In der EU ausgebootet? Macron droht der Todesstoß beim Mercosur-Abkommen


Macron hatte sich mit den Neuwahlen in Frankreich im Sommer ein Eigentor geschossen.
(Foto: picture alliance / abaca)
In der Handelspolitik kämpft Macron in der EU auf verlorenem Posten. Das Abkommen mit den Mercosur-Staaten soll zur Not auch ohne seine Zustimmung unterschrieben werden. Frankreichs Präsident versucht noch, seinen Gesichtsverlust zu verhindern.
Noch immer gehen die Bauern in Frankreich allerorts dagegen auf die Straße. Dennoch steht das Mercosur-Abkommen kurz vor dem Abschluss, nachdem ein Vierteljahrhundert lang darüber verhandelt wurde. Schon beim Gipfeltreffen in Montevideo Anfang Dezember sei die Unterzeichnung möglich, sagte Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments, ntv.de. Diese Einschätzung teilt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Für Emmanuel Macron sind das schlechte Nachrichten. Der französische Präsident stellte sich stets auf die Seite der protestierenden Landwirte, die das Mercosur-Abkommen ablehnen. Macron droht der innen- und außenpolitische Gesichtsverlust, sollte in der EU eine Entscheidung über seinen Kopf hinweg fallen.
Macron hatte sich mit den Neuwahlen in Frankreich im Sommer ein Eigentor geschossen. Sein liberales Wahlbündnis Ensemble verlor im Juli fast ein Drittel seiner Sitze in der Nationalversammlung. Für den rechtsextremen Rassemblement National unter Marine Le Pen schafften es hingegen fast doppelt so viele Abgeordnete ins Parlament. Die Regierungsbildung gelang Macron nur durch eine fragile Allianz mit den rechtskonservativen Republikanern sowie dem linken Justizminister Didier Migaud.
Macrons schwache Position als Regierungschef in Frankreich rief die Befürworter des Mercosur-Abkommens auf den Plan: Sie denken in Brüssel jetzt laut darüber nach, es ohne die Zustimmung Frankreichs durchzubringen. Bundeskanzler Olaf Scholz drängte bereits auf einen Abschluss und erklärte, auch von der Leyen mache diesbezüglich Druck. Als Macron noch fester im Sattel saß, hatte niemand gewagt, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Frankreich als zweitgrößten Mitgliedstaat zu überstimmen.
Polen will Mercosur-Abkommen auch nicht unterstützen
Den wirtschaftlichen Teil des Abkommens kann die EU kommende Woche in Montevideo tatsächlich ohne Macrons Einwilligung vorläufig unterschreiben. Anschließend könnte dieser Teil vom Rat der Staats- und Regierungschefs der EU endgültig verabschiedet werden, wofür eine qualifizierte Mehrheit reicht. Das heißt: Im Rat wären mindestens 15 Staaten nötig, die wiederum mindestens 65 Prozent der europäischen Bevölkerung repräsentieren.
In der Hoffnung, im Rat doch noch eine Sperrminorität gegen das Abkommen zu organisieren, putzt Macron seit einigen Wochen Klinken bei seinen europäischen Amtskollegen. Einen Verbündeten hat er bereits gefunden. Warschau erklärte, sich dem Widerstand anzuschließen. "Polen wird dieses Abkommen nicht unterstützen - das ist die Resolution, die wir in der Regierung verabschieden wollen", sagte Wladyslaw Kosiniak-Kamysz, Verteidigungsminister und Vorsitzender der zur Regierungskoalition gehörenden Bauernpartei. Auch Rom und Wien könnten noch ihr Veto einlegen, heißt es in Paris.
Befürworter des Abschlusses sehen darin eine Chance, den Handel der EU zu diversifizieren. Das scheint umso dringlicher, je öfter der künftige US-Präsident Donald Trump damit droht, den Freihandel durch Zölle abzuwürgen. Die Vereinigten Staaten sind bislang der wichtigste Handelspartner der Europäischen Union. 2023 wurden zwischen den USA und der EU nach Angaben des Statistischen Bundesamts Waren im Wert von 849 Milliarden Euro gehandelt. Das entsprach 17 Prozent des gesamten EU-Warenverkehrs.
Peking buhlt mit Brüssel um die Rohstoffe Südamerikas
Durch das Abkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay, Bolivien und Uruguay könnte die EU eine der größten Handelszonen der Welt schaffen, mit rund 750 Millionen Menschen. Die Zone würde fast 20 Prozent der Weltwirtschaft und mehr als 31 Prozent der globalen Warenexporte abdecken.
Es gibt gewichtige geopolitische Argumente, die für einen Abschluss sprechen. Unter dem Stichwort "De-Risking" will die EU Lieferketten diversifizieren und ihre Abhängigkeit von China mindern. Peking wird vermehrt als Wettbewerber und Rivale gesehen, denn als Partner. China wiederum investiert massiv in südamerikanische Staaten. Ein Beispiel ist der Hafen Chancay, 60 Kilometer nördlich der peruanischen Hauptstadt Lima. Peking gibt 1,3 Milliarden Dollar für die Anlage aus, um die Fahrtzeit von Riesencontainern zwischen Südamerika und China um zehn Tage zu reduzieren. Zudem buhlt die EU mit China um die Rohstoffe Südamerikas, vornehmlich Kupfer und Lithium.
Für Frankreich bleiben nun laut Lange vom EU-Handelsausschuss nur noch zwei Alternativen: "Jetzt müssen wir politisch entscheiden, inwiefern die anderen Mitgliedstaaten noch mit Frankreich reden können oder auch gewillt sind, es zu überstimmen."
Rechtsextreme in Frankreich könnten Aufwind bekommen
Eigentlich wollte er den argentinischen Präsidenten Javier Milei beim G-20-Gipfel in Rio de Janeiro vom Widerstand gegen das Abkommen überzeugen. Erfolg scheint er damit aber nicht gehabt zu haben. Laut Lange fehlen noch "ein paar Erläuterungen und Feinjustierungen", dann stehen die Mercosur-Staaten "allesamt hinter dem Abkommen". Obwohl Lange den Abschluss an sich befürwortet, warnt er davor, Frankreich bei der Abstimmung zu düpieren. Schließlich könnte so der rechtsextreme Rassemblement National durch die enttäuschten Bauern Aufwind bekommen.
Eine Niederlage im Rat wäre der Todesstoß für Macrons Blockade und für ihn ein innenpolitisches Risiko. Sollten seine europäischen Amtskollegen ihn bei der Unterzeichnung des Mercosur-Abkommens ignorieren, würde zudem öffentlich zutage treten, wie schwach Macrons Stimme in der EU geworden ist. Für einen Präsidenten, der sich seit seinem Amtsantritt als glühender Europäer verkauft, wäre das kein gutes Zeugnis.
Quelle: ntv.de