Politik

Infektionsschutzgesetz abgenickt Ampel leitet Ende der Corona-Schutzmaßnahmen ein

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Auch Bundeskanzler Scholz lauschte der Debatte, meldete sich aber nicht zu Wort.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Kritik von Union und Linkspartei ist scharf. Grüne und SPD verteidigen einen Kompromiss, der sie nicht überzeugt. Die FDP setzt sich mit ihren Vorstellungen vom Fortgang der Corona-Schutzmaßnahmen durch. Auch der Bundesrat billigt die Neuregelung.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau müht sich mit brüchiger Stimme durch die Debatte. Sie muss sich die Moderation dieser Plenarwoche mit der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt aufteilen, weil die übrigen vier Kolleginnen im Präsidium erkrankt sind -drei davon an Corona. Ebenfalls mit dem Virus infiziert sind zwei weitere Abgeordnete, die an diesem Freitagmorgen gerne im Plenum geredet hätten: Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen und Manuel Gava von der SPD. Die Rahmenbedingungen sind also denkbar passend, um über den Fortgang der Corona-Schutzmaßnahmen zu entscheiden. Das Infektionsschutzgesetz, das in bisheriger Fassung am Samstag ausläuft, soll ersetzt werden. Die am Ende der Debatte mit 388 zu 277 Nein-Stimmen verabschiedete Fassung lässt aber nur eine Partei zufrieden zurück: die FDP.

Nach dem Bundestag billigt auch der Bundesrat die Neuregelung. Ab 20. März, wenn das Gesetz denn so durch den Bundesrat kommt, fallen die meisten Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie weg. Selbst die Maskenpflicht findet dann bundesweit nur noch im Nahverkehr, in Betreuungseinrichtungen und Kliniken Anwendung. Für darüber hinausgehende Vorschriften müssen künftig die Bundesländer für ausgewiesene Hotspotregionen eigene Beschlüsse fassen oder die bisherigen Regeln qua Übergangsregelung bis zum 2. April verlängern. Im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag hatten sämtliche Ministerpräsidentinnen und -präsidenten ihren Missmut über diesen Ampelbeschluss geäußert.

Grüne verteidigen Kompromiss

In der Debatte im Bundestag wird deutlich, dass auch die Fraktionen von SPD und Grünen wenig glücklich sind. "Kein Gesetz wäre sehr viel schlechter gewesen als dieses Gesetz, das ja weiterhin Schutzmaßnahmen beinhaltet", sagt Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonthert, die anstelle ihres kranken Parteikollegen Dahmen spricht. "Das ist nicht die vorsorgende Politik, die wir hier auch gerne beschlossen hätten, zumindest die Maskenpflicht in Innenräumen hätte bestehen bleiben müssen", sagt auch Grünen-MdB Andreas Audretsch. "Ich habe große Sorge, dass das, was hier heute beschließen, nicht ausreicht." Es sei aber richtig, weil es sonst gar kein Nachfolgegesetz gegeben hätte.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese klingt nicht enthusiastischer, als er sagt: "Ich glaube, dieser Kompromiss ist vertretbar." Die Paragrafen im Infektionsschutzgesetz zu den Corona-Schutzmaßnahmen "würden, wenn wir nichts tun, auslaufen". Es fällt dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu, die Skeptiker in den eigenen Reihen zu überzeugen, schließlich war Lauterbach lange Zeit einer der entschiedensten Anwälte für die Maskenpflicht, die nun weitgehend wegfällt. "Wir haben durch die Omikron-Variante nicht mehr die Situation, dass das ganze Land gefährdet ist in dem Sinne, dass wir eine flächendeckende Überlastung der Kliniken zu befürchten haben", erklärt Lauterbach den Wegfall bundeseinheitlich hoher Schutzstandards.

Lauterbach erklärt, es sei vor diesem Hintergrund sinnvoll, die Schutzmaßnahmen der regionalen Infektionslage anzupassen. Dass SPD und Grüne in dieser Frage angesichts der entschiedenen Positionierung der FDP aber auch keine andere Wahl hatten, räumt Lauterbach ein, als er sagt: "Hätten wir dies nicht getan, hätten wir keine Regeln mehr gehabt." Ein anderer Kompromiss war mit den Liberalen demnach schlicht nicht zu machen.

Aschenberger-Dugnus: Maske tragen schützt ausreichend

Aus deren Reihen kommen auch die einzig enthusiastischen Wortmeldungen: "Nicht die Freiheit von Einschränkungen ist begründungsbedürftig, die Einschränkungen von Freiheit ist begründungswürdig", sagt Lukas Köhler. Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz sorge die Regierung für den notwendigen Schutz für vulnerable Gruppen und kehre zu einem höchstmöglichen Maß an Freiheit zurück. "Die Menschen in Deutschland sind ja keine Kinder. Wir verbieten niemandem, die Maske zu tragen."

FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus betont: "Wir schaffen auch nicht alle Maßnahmen ab, wie das hier manchmal behauptet wird." Den kritischen Einwurf der CSU-Abgeordneten Andrea Lindholz, dass der Wegfall der Maskenpflicht etwa beim Einkaufen vulnerable Gruppen gefährde, begegnet Aschenberger-Dugnus mit dem Hinweis: "Eine FFP2-Maske ist völlig ausreichend, um sich im Leben sicher bewegen zu können."

"Handwerklich eine Katastrophe"

Die Unionsredner stören sich neben der drastischen Reduzierung der Maskenpflicht vor allem an der fehlenden Praktikabilität des neuen Gesetzes: "Handwerklich ist die Vorlage eine Katastrophe", bemängelt Erwin Rüddel von der CDU. "Das alles summiert sich zu einem Abbild der Zerrissenheit der Ampelkoalition", legt Rüddel den Finger in die von den Grünen offengelegte Wunde. "Wir alle wissen seit Monaten: Morgen am 19. März läuft das Infektionsschutzgesetz aus", beklagt Christdemokratin Diana Stöcker. "In einem Hauruckverfahren muss das Gesetz durchgezogen werden."

Auch Susanne Ferschl von der Linken bewertet das Gesetz als "inhaltlich und handwerklich schlecht". Auch weil die Maskenpflicht einen viel geringeren Eingriff in die individuelle Freiheit darstelle als die weiterhin von Lauterbach geforderte Impfpflicht. Offen bleibt ein Streitpunkt, den schon CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst am Donnerstagabend angesprochen hatte: Können die Landesparlamente künftig auch ganze Bundesländer als Hotspotregionen ausrufen? Die Union findet die Formulierungen im Gesetz hierzu schwammig und das zu Verfahren kompliziert, um schnell auf neue Entwicklungen reagieren zu können.

Lauterbach und FDP-Justizminister Marco Buschmann dagegen können kein Problem erkennen. Grünen-Politiker Helge Limburg erläutert in ihrem Sinne, dass der im Gesetz enthaltene Begriff der Gebietskörperschaften auch auf ganze Bundesländer angewendet werden könne. CDU-Politiker Tino Sorge bemängelt zudem, dass die Landesparlamente keine Vorgabe im Bundesgesetz fänden, woran eine Krankenhausüberlastung und eine erhöhte Ansteckungsgefahr als Voraussetzung für die Ausrufung von Hotspots festgemacht werden kann. Der Konflikt wird in der Bundestagsdebatte nicht aufgelöst. Wie praxistauglich das neue Infektionsschutzgesetz tatsächlich ist, wird daher die Zukunft zeigen müssen.

Quelle: ntv.de

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