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Letzte Debatte im 20. Bundestag Ein Parlament voller "Vögel", "Meckeronkel" und "Nobelpreisträger"

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Der 20. Bundestag ist praktisch Geschichte und kommt in der Zusammensetzung im Normalfall nicht mehr zusammen.

Der 20. Bundestag ist praktisch Geschichte und kommt in der Zusammensetzung im Normalfall nicht mehr zusammen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Es ist vorbei: Der Bundestag hat in dieser Form zum letzten Mal getagt. In der Debatte treten fast nur die führenden Köpfe ihrer Parteien ans Pult und rechnen hart mit den Mitbewerbern ab. AfD-Chefin Weidel streitet mit Bundestagspräsidentin Bas. Die SPD bietet einen besonderen Redner auf.

Drei Jahre und zwei Monate nach seiner konstituierenden Sitzung ist der 20. Deutsche Bundestag letztmalig zu einer Plenardebatte zusammengekommen. Und die hatte es in sich. Der Bundeskanzler, sein aussichtsreichster Herausforderer und alle Großkopferten und Großkopfertinnen der im Parlament vertretenen Parteien schritten noch einmal ans Rednerpult und gaben klare Wahlempfehlungen für das jeweils eigene Team ab. Zwölf Tage vor der Bundestagswahl war dabei der Ton so unversöhnlich wie schon zuletzt so oft. Das galt auch für den Schlussredner, den eigentlich schon aus der Politik zurückgezogen lebenden Kevin Kühnert.

Das erste Wort gehörte jenem Mann, der Kühnert bald in die Politikrente folgen könnte, sollten sich die Zustimmungswerte der SPD nicht doch noch drastisch wenden: Bundeskanzler Olaf Scholz. Der zog noch einmal Bilanz seines Regierungshandelns und gab keinen Zweifel zu erkennen, ob es eine bessere Alternative zu seiner Person gebe. "Führungsstärke, Nervenstärke, klarer Kurs: Darauf kommt es in schweren Zeiten an, nicht auf Wankelmut und Sprücheklopfen", sagte Scholz.

"Verraten sie den Deutschen endlich die Wahrheit"

Seine Kanzlerschaft sei ökonomisch und außenpolitisch von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt gewesen so wie die letzte Regierungszeit von Angela Merkel durch die Corona-Pandemie. Die Zeiten würden schwierig bleiben, befand Scholz auch mit Blick auf die US-Präsidentschaft von Donald Trump. "Der Wind weht von vorn und die Wahrheit ist, das wird sich in den kommenden Jahren nicht sehr grundlegend ändern", sagte Scholz. "Ich verspreche den Bürgerinnen und Bürgern nicht das Blaue vom Himmel, ich nicht. Aber was ich verspreche: Wir kommen da gemeinsam durch."

Scholz referierte noch einmal die wichtigsten Vorhaben aus dem SPD-Wahlprogramm. Merz, dessen Union im neuen RTL/ntv-Trendbarometer mit 29 Prozent Zustimmung deutlich vor der SPD mit 16 Prozent liegt, ging Scholz erneut hart an. Merz sei in der Ukraine-Politik "orientierungslos" und setze mit seiner Haltung zur Energiewende "unseren Wohlstand aufs Spiel". Das CDU-Wahlprogramm reiße eine Lücke von 130 Milliarden Euro jährlich in den Haushalt. Merz sage nicht, wo er sparen wolle - bei der Rente, der Pflege, der Infrastruktur? "Verraten Sie den Deutschen endlich die Wahrheit", forderte Scholz. "Um diese Antwort drücken Sie sich seit Monaten herum und das lässt Schlimmstes vermuten."

