Politik

Der Bundestag debattiert wieder Chemnitz reicht bis ins Parlament

Frostige Stimmung zwischen Merkel und Seehofer? Im späteren Verlauf der Sitzung haben die beiden immerhin miteinander geredet.

Frostige Stimmung zwischen Merkel und Seehofer? Im späteren Verlauf der Sitzung haben die beiden immerhin miteinander geredet.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Sommerpause ist vorüber, der Haushalt wird im Bundestag debattiert. Doch bevor die Aussprache beginnt, gibt der Vorsitzende des Hauses ein bemerkenswertes Statement ab. Er kritisiert damit auch die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.

Es ist selten, dass alle Fraktionen im Bundestag einem Redner geschlossen applaudieren. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist das zum Beginn der Haushaltsdebatte gelungen. Mit einem bemerkenswerten Appell an die Mitte der Gesellschaft demonstriert er in einer Zeit großer gesellschaftlicher Polarisierung, dass die Parlamentarier über Parteigrenzen offenbar bereit sind, einer Idee geschlossen zuzustimmen: der Rechtsstaatlichkeit. Die vergangenen Wochen hätten bewiesen, dass sich "die Gesellschaft spaltet, die Verunsicherung wächst", sagt Schäuble und bekommt Zustimmung aus allen Lagern.

Der CDU-Politiker sagt, es müsse unterschieden werden zwischen "unentschuldbaren Gewaltexzessen und den Sorgen, die viele Bürger umtreiben". Er spricht Fehler bei der Einwanderungspolitik der Bundesregierung an, Kanzlern Angela Merkel schaut etwas betreten. "Es scheint mir, dass wir erst jetzt so richtig erkennen, welche Auswirkungen das auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land hat". Er verurteilt Gewalt an den politischen Rändern scharf: "Das Demonstrationsrecht ist kein Freibrief für Gewaltexzesse", da gebe es zwischen "gewalttätigen Chaoten bei Linksextremen und Schlägern und Naziparolen bei Rechtsextremen keinen Unterschied".

Er wirbt, mit den Menschen im Dialog zu bleiben: "Menschen, die sich vor zu vielen und schnellen Veränderungen (...) fürchten", müssten genau so ernst genommen werden "wie jene, die für Offenheit und Solidarität eintreten". Und er schließt mit den Worten, dass die Demokratie nicht zulassen dürfe, "dass mehr oder weniger feinsinnig Grenzen ausgelotet und verschoben werden. Wir brauchen keine Revolution, sondern einen starken und toleranten Rechtsstaat."

Appell soll auch draußen gehört werden

Schäuble wird während seiner Rede mehrfach durch Applaus unterbrochen, aus allen Fraktionen. In einem von den Ereignissen in Chemnitz und Köthen aufgeheizten Klima zu Beginn der neuen Sitzungsphase schafft es Schäuble, im Parlament die Wogen zu glätten und zu betonen, dass es bei allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten gibt. Das schien ihm wichtig gewesen zu sein. Möglicherweise hofft er ja, dass sein Appell auch auf Bereiche außerhalb des Parlamentes übergreift.

Bemerkenswert war die große Zustimmung der AfD zu Schäubles Rede. Der verurteilte zwar deutlich Extremismus in allen politischen Lagern, setzte mit den Worten, es brauche in Deutschland keine Revolution, aber auch einen Seitenhieb gegen AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der in einem Interview von der Notwendigkeit einer eben solchen geredet hatte. Vielleicht hielt die Partei es für notwendig, zu demonstrieren, woran in den vergangenen Wochen manchem Zweifel gekommen sein mögen: dass sie vor allem der demokratischen Grundordnung verpflichtet ist. Noch vor der Bundestagsdebatte hatten die Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland und Alice Weidel eingeräumt, dass ihnen eine mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz Sorgen bereite. Mit parteiinternen Ermittlungen will die Partei, deren Jugendverbände in Bremen und Niedersachsen in den Fokus des Geheimdienstes gerückt sind, einer Beobachtung entgehen.

