Gutscheine gegen Geld Wie die Bezahlkarte für Geflüchtete umgangen wird
20.11.2024, 17:50 Uhr Artikel anhören
Demonstration gegen die Bezahlkarte in Hamburg. Das Bündnis "Nein zur Bezahlkarte" kritisiert das Instrument als diskriminierend.
(Foto: picture alliance / ABBfoto)
Mit der Bezahlkarte für Asylbewerber will die Bundesregierung irreguläre Migration begrenzen. Doch in mehreren Städten hebeln Initiativen das Prinzip durch Tauschbörsen aus. In der Politik ringt man noch um den richtigen Umgang mit den Aktionen.
Sie soll dazu beitragen, irreguläre Migration nach Deutschland zu begrenzen: die Bezahlkarte für Geflüchtete. Ihre flächendeckende Einführung ist seit Monaten beschlossene Sache, zögert sich wegen Rechtsstreitigkeiten aber noch hinaus. 14 Bundesländer haben sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen eigenständig verfahren. In einigen Kommunen, Städten und Ländern gibt es sie aber bereits, und mit ihr eine ungeplante Begleiterscheinung. Mithilfe von organisierten Tauschbörsen wird das Prinzip Bezahlkarte unterlaufen.
Erklärtes Ziel des Instruments ist es, Geflüchteten Anreize zu nehmen, nach Deutschland zu kommen. Staatliche Leistungen werden nicht mehr bar ausgezahlt, sondern auf eine Karte gebucht. Die Asylsuchenden können damit im Supermarkt einkaufen, zur freien Verfügung steht ihnen das Geld aber nicht mehr. Die monatliche Bargeldabhebung ist auf 50 Euro limitiert. Überweisungen sind nicht möglich. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht darin ein "klares Nein, Sozialleistungen an Schleuser und Schlepper im Ausland zu überweisen."
300 Gutscheine pro Monat in Hamburg
So zumindest die Theorie. Doch um die Bargeldbeschränkung auszuhebeln, braucht es offenbar nicht viel. In vielen Regionen, in denen Bezahlkarten eingeführt wurden, verhelfen Aktivisten den Betroffenen mit einem einfachen Trick zu mehr Bargeld. Bezahlkarten-Inhaber sind dazu aufgerufen, in Supermärkten Gutscheine zu kaufen, die sie dann gegen den entsprechenden Bargeldbetrag eintauschen können. "Insgesamt kommen je Monat circa 300 Gutscheine bei uns an und werden wieder verteilt", erklärte die Hamburger Initiative "Nein zur Bezahlkarte!".
Jeden Monat ergebe das eine Summe von 15.000 Euro, es seien sogar schon 20.000 Euro gewesen, hieß es. Die Gutscheine werden demnach von "Solidarischen Shopper*innen" aufgekauft, ein Kreis von rund 400 Personen. "Eine notwendige Aktion", sagte ein Sprecher der Initiative, die mit dem Verein Hamburger Flüchtlingsrat verbunden ist. Die Bargeldbegrenzung sei ein enormes Problem im Alltag der Asylbewerber und schränke ihre Selbstbestimmtheit massiv ein.
In Hamburg wurde die Bezahlkarte als "SocialCard" Mitte Februar 2024 in einem Pilotprojekt eingeführt. Ihr Einsatz sei rechtmäßig, teilte die Hamburger Sozialbehörde mit. "Entsprechende Urteile vor dem Landessozialgericht geben uns recht. Daher halten wir das Vorgehen der (...) Initiativen nicht für richtig", erklärte Behördensprecher Wolfgang Arnhold. Ob Maßnahmen gegen das Unterlaufen der Bargeldbeschränkung geplant sind, ließ er offen.
