, so schnell wie möglich in die abgeschnittenen Bergdörfer vorzudringen. Zunächst seien nur private Helfer gekommen, berichten Menschen in den betroffenen Gebieten. Erst am Sonntagnachmittag rollten zahlreiche Lastwagen des Militärs über die Serpentinen-Straßen südlich von Marrakesch. Überlebende des Bebens schilderten, dass aus den Trümmern der Häuser Leichengeruch ströme.
Quelle: ntv.de, als/dpa