Nach Schäuble tritt Olaf Scholz ans Podium. Dem Finanzminister gehört in den Haushaltsdebatten traditionell der erste Aufschlag. Auch er spricht Chemnitz an, sagt, "wir haben gekämpft gegen die Mauern, die unser Land getrennt haben, wir wollen keine neuen Mauern". Danach führt er in einem eher nüchternen Ton aus, was die Bundesregierung mit den veranschlagten 356,8 Milliarden Euro an Einnahmen anstellen will. Ein Haushalt, der für ihn, wie er sagt, mehr ist als ein einfacher Etatplan, sondern ein Masterplan gegen eine weitere Polarisierung der Gesellschaft, etwa durch höhere Renten. Außerdem sollen Tausende neue Stellen bei der Polizei das Land sicherer machen, es soll mehr Geld für sozialen Wohnungsbau geben. Familien mit mittleren und unteren Einkommen sollen entlastet werden durch höhere Freibeträge, mehr Kindergeld und Steuerrabatte.

Was macht die Kanzlerin?

Zu Anfang der Debatte ist das Plenum noch verhältnismäßig gut gefüllt, im späteren Verlauf des Nachmittags lichten sich die Reihen jedoch deutlich. Viele Abgeordnete scheinen außerdem mit einem anderen Thema als dem Haushalt beschäftigt zu sein. Auf vielen Tischen liegen Presseberichte, die Namen des Verfassungschutz-Chefs Hans-Georg Maaßen und des Innenministers Horst Seehofer sind in den Überschriften zu lesen. Wiederholt sind ranghohe Unionspolitiker zu beobachten, die sich in den hinteren Bänken in Vieraugengesprächen austauschen. Merkel ist ebenfalls viel im Plenum unterwegs, geht zweimal zu SPD-Chefin Andrea Nahles, tauscht sich mit ihrem Widersacher, Innenminister Horst Seehofer, aus. Offenbar wird der morgige Tag vorbereitet. Dann hält die Regierungschefin in der Generaldebatte eine Rede im Bundestag. Dabei muss sie erwarten, wegen der widersprüchlichen Deutungen der Ereignisse in Chemnitz massiv von der Opposition kritisiert zu werden. Von ihr wiederum wird nicht weniger erwartet, als dass sie klare Worte in Bezug auf Seehofer und Maaßen findet.

Als Scholz dann das Rednerpult verlässt, hat die AfD als größte Oppositionspartei das Wort. Sie kritisiert den Finanzplan massiv: Haushaltsexperte Peter Boehringer bezeichnet den Etat als "unvollendetes Nebelkunstwerk". Der "kleptomanische Staat" nehme den Bürgern fast 400 Milliarden Euro ab. Er kritisiert, der Bund entlaste die Bürger trotz guter Einnahmen nicht ausreichend. Einen Verweis auf Chemnitz kann sich auch Boehringer, der Vorsitzender des Haushaltsausschusses ist, nicht verkneifen. "Dieser Haushalt hat in etwa denselben Wahrheitsgehalt wie 'Griechenland ist nun gerettet (...)' oder 'es gab Hetzjagden in Chemnitz'", sagt er.

Kritik an Scholz' Plänen kommt außerdem von den Grünen, deren Abgeordneter Sven-Christian Kindler bemängelt, "den Willen zu echter Veränderung hat diese Bundesregierung nicht". Tiefe soziale Ungleichheit und Klimakrise müssten viel stärker bekämpft werden, fordert er. Die Lage im Land sei "brandgefährlich" und der Finanzminister mache bloß "Dienst nach Vorschrift". Auch der Haushaltsexperte der FDP, Otto Fricke, lässt kaum ein gutes Haar an dem Entwurf, das Rezept laute "weiter so". Statt immer mehr Geld in die Sozialsysteme zu pumpen, seien Strukturreformen notwendig, Investitionen in Infrastruktur und "die Zukunft des Landes", sagt Fricke.

Quelle: ntv.de

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