Merz: Asylbewerber als "unlösbares Problem"

Merz mokierte sich in seiner anschließenden Rede darüber, dass der Kanzler in seiner letzten Rede nichts anderes zu tun habe, als sich am Oppositionsführer abzuarbeiten. "Ist das allen Ernstes das, was Sie jetzt zum Abschluss dieser dreieinhalb Jahre hier anbieten?", fragte Merz. Die Haushaltsführung der Ampel bezeichnete Merz genauso wie den Zustand der Wirtschaft als "Desaster". Ähnlich Scholz' Bilanz in der Migrationspolitik: "800.000 zusätzliche Asylbewerber in Deutschland in Ihrer Amtszeit, die nach Deutschland gekommen sind und mittlerweile ein unlösbares Problem auf der kommunalen Ebene geschaffen haben", rechnete Merz dem Amtsinhaber vor.

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vermisste bei Scholz jede Selbstkritik: "Es sind immer nur die anderen und was wir von Ihnen hier hören - auch am Sonntagabend: 'Ich, ich, ich, ich habe alles richtig gemacht, nur alle anderen haben die Klugheit und die Intelligenz dieses Bundeskanzlers noch nicht verstanden." Scholz' Aussage, es gelte, bei der Bundestagswahl eine Mehrheit aus Union und AfD zu verhindern, wies Merz scharf zurück: "Es kommt eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht infrage." Scholz baue einen Popanz auf - "eine Kunstfigur, mit der man versucht, Menschen Angst zu machen".

Tatsächlich konnte man diesen Popanz in fast allen Reden ausmachen. Scholz warnte vor einer AfD-Mitregierung. Merz sagte, wenn die kommende Bundesregierung nicht erfolgreicher sei, "werden wir es eines Tages nicht nur mit 20 Prozent Rechtsextremisten zu tun haben". Dann bekämen diese womöglich Mehrheiten. FDP-Chef Christian Lindner sagte, wenn die kommende Bundesregierung "nicht liefert", würden sich die Menschen "Alternativen suchen". Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck warnte Union und FDP: "Wir werden den Rechtspopulismus weder in Deutschland noch in Europa beseitigen, indem wir uns seine Methoden zu eigen machen." Jeder begründete die eigene politische Linie mit der AfD-Gefahr.

Weidel schwärmt vom AfD-Wunderland

Die viel besprochene Rechtsaußenpartei präsentierte sich in den Reden von AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel und ihres Co-Parteichefs Tino Chrupalla entsprechend selbstbewusst. Weidel zeichnete in ihrer Rede ein Bild von einem AfD-regierten Deutschland, das "seine eigene starke Währung" hat, das "Subventionsmonster Energiewende" stoppt, Kernkraftwerke baut und billiges Erdöl und Erdgas aus Russland bezieht. Die Grünen-Abgeordneten giftete Weidel an: "Sie haben alle noch nie in Ihrem Leben gearbeitet, was machen Sie hier?"

Die AfD-Chefin zeigte sich entnervt von den Zwischenrufen von SPD und Grünen. Sie wandte sich an Bundestagspräsidentin Bäbel Bas. "Frau Präsidentin, diese Zwischenrufe", sagte Weidel. Bas konterte: "Also, das können Sie Ihrer eigenen Fraktion ja auch mal sagen, die hier permanent reinrufen." Weidel und Chrupalla umwarben in ihren Reden CDU und CSU, die mit SPD oder Grünen ihre Wahlversprechen nicht umsetzen könnten. Merz solle sein "Freund-Feind-Denken" aufgeben, forderte Chrupalla.

Habeck warnt vor den "Vögeln" aus der Union

Grünen-Kanzlerkandidat Habeck versuchte in seiner Rede etwas grundsätzlicher zu werden und ermahnte die kommende Bundesregierung, beim Klimaschutz nicht nachzulassen. Das Bundesverfassungsgericht habe 2021 davor gewarnt, dass die Freiheitsrechte der Menschen umso drastischer eingeschränkt werden müssten, wenn nicht frühzeitig mehr zur Eindämmung des Klimawandels unternommen werde. "Verkennen Sie nicht, welche Aufgabe unserer politischen Generation zugeschrieben ist", appellierte Habeck. Die Politik dürfe die "Mühsal" nicht scheuen, die mit dieser Aufgabe verbunden ist.

