Was machen die da? Das Europaparlament darf viel, aber eines nicht


Ursula von der Leyen und Manfred Weber sind die prominentesten deutschen Europapolitiker. Weber muss als Fraktionsvorsitzender der EVP dafür sorgen, dass von der Leyen eine zweite Amtszeit an der Spitze der EU-Kommission bekommt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Europawahl bekommt nie die gleiche Aufmerksamkeit wie eine Bundestagswahl. Doch tatsächlich wird in Brüssel in manchen Bereichen weitreichender entschieden als in Berlin. Die Europäische Union hat dabei ein großes Problem.
Seit Donnerstag läuft die Europawahl - den Anfang machten die Niederländer, an diesem Sonntag sind die Deutschen wie viele andere Europäer an der Reihe: Sie wählen ein neues Europaparlament. 720 Sitze sind zu vergeben, 96 davon bekommen Abgeordnete aus Deutschland - so viele wie aus keinem anderen Land. Erstmals dürfen in Deutschland schon 16-Jährige wählen und die FDP muss nicht so zittern wie bei einer Bundestagswahl - es gibt nämlich keine Fünfprozenthürde. Das ist nicht der einzige Unterschied. Es gibt auch keine Wahlkreise und damit keine Möglichkeit, jemanden direkt zu wählen. Auch sonst ist einiges anders als bei einer Bundestagswahl.
Was darf das Europaparlament?
Klassische Aufgabe eines Parlamentes ist es, Gesetze zu machen und einen Haushalt zu beschließen. Zum Beispiel im Bundestag: In der Regel einigt sich das Kabinett auf einen Gesetzentwurf, der dann im Bundestag endgültig beschlossen wird - nach Debatten und Überarbeitung. Doch auch die Fraktionen können Gesetzentwürfe einbringen - jene der Opposition haben nur keine Aussicht auf eine Mehrheit. Der Haushalt ist die Königsdisziplin. Die Abgeordneten bestimmen darüber, was mit den Steuern gemacht wird.
Auf den ersten Blick ist es im Europaparlament ähnlich - aber eben nicht so ganz. Die Abgeordneten kommen auch durch freie, geheime und gleiche Wahl in das Parlament mit Sitz in Brüssel und Straßburg. Doch dann haben sie weniger Befugnisse als Bundestagsabgeordnete. Sie müssen sich die Gesetzgebungskompetenz mit dem Rat der Europäischen Union teilen. Dahinter verbergen sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten, vertreten durch Regierungschefs beziehungsweise Fachminister. Rat und Parlament müssen einem Gesetzentwurf zustimmen und sich einigen.
Das ist ein Kompromiss: Die nationalen Regierungen behalten damit die Kontrolle über das, was passiert. Am Parlament vorbei kommen sie aber auch nicht. Das gilt für wichtige Bereiche wie Migration, Energie, Verkehr, Klimawandel, Umwelt, Verbraucherschutz und Wirtschaft. Wenn Verordnungen oder Richtlinien beschlossen werden, müssen sie in der gesamten EU umgesetzt werden. So gesehen hat das EU-Parlament großen Einfluss.
Was die EU-Parlamentarier aber nicht haben, ist ein Initiativrecht. Anders als die Fraktionen im Bundestag dürfen sie nicht selbst Gesetzentwürfe einbringen - das ist der EU-Kommission vorbehalten. Das Europaparlament darf die Kommission lediglich auffordern, zu einem bestimmten Thema einen Gesetzentwurf vorzulegen. Ähnlich ist es beim Haushalt: Die EU-Kommission schlägt ihn vor, das EU-Parlament darf mitreden, weil seine Zustimmung nötig ist. Aber auch der Rat muss dem Haushalt zustimmen. Ähnlich ist es bei der Besetzung der EU-Kommission.
Das gab es noch nie:
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- Friedrich Merz
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Wer bestimmt die Kommissionspräsidentin?
Die Kommission ist die Regierung der EU. Sie hat 27 Mitglieder, aus jedem Mitgliedsstaat der EU einen oder eine. Präsidentin ist derzeit die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen. Um ihren Posten nach der Europawahl behalten zu können, braucht sie eine Mehrheit im Parlament, denn das muss sie bestätigen. Ein Vorschlagsrecht hat das Parlament aber nicht. Das macht der Europäische Rat, in dem die Regierungschefs der einzelnen Staaten sitzen.
Bei der Europawahl 2019 geschah das auf spektakuläre Weise. Obwohl der CSU-Politiker Manfred Weber Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei war und obwohl die EVP als stärkste Fraktion ins Europaparlament zog, wurde von der Leyen Präsidentin. Denn für Weber gab es nicht die dort notwendige Mehrheit im Rat. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte Weber verhindern und setzte von der Leyen durch. Auch jetzt gibt es Gerüchte, jemand anders als von der Leyen könnte Präsident werden, etwa der frühere EZB-Chef und italienische Premier Mario Draghi.
Möglich wäre das - nur der Rat kann einen Kandidaten vorschlagen, mit der sogenannten qualifizierten Mehrheit. Heißt: 55 Prozent der Mitgliedsstaaten müssen dafür sein, also aktuell 15 der 27 EU-Staaten. Außerdem muss die Kandidatin von Mitgliedsstaaten unterstützt werden, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Erst wenn von der Leyen - oder jemand anderes - diese Hürde genommen hat, ist das Europaparlament am Zug.
Die EU-Kommission hat das alleinige Initiativrecht beim Erlass von Rechtsvorschriften. Heißt: Nur wenn die Kommission etwas vorschlägt, können Rat und Parlament sich dazu verhalten, also zustimmen oder ablehnen. Das gilt auch für den Haushalt. Nur die Kommission kann diesen vorlegen. Rat und Parlament können dann nur noch Änderungen vereinbaren. Damit hat die Kommission großen Gestaltungsspielraum.
Abgesetzt werden könnte die EU-Kommission aber auch - durch das EU-Parlament. Dafür ist ein Misstrauensvotum mit Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich.
Was macht der Europäische Rat?
Der Europäische Rat besteht aus den Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten. Sie kümmern sich nicht um das Tagesgeschäft. Das überlassen sie Parlament, dem (Minister-)Rat der EU und der Kommission. Die Regierungschefs kümmern sich um die langen Linien, die großen Fragen. Neben der Frage, wer die EU-Kommission führen soll, geht es um neue Beitrittskandidaten, wie die Ukraine zum Beispiel.
Offiziell tagt der Rat zweimal im Jahr in Brüssel. Es kommen aber mehrere informelle Sondertreffen hinzu. Was der Europäische Rat beschließt, soll die EU-Kommission umsetzen. Kurzum: Wenn ein Macron oder eine Meloni meint, von der Leyen setzt die Vorgaben nicht richtig um, könnten sie sie beim nächsten Mal nicht noch einmal vorschlagen. So behalten die einzelnen Regierungen die Fäden in der Hand.
Es ist kompliziert
Man sieht nur an diesen drei Kerninstitutionen, wie kompliziert es in Brüssel und Straßburg zugeht. Es ist ein System, das auf Kompromissen aufgebaut ist: Alle geben nationale Kompetenzen ab, wollen aber doch noch Kontrolle behalten. Die Kompromisse sind zugleich ein zentrales Problem der EU. Wenn nur die Eingeweihten und Experten den Durchblick behalten, ist die EU weit weg von ihren Bürgerinnen und Bürgern. Europa ist jedenfalls nichts für schwache Nerven.
Quelle: ntv.de