Politik

Wo ist das Leck? Edathy dichtet, die SPD bangt - einer lügt

Vor seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seinem Untertauchen: Sebastian Edathy.

Vor seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seinem Untertauchen: Sebastian Edathy.

(Foto: picture alliance / dpa)

Keine Festtagsstimmung in der SPD: In dieser Woche kehrt Sebastian Edathy zurück nach Berlin. Die Genossen zittern. Wagt der Ex-Politiker die Abrechnung mit seiner Partei? Mindestens ein Mann muss um seinen Job fürchten.

Sebastian Edathy schwankt zurzeit in seiner Stimmung - zwischen Übermut und Realismus. "So langsam sollte ich mich mal um die Filmrechte kümmern", schrieb er am 6. Dezember bei Facebook mit einem Smiley - und meinte damit wohl seine eigene Geschichte. Eine Woche später postete der 45-Jährige das Hölderlin-Gedicht "Vom Abgrund nemlich". Beide Äußerungen könnten kaum sinnbildlicher sein. Selten wurde der Berliner Politikbetrieb Zeuge einer ähnlich filmreifen Affäre wie der um Edathy.

Der frühere Bundestagsabgeordnete hatte die Republik im Februar über Wochen in Atem gehalten. Er hatte Aufnahmen von nackten Jungen im Internet bestellt. Zunächst war Edathy durch die Ermittlungen selbst in den Fokus geraten. Daraufhin zog er auch noch andere mit in den Abgrund. So trat der frühere Innenminister und spätere Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich aufgrund seiner Verstrickungen zurück. Doch womöglich war er nicht das letzte Opfer der Affäre. Denn jetzt droht der SPD Ungemach.

In dieser Woche geht der Fall Edathy in die nächste Runde. Am Donnerstag kehrt der Ex-Politiker, der über Monate untergetaucht war, nämlich zurück in die Hauptstadt. Vormittags tritt er in der Bundespressekonferenz auf, ab 13 Uhr wird er in einer öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses befragt. Die entscheidenden Fragen lauten, ob, wann und durch wen Edathy von den Ermittlungen erfahren hat. Offenbar wusste er schon frühzeitig, dass sich etwas anbahnt. Als die Polizei seine Wohnung durchsuchte, fand sie kaum strafbares Material. Seinen Dienstlaptop, auf den die Nacktfotos heruntergeladen worden waren, hatte er vorher als gestohlen gemeldet.

Edathy muss einen Hinweis erhalten haben. Nur von wem? SPD-Chef Sigmar Gabriel wurde im Oktober 2013 von Friedrich über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert. Der heutige Vizekanzler zog Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann, damals Fraktionschef und -geschäftsführer, ins Vertrauen. Wirklich sicher war die pikante Information dort aber nicht. Das belegen mindestens vier Gespräche, die heute im Fokus stehen, aber teilweise widersprüchlich sind.

Umstrittene Gespräche

Das erste Gespräch: Ende Oktober kontaktierte Oppermann BKA-Chef Jörg Ziercke und erkundigte sich nach den Ermittlungen gegen den SPD-Politiker. Ein umstrittenes Telefonat, bei dem Ziercke nach eigenen Angaben aber keine Infos weitergegeben haben will. Das zweite Gespräch: Am 8. November, während der Koalitionsverhandlungen, sprach Oppermann mit Edathy. Vorgeblich ging es aber nur um dessen "Karrierewünsche". Das dritte Gespräch, das Edathy selbst an diesem Wochenende enthüllte, belastet nun den SPD-Abgeordneten Michael Hartmann. Im "Stern" behauptete Edathy, der damalige Innenexperte habe ihn im Herbst informiert. Hartmann bestreitet das.