Der Union sprach er die Fähigkeit zur Zukunftspolitik ab. Bundesminister von CDU und CSU hätten zur Verarbeitung großer Datenmengen den Ausbau von Kupferkabeln vorangetrieben, als diese schon absehbar nicht mehr Stand der Technik waren. "Es sind die gleichen Vögel, die uns jetzt sagen, wir müssen die Ölheizung optimieren und den Verbrennermotor optimieren, um damit weltmarktfähig zu sein", echauffierte sich Habeck.

Ein Nobelpreis für Olaf Scholz

Nicht alle Attacken griffen auf Bilder aus der Tierwelt zurück. Lindner etwa sah in Scholz den zweiten Nobelpreisträger nach Willy Brandt, der 1971 den Friedensnobelpreis bekam. "Olaf Scholz bekommt den Nobelpreis für Physik", witzelte der FDP-Vorsitzende, "weil er den endgültigen Beweis dafür erbracht hat, dass es Paralleluniversen gibt." In diesem wähnt Lindner den SPD-Kanzler, weil der den Zustand der Wirtschaft nicht wahrhaben wolle.

SPD-Chef Lars Klingbeil warf Merz eine "überhebliche und kleinkarierte Rede" vor. Merz habe alles schwarzgemalt, die Wirtschaft und die Sicherheit im Land - "als ob jeder Ausländer kriminell ist, das ist doch nicht die Realität dieses Landes". Ihn erinnere Merz an diesen "meckernden Onkel", den es auf jeder Familienfeier gebe, der "selbst noch nie Verantwortung übernommen hat, aber der alles besser weiß", sagte Klingbeil. "Am Ende wird es um diesen Onkel immer sehr einsam. Ihre letzten Freunde, die Sie im Parlament hier haben, das sind die von der AfD."

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nahm Klingbeils Rede auf und erinnerte an die SPD-interne Debatte, ob nicht Verteidigungsminister Boris Pistorius der erfolgversprechendere Kanzlerkandidat wäre: "Von Ihrer Familienfeier hört man, dass Sie Olaf Scholz ganz loswerden wollten", sagte Dobrindt und erntete hierfür Lacher; selbst Klingbeil schien zu schmunzeln. Dennoch: Gerade zwischen SPD und Union war der Ton schneidend. Es wird Schauspieltalent brauchen, nach der Wahl zu vermitteln, dass man sich in den Sondierungsgesprächen nun neu kennengelernt habe und Lust auf gemeinsames Regieren verspüre.

Kühnert: "Union und FDP sind keine Faschisten"

Derlei Verrenkungen bleiben Kevin Kühnert erspart, nachdem dieser wegen einer Erkrankung Anfang November überraschend seinen sofortigen Rücktritt aus der Politik verkündet hatte. Er kandidiert nicht erneut für den Bundestag, trat am Ende der Debatte aber als letzter Redner ans Pult. Auch er beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Union und AfD. "Nein, Union und FDP sind keine Faschisten, auch nicht klammheimlich", sagte Kühnert. "Man stürmt keine Geschäftsstellen, man zerstört keine Plakate, man droht anderen Menschen nicht. Der richtige Konflikt darf nicht mit den falschen Argumenten ausgetragen werden."

Bis dahin fand die Rede auch den Applaus der Union. Fraktionsübergreifend hatten zuvor schon Abgeordnete Kühnert an seinem Sitzplatz aufgesucht, ihn begrüßt und Genesungswünsche überbracht. Dann aber widmete sich Kühnert dem Umgang von Friedrich Merz mit der AfD. Der habe sich zum Austritt von Michel Friedman aus der CDU partout nicht geäußert und lieber auf die vielen Neueintritte verwiesen. "Es ist wichtig zu erkennen, welches Muster hier erkennbar wird: Die Opportunität sticht die Integrität."

Merz verfolgte die Rede mit ungerührter Miene. Er dürfte sich aber geärgert haben, dass der SPD mit einem derartigen Frontalangriff das letzte Wort in dieser letzten Debatte gehörte. Sollte er am 24. Februar die stärkste Kraft im Bundestag anführen und die SPD zum Gespräch bitten, dürfte dieser Ärger aber verflogen sein.

Quelle: ntv.de

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