Mercosur-Abkommen vor Abschluss "Die EU muss sich zwischen den Riesen USA und China behaupten"
05.12.2024, 15:41 Uhr Artikel anhören
Den Hafen von Chancay an Perus Küste baut China für Milliarden aus, um Südamerika logistisch zu erschließen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Bauern protestieren dagegen, Frankreich und Polen lehnen es ab: das Abkommen der Europäischen Union mit den Mercosur-Staaten. Dennoch sieht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Abschluss auf der Zielgeraden. Geopolitisch sei er für die Europäer überlebenswichtig, sagt Rolf Langhammer. Der Handels-Experte war Vize-Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW).
ntv.de: Das Abkommen zwischen den Mercosur-Staaten Südamerikas und der Europäischen Union ist nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Zielgeraden. Welche Vorteile hätte das Abkommen für die EU und für Deutschland, speziell für die Autoindustrie?
Rolf Langhammer: Ein solches Abkommen beruht auf Gegenseitigkeit. Wir sollten also nicht glauben, dass die hohen Zölle für Industriegüter wie Autos in den Mercosur-Ländern teilweise gesenkt werden, ohne dass wir unseren Markt öffnen. Das Abkommen ist für die Mercosur-Gruppe wichtiger als für die EU. Rein zahlenmäßig, weil die EU als Handelspartner für die Mercosur-Gruppe wichtiger ist als umgekehrt. Die Kommission betont, dass die europäischen Exporte profitieren werden, speziell die Autoindustrie. Aber es geht runter bis zur Chemieindustrie und bis hin auch in den Agrarsektor. Die europäischen Weinproduzenten sind glücklich darüber, dass die hohen Eintrittsbarrieren in den Mercosur-Markt gesenkt werden. Umgekehrt wäre es für die Mercosur-Gruppe wichtig, den Zugang zum Agrarmarkt der EU zu gewinnen.

Wirtschaftswissenschaftler Rolf Langhammer lehrte 15 Jahre lang am IfW in Kiel.
(Foto: IfW Kiel, Studio 23)
Frankreich und Polen lehnten das Abkommen ab, mit der Begründung, es gebe Nachteile für ihre Bauern. Die Landwirte demonstrierten immer wieder. Sind die Befürchtungen berechtigt?
Die Sorgen der Bauern sind durchaus berechtigt. Zum einen geht der Fleischkonsum in der EU insgesamt zurück. Die Verbraucher sind umweltbewusster. Sie erkennen, dass es eine Alternative zu Fleisch gibt, und dass es ein teures und energieintensives Produkt ist. Also geht die Nachfrage langsam zurück. Zum anderen kommt dann ein erhöhtes Angebot an Fleischprodukten aus den Mercosur-Ländern auf die Bauern zu. Die Bauern haben ein weiteres Argument: Sie beklagen sich, dass sie mit härteren Auflagen bezüglich der Tiergesundheit, des Tierwohls et cetera belastet werden als die Bauern in der Mercosur-Gruppe. Das muss man hinnehmen, so wie die Tatsache, dass auch die Lohnkosten in der Mercosur-Gruppe deutlich niedriger sind als in der EU.
Welche Bedenken gibt es noch?
Eine Frage muss noch beantwortet werden: Von vielen Nichtregierungsorganisationen wird behauptet, dass Pestizide aus der EU in die Mercosur-Gruppe exportiert werden, obwohl diese in der EU schon verboten sind. Dass diese Pestizide in Südamerika in der Agrarproduktion verarbeitet werden - und dann wieder als Endprodukte in die Europäische Union kommen. Die Chemieindustrie bestreitet das. Wenn es so wäre, würde das sogenannte Vorsichtsprinzip der EU greifen, das sogenannte precautionary principle. Das bedeutet: Wenn Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten besteht, muss die EU sofort die Reißleine ziehen. Aber das muss nachgewiesen werden. Wenn nicht nachgewiesen wird, dass Konsumenten einen Schaden erleiden, kann das Produkt gehandelt werden.
Im Laufe der zähen Verhandlungen wurde das Abkommen immer mehr beschnitten. Brasilien zum Beispiel besteht auf protektionistische Zusatzvereinbarungen. Hat das Abkommen heute nur symbolischen Wert?