Etwas anderes bestreitet er aber nicht. Beim SPD-Parteitag Mitte November in Leipzig, als Medien gerade von der Zerschlagung eines kanadischen Kinderporno-Rings berichteten, sprachen die beiden über Edathys Problem. "Auf angebliche Informationen" Zierckes will Hartmann dabei nicht zurückgegriffen haben. Das vierte wichtige Gespräch fand Ende November statt: Damals sprachen Hartmann und Oppermann über "Edathys Gesundheitszustand", wie es heute heißt. Beide wussten zu diesem Zeitpunkt längst, warum es Edathy schlecht geht, nur redeten sie angeblich nicht darüber.

Auch die Rolle Hartmanns ist prekär. Im Sommer wurde er mit der Droge Crystal erwischt, kurz später von der Fraktionsführung begnadigt. Er soll an diesem Donnerstag gleich nach Edathy befragt werden. Als geladener Zeuge muss Hartmann im Ausschuss erscheinen. Hier kann er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Bei einer Aussage unterliegen sowohl Edathy als auch Hartmann der Wahrheitspflicht: Für eine uneidliche Falschaussage droht eine Haftstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

Und was, wenn Edathy und Hartmann auf ihre widersprüchlichen Versionen beharren? "Nur eine der beiden Geschichten kann wahr sein", sagt Eva Högl, die Leiterin des Gremiums. Für die SPD-Frau, die irritiert darüber ist, dass Edathy zuerst vor die Journalisten und dann in das Gremium kommt, ist die Lage vertrackt. Die Befragung von Edathy und Hartmann ist für sie ein Wiedersehen mit alten Bekannten, mit "zwei guten Kollegen", mit denen sie lange zusammengearbeitet hat. "Dass das nicht schön ist, können Sie sich vorstellen", sagt sie, die Befangenheitsvorwürfe aber zurückweist.

Niemand will Edathy offiziell gewarnt haben

Högls Parteispitze gerät durch die Affäre derweil immer stärker unter Druck. Das gilt vor allem für Oppermann, der auch noch in den Ausschuss geladen wird. Im Februar war es ihm trotz heftiger Kritik vonseiten der Union noch gelungen, dem Rücktritt zu entgehen. Nun könnte es für ihn erneut brenzlig werden. Sollte sich Oppermann in Widersprüche verstricken, wäre seine Glaubwürdigkeit in der Großen Koalition nachhaltig beschädigt. Dann könnten seine Tage als Fraktionschef endgültig gezählt sein.

Aber noch genießt der 60-Jährige Gabriels volle Rückendeckung. Ob er ausschließen könne, dass Edathy von jemandem aus der Parteispitze gewarnt worden sei, wurde der SPD-Chef an diesem Montag auf einer Pressekonferenz gefragt. "Ja klar", antwortete er. Sowohl Gabriel als auch Oppermann wiesen Edathys jüngste Äußerung als "unglaubwürdig" zurück. Es steht Aussage gegen Aussage. Niemand will Edathy offiziell gewarnt haben. Niemand will sich dem Vorwurf der Strafvereitelung aussetzen. Lügt einer der Genossen? Mindestens einer sagt jedenfalls nicht die ganze Wahrheit.

Umso gespannter schaut die Republik auf Edathys Auftritt entgegen. Was wird er sagen? Und kann er seine Behauptungen belegen? Einen Vorgeschmack lieferte der Niedersachse bereits im "Stern", wo er angebliche Kurzmitteilungen von Ende 2013 und Anfang 2014 veröffentlichte. "Lieber Kollege, gibt es bei Dir was Neues", habe Edathy in einer SMS an Hartmann geschrieben. Dessen Antwort: "Still ruht der See. Habe auch meinerseits nicht nachgehakt."

Was auch immer das am Ende heißen mag: Am Donnerstag könnte Edathy noch belastendes Material nachlegen. Rücksicht muss er nicht mehr nehmen. Mit seiner Partei hat er längst gebrochen. Für Gabriel, Oppermann und Hartmann wird die Lage dadurch nur bedrohlicher. Sollte die Edathy-Affäre wirklich mal verfilmt werden, dann könnte die SPD der große Verlierer sein.

Quelle: ntv.de

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