"Das funktioniert und hat sich rumgesprochen"
Auch in Thüringen, wo inzwischen alle Landkreise eigenständig eine Bezahlkarte eingeführt haben, gibt es zahlreiche Umtausch-Aktionen. Läden und Cafés kaufen laut der Gruppe "Abolish Bezahlkarte" die Gutscheine und bieten sie zum Weiterverkauf an. In Jena und Erfurt würden so 15.000 Euro im Monat ausgezahlt. Pro Person werden 100 Euro getauscht, es gebe aber auch Ausnahmen. Probleme mit den Behörden gibt es nach Aussage einer Sprecherin bislang nicht. Die Gruppe habe die Aktion bewusst öffentlich gemacht. "Das funktioniert und hat sich rumgesprochen."
Asylbewerber aus mehreren Landkreisen greifen den Angaben nach auf das Angebot zurück. "Die Aktion soll so lange laufen, bis die Bezahlkarte wieder abgeschafft wird", sagte die Sprecherin der Initiative, in die neben den Ortsgruppen Jena und Erfurt der Initiative "Seebrücke" auch ein Thüringer Netzwerk von Geflüchteten eingebunden ist.
Dem Landratsamt im thüringischen Greiz ist eine weitere Initiative bekannt. "Kritisch sehen wir, dass durch eine Tauschaktion - dazu noch organisiert - das Bezahlkartensystem ausgehebelt werden soll", teilte ein Sprecher mit. Es bestehe der Verdacht, dass der Missbrauch staatlicher Leistungen befeuert werden könne. Daher werde geprüft, wie die Tauschaktionen unterbunden werden können.
CSU: "Asyl-Gutschein-Betrug"
In Bayern gibt es die Bezahlkarte schon seit Juni, Umtausch-Aktionen seither in mehreren Städten. In Regensburg etwa nutzt die "Bürgerinitiative Asyl" dafür das örtliche Büro der Grünen. Empörung kommt insbesondere aus der CSU, die Konsequenzen fordert. "Der Asyl-Gutschein-Betrug durch linke Organisationen muss gestoppt werden", sagte CSU-Generalsekretär Martin Huber der "Bild"-Zeitung.
Seinem Parteifreund Joachim Herrmann zufolge ist das jedoch nicht ohne Weiteres möglich. "Das Vorgehen kann durch das Innenministerium nicht verändert werden", sagte der bayerische Innenminister dem Blatt. Das Ministerium selbst teilte dem Bayerischen Rundfunk mit, dass das bayerische Bezahlkartensystem seinen Zweck bislang gut erfülle. Daran könnten auch "Tricksereien" nichts ändern.
Streit in Magdeburg
Als erstes der 14 Bundesländer liefert Sachsen-Anhalt die Bezahlkarte seit Dienstag flächendeckend aus. Prompt kommt es im Magdeburger Landtag zu Diskussionen über den richtigen Umgang mit den Tauschbörsen. Aufhänger war der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, der die Bezahlkarte für eine "Diskriminierungskarte" hält und auf seiner Webseite eine Anleitung zum Umtausch veröffentlicht hat. Die CDU-Landtagsabgeordnete Kerstin Godenrath warf dem Flüchtlingsrat vor, den flächendeckenden Einsatz gezielt zu stören. Vom Land geförderte Vereine dürften Verfahrensweisen des Staates nicht bewusst unterlaufen, sagte Godenrath.
Nach Angaben von Sozialministerin Petra Grimm-Benne wird der Flüchtlingsrat an drei Stellen projektbezogen gefördert. Der Verein fordere nicht zu einer Straftat oder zu einem rechtswidrigen Handeln auf, sagte die SPD-Politikerin. Einen Bezug zu Fördermitteln herzustellen, nur weil der Umgang mit der Bezahlkarte nicht passe, sei falsch, so Grimm-Benne. Innenministerin Tamara Zieschang sagte hingegen, sie "gehe davon aus, dass die Landesregierung und auch der Landtag von Sachsen-Anhalt keine Projekte unterstützt, die womöglich in diese Richtung gehen."
Quelle: ntv.de, mdi/dpa