Ja, es wurde tatsächlich beschnitten. Das kann man etwa bei der Frage nach dem Schutz des Regenwaldes sehen. Es gibt eine Entwaldungsrichtlinie von der EU, die ist in diesem Zusammenhang etwas verwässert worden. Das Problem besteht darin, dass die EU dieses Abkommen unbedingt abschließen möchte. Das Mercosur-Abkommen ist ein Signal gegen Washington und Peking. Die EU muss sich zwischen den beiden Riesen USA und China behaupten, um nicht zerrieben zu werden. Denn China und die USA unter dem künftigen Präsidenten Trump werden versuchen, die EU auseinanderzudividieren. Und solche regionalen Freihandelsabkommen sind die beste Antwort auf den Versuch.
China investiert in den Hafen Chancay nördlich der peruanischen Hauptstadt Lima, insgesamt 1,3 Milliarden Dollar. Damit will Peking die Fahrtzeit von Riesencontainern zwischen Südamerika und China reduzieren. Welche geoökonomischen Interessen verfolgt China in südamerikanischen Ländern?
Der Hafen ist Teil der Maritimen Seidenstraße – so nennt China das Projekt. Bislang sind die Häfen an der Westküste Südamerikas nicht besonders leistungsstark. Jetzt kommt dieser neue Containerhafen in Peru, der nur das Einfalltor für China in die Region ist. Geplant ist zudem eine Eisenbahnverbindung nach Brasilien sowie Straßenverbindungen. Dann würde der Handel Brasiliens mit China nicht mehr auf langem Weg durch den Panamakanal erfolgen, sondern direkt über die peruanische Westküste. China hat große Ziele bei der Erschließung des lateinamerikanischen Marktes. Das ist ein wichtiges Signal, speziell für Europa. Der EU geht es in Südamerika ja nicht nur um Sojabohnen, sondern um Rohstoffe, die für erneuerbare Energien wichtig sind. Da will sie nicht gegenüber China zurückfallen.
Der wichtigste Handelspartner für die EU sind die Vereinigten Staaten. Trump droht allerdings, mit Zöllen den Freihandel abzuwürgen. Welche Möglichkeiten hat die EU abseits vom Mercosur-Abkommen, um den protektionistischen Entwicklungen zu begegnen?
Die EU muss erstens versuchen, ihr Binnenmarktprogramm, das sie ja seit über 30 Jahren verfolgt, endlich zu vervollständigen. Nur wenn die EU als einheitlicher, großer, geschlossener Binnenmarkt auftritt, hat sie eine Chance gegenüber Washington und Peking. Die USA und China werden versuchen, die EU zu spalten. Die EU muss so den Versuch zunichtemachen. Der zweite Schritt wäre, mehr Wachstumspotenzial in der EU zu generieren, was angesichts der Schwierigkeiten nicht leicht ist, speziell für Deutschland, das sich in einer Rezession befindet. Und drittens wäre es wichtig, weitere Freihandelsabkommen möglichst mit Regionalgruppen zu schließen, zum Beispiel mit der ASEAN-Gruppe in Südostasien oder mit Indien.
Die Mercosur-Staaten haben bemängelt, dass sie sich bei den Verhandlungen über das Abkommen von oben herab behandelt fühlten. Kaja Kallas als neue Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik fordert, Ländern des Globalen Südens mehr auf Augenhöhe zu begegnen. Hat sie da einen Punkt?
Die EU müsste von einem hohen Ross herunter, denn sie möchte äußerst anspruchsvolle Freihandelsabkommen abschließen, in denen ihre Ziele hinsichtlich der Nachhaltigkeit durchgesetzt werden. Die Länder des Globalen Südens haben aber durchaus andere Ziele. Es wäre vernünftig, auch auf die Wünsche dieser Länder einzugehen, deren Standards und Vorstellungen über Nachhaltigkeit zu akzeptieren. So könnte man die möglichst niedrig hängenden Früchte kassieren, also reine Handelsabkommen abschließen. Das wäre nicht so kompliziert wie ein großes Freihandelsabkommen, das neben dem Investitionsschutz viele weitere Vereinbarungen mit einbezieht. Die EU-Kommission kann an den Mitgliedstaaten vorbeigehen, um solche Abkommen abzuschließen. Einfache, auf Güter konzentrierte Handelsabkommen wären der erste Schritt für die EU, um sich gegen die USA und China zu behaupten.
Mit Rolf Langhammer sprach Lea Verstl
Quelle: ntv.de