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Wer führt die EU-Kommission? Mario Draghi könnte der lachende Dritte sein

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Ursula von der Leyen würde gern Kommissionspräsidentin bleiben. Was Mario Draghi (l.) will, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass Olaf Scholz bei der Personalie ein Wörtchen mitspricht.

Ursula von der Leyen würde gern Kommissionspräsidentin bleiben. Was Mario Draghi (l.) will, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass Olaf Scholz bei der Personalie ein Wörtchen mitspricht.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Kandidat ist Mario Draghi nicht. Dennoch wird der Italiener immer wieder als Präsident der nächsten EU-Kommission gehandelt. Wahrscheinlich ist die Personalie zwar nicht - möglich aber durchaus. Denn der frühere Chef der Europäischen Zentralbank hat einen mächtigen Fürsprecher.

Seit Monaten verbreiten italienische Medien Szenarien, in denen nach der Europawahl Mario Draghi Präsident der neuen EU-Kommission wird. Dabei will Amtsinhaberin Ursula von der Leyen ihr Amt eigentlich behalten. Und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hält sich mit Blick auf Draghi eher bedeckt.

Bei den über Draghi spekulierenden Medien handelt es sich denn auch vor allem um solche, die Melonis Regierung kritisch gegenüberstehen. Mittlerweile haben sich die US-Nachrichtenagentur Bloomberg und das europäische Nachrichtenportal Euractiv den Spekulationen angeschlossen. Demnach verhandelt der französische Präsident Emmanuel Macron bereits mit europäischen Staats- und Regierungschefs, um Draghi gegen von der Leyen in Stellung zu bringen.

Von der Leyen ist bei der Europawahl Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei, der auch CDU und CSU angehören. Für eine zweite Amtszeit muss sie vom Europäischen Rat vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament gewählt werden. Schon der Vorschlag ist die erste Hürde: Allein kommt die EVP im Rat der europäischen Regierungschefs nicht auf die notwendige Mehrheit. Auch im EU-Parlament wird die EVP selbst bei einem guten Wahlergebnis auf andere Fraktionen angewiesen sein. Eine ähnliche Situation führte vor fünf Jahren dazu, dass von der Leyen Kommissionspräsidentin wurde - und nicht der CSU-Politiker Manfred Weber, der damals Spitzenkandidat der EVP war.

Draghi schweigt, Meloni spricht

Da faktisch alles offen ist, kursieren neben Draghi noch weitere Namen für das Amt. Zum Beispiel der von Roberta Metsola. Die aus Malta stammende Politikerin ist Vorsitzende des Europaparlaments und gehört wie von der Leyen der EVP an.

Ende April nannte das "Handelsblatt" zudem den kroatischen Premierminister Andrej Plenković und den französischen Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton als mögliche Anwärter. Plenković' Partei ist ebenfalls Teil der EVP, Breton war früher Mitglied der französischen Konservativen, ist seit einigen Jahren aber parteilos. Vor allem aber ist Breton kein Freund der jetzigen Kommissionspräsidentin.

Und was macht Draghi, der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank und ehemalige Ministerpräsident Italiens? Er macht, was er immer tut, wenn es um Spekulationen geht, die ihn betreffen: Er schweigt. Anders hält es seine Nachfolgerin, Ministerpräsidentin Meloni. Auf die Frage, was sie von Draghi als EU-Kommissionspräsident halte, sagte sie vor ein paar Wochen vor Kameras: "Mario Draghi ist eine sehr geschätzte Person und ich freue mich, dass man über einen Italiener spricht. Ich möchte aber darauf hinweisen, wenngleich es banal klingen mag, dass diese ganze Debatte pure Philosophie ist (...) und einzig und allein dem Wahlkampf geschuldet." Sie weigere sich, bei diesem Spielchen mitzumachen. Eine Entscheidung könne erst nach dem Wahlergebnis getroffen werden.

Erst warb Meloni um von der Leyen, jetzt ist es umgekehrt

Letzteres stimmt. Eine andere Frage ist, ob Meloni ihn schätzt: Draghi ist kein Kandidat, der ihrer Partei, den postfaschistischen "Brüder Italiens", politisch nahesteht. Allerdings stieg sie nach ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 auf europäischer Ebene durchaus in Draghis Fußstapfen. In Brüssel wollte und musste sie die Skeptiker überzeugen, dass man mit ihr Politik machen konnte.

Das erklärt auch ihre bis vor Kurzem akkurat gepflegte Beziehung zu von der Leyen. Ob es um die Ukraine ging, um Migranten oder Naturkatastrophen: Wann immer es sich einrichten ließ, hatte Meloni die EU-Kommissionspräsidentin an ihrer Seite.

Seit die Umfragen aber immer nahelegen, dass die Parteien aus den rechten Fraktionen des Europaparlaments kräftig zulegen könnten, hat sich das Machtverhältnis gedreht. Jetzt ist es von der Leyen, die Meloni hofiert. So hörte man von der Leyen unlängst bei einer Wahlkampfdebatte der EU-Spitzenkandidaten sagen, sie habe mit Meloni gut zusammengearbeitet. Außerdem sei die italienische Premierministerin für Europa, gegen Putin und für den Rechtsstaat. "Und wenn das so bleibt, dann bieten wir an, zusammenzuarbeiten."

SPE lehnt Bündnis mit Meloni ab

Während EVP-Chef Manfred Weber diese Ansage begrüßte, sprachen sich die Europäischen Sozialdemokraten (SPE), darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz und die italienische PD-Vorsitzende Elly Schlein, klar gegen eine Zusammenarbeit mit Parteien aus den Rechtsfraktionen aus. Die Sozialdemokraten haben deutlich gemacht, dass sie keine Kommissionspräsidentin wählen werden, die auf Stimmen der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) angewiesen ist - der auch Meloni angehört.

Es gibt zwar keine förmlichen Koalitionen auf EU-Ebene, Mehrheiten müssen aber trotzdem immer wieder geschmiedet werden. Und da sowohl EVP und SPE bei den Europawahlen Mandate verlieren dürften, wird die nächste Legislaturperiode noch mehr Kompromissvermögen verlangen.

Draghi könnte in einer solchen Situation der lachende Dritte sein, den Macron aus dem Hut zaubert - parteilos, und weder EVP-Mitglied noch Sozialdemokrat. Macrons Partei Renaissance gehört im Europaparlament zur liberalen Fraktion Renew Europe, derzeit die drittgrößte Fraktion.

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Dennoch ist ein Kommissionspräsident Draghi möglich, aber eher unwahrscheinlich. Niemand bestreitet, dass er international hoch angesehen ist. Von der Leyen hat ihn im September selbst damit beauftragt, einen Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu schreiben. Veröffentlicht soll der Bericht nach der Wahl.

Aber schon seine eigene Regierung würde im Zweifel wohl gegen ihn stimmen. Meloni hebt gerne hervor, dass auch Draghi der Meinung sei, die EU müsse von Kopf bis Fuß reformiert werden. Doch die beiden verstehen unter einer Reform der EU etwas grundlegend anderes. Draghi plädiert für eine schnelle Integration, Meloni will mehr staatliche Eigenständigkeit. Bei aller gespielten Freude darüber, "dass man über einen Italiener spricht". Das passt nicht zusammen.

Quelle: ntv.de

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