Politik

Grüne sind Europawahl-Verlierer Hochrechnungen: Union gewinnt deutlich, AfD auf Platz zwei

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und CDU-Chef Merz haben Grund zu jubeln.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und CDU-Chef Merz haben Grund zu jubeln.

(Foto: picture alliance/dpa)

CDU und CSU gewinnen die Europawahl deutlich. Auf Platz zwei landet allen Skandalen zum Trotz die AfD. Die Regierungskoalition erlebt einen bitteren Abend, allen voran die Grünen. Sahra Wagenknechts Bündnis verdrängt die Linke.

Kantersieg für die Union, Klatsche für die Ampel und deutliche Gewinne für die AfD: Bei der Europawahl ist Deutschland nach rechts gerückt. Die AfD landet nach Hochrechnungen bundesweit auf Platz zwei - im Osten sogar auf Platz eins. SPD, Grüne und FDP müssen Verluste einstecken und kommen zusammen nur auf ein knappes Drittel der Wählerstimmen. Auch die Linke bricht ein - und wird von der neuen Partei BSW von Sahra Wagenknecht überholt.

Den Hochrechnungen von ARD und ZDF zufolge steigert sich die Union leicht auf 30 bis 30,2 Prozent, bei der Europawahl 2019 lag sie noch bei 28,9 Prozent. Die AfD erreicht mit 16,2 bis 16,4 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung (2019: 11) - es fällt allerdings niedriger aus als zwischenzeitliche Umfragewerte. In Ostdeutschland wird die Partei mit großem Abstand stärkste Kraft. Die SPD sackt ab auf 13,9 bis 14 Prozent (15,8). Es ist das schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten bei einer bundesweiten Wahl. Die Grünen rutschen ab auf 11,9 bis 12,2 Prozent (20,5). Nur leicht verliert die FDP, die auf 4,8 bis 5 Prozent (5,4) kommt.

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Die Linke landet bei mageren 2,7 bis 2,8 Prozent (5,5). Es ist ihr schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen. Die Partei BSW von Sahra Wagenknecht erreicht aus dem Stand 5,8 bis 6,1 Prozent. Die Kleinpartei Volt liegt bei 2,5 bis 3 Prozent (0,7).

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CDU fordert Vertrauensfrage

Bei der Europawahl in Deutschland gilt anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen keine Sperrklausel, also etwa eine Fünf-Prozent-Hürde. Deshalb können auch Klein- und Kleinstparteien Sitze erringen. Die Wahlbeteiligung liegt laut Hochrechnungen bei 65 Prozent. 2019 waren es 61,4 Prozent. Damals lag Deutschland auf dem fünften Platz im Vergleich der 27 EU-Staaten. Erstmals durften in Deutschland bei einer Europawahl auch 16- und 17-Jährige abstimmen.

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CDU-Chef Friedrich Merz forderte die Bundesregierung auf, schon in den nächsten Tagen ihren Kurs zu korrigieren. Das sei im Interesse des Landes dringend notwendig. Der Wahlabend sei für die Ampel vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr nun "die wirklich letzte Warnung". Die Koalition von SPD, Grünen und FDP schade Deutschland. Das gelte für die Innenpolitik, beispielsweise mit den Entscheidungen zu Migrationsfragen, aber auch für die Wirtschaftspolitik. CSU-Chef Markus Söder sagte: "Die Ampel ist de facto von den Bürgerinnen und Bürgern abgewählt worden."

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bezeichnete das Ergebnis als eine Niederlage der Ampel-Koalition von Kanzler Scholz. "Er muss sich wirklich die Frage stellen, wenn er plakatiert wird im ganzen Land, macht er wirklich Politik für die Menschen hier", sagte Linnemann im ZDF. "Ansonsten muss er den Weg frei machen, zum Beispiel mit einer Vertrauensfrage." Die Ampel müsse sich auch fragen, was sie damit zu tun habe, dass die radikalen Ränder gestärkt würden.

SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnete das Wahlergebnis als "bittere Niederlage". "Es gibt nichts schönzureden", sagte er in der Berliner SPD-Zentrale. Man werde nun aufarbeiten, wie es zu diesem Ergebnis habe kommen können. "Dass Dinge anders werden müssen, ist - glaube ich - glasklar." SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert äußerte sich ähnlich. Über die Person von Bundeskanzler Olaf Scholz gebe es aber keine Diskussion zu führen, sagte er in der ARD.

Plus für rechte Parteien erwartet

AfD-Chef Tino Chrupalla nannte das Ergebnis seiner Partei "historisch". "Ich höre, wir sind im Osten bei dieser Wahl jetzt stärkste Kraft, mehr Rückenwind gibt's ja nicht", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September.

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang reagierte enttäuscht auf die Stimmenverluste ihrer Partei. "Das ist nicht der Anspruch, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind, und wir werden das gemeinsam aufarbeiten", sagte die Co-Parteichefin in der ARD. Die FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann betonte, dass die Partei ihr Ergebnis der letzten Europawahl in etwa gehalten habe. "Das es jetzt eine stabile fünf Prozent ist, ist eine gute Nachricht", sagte sie in der Parteizentrale in Berlin. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wich der Frage aus, ob er noch Vertrauen zum Bundeskanzler habe. "Darum geht es doch jetzt nicht», sagte er in der ARD.

Linken-Parteichef Martin Schirdewan sprach von einem bitteren Abend. Es sei der Linken nicht gelungen, mit ihren Themen durchzudringen, obwohl diese an den Alltagssorgen der Menschen angedockt seien - Löhne, Mieten, die Preisentwicklung, die Umverteilung von oben nach unten, sozialer Klimaschutz und Friedenspolitik, sagte er in Berlin. Man habe sich gegen den Rechtsruck und gegen die Beharrungskräfte der anderen Parteien nicht durchsetzen können.

BSW-Parteigründerin Wagenknecht äußerte sich froh und erleichtert über das Abschneiden ihres Bündnisses. Es gebe "ein großes Potenzial", das sie bei folgenden Wahlen ausbauen wolle. Wagenknecht bekräftigte, dass sie eine diplomatische Initiative im Krieg Russlands gegen die Ukraine für nötig halte. "Viele Menschen machen sich Sorgen, dass der Krieg auch zu uns kommt."

Von der Leyen vor zweiter Amtszeit

Europaweit zeichnete sich nach ersten Zahlen der ARD ein klarer Sieg des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP mit der deutschen Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen von der CDU ab. Dem Trend zufolge, der auf Umfragen und Hochrechnungen fußt, könnte es auf rund 176 der 720 Sitze im neuen Europäischen Parlament kommen. Zweitstärkstes Lager bleiben demnach die Sozialdemokraten, rechte Parteien dürften insgesamt am stärksten hinzugewinnen. Nach der Wahl schließen sich die meisten Abgeordneten einer der Fraktionen im EU-Parlament an, also der christdemokratischen EVP, den Sozialdemokraten, den Liberalen, Linken, Grünen oder einer der beiden rechtsgerichteten Gruppen. Eine der ersten Aufgaben des neuen Parlaments ist die Bestätigung der neuen EU-Kommission, der Exekutive der Union.

In vielen EU-Staaten, darunter Deutschland, war bereits vor der Wahl ein deutliches Plus für Parteien am rechten Rand erwartet worden. So hatten Umfragen die AfD zwischenzeitlich bei mehr als 20 Prozent gesehen. Vorwürfe gegen ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah und die Nummer zwei auf der Europawahl-Liste, Petr Bystron, brachten die Partei aber in Schwierigkeiten. Beide gerieten wegen möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken in die Schlagzeilen. Im Fall Krah geht es zudem um mögliche China-Verbindungen.

Gegen Bystron wird wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit und der Geldwäsche ermittelt. Krah, seit 2019 Europaabgeordneter, erntete zuletzt massive Kritik für verharmlosende Äußerungen über die SS, die sogenannte Schutzstaffel der Nationalsozialisten. Der Bundesvorstand der AfD forderte Krah daraufhin dazu auf, im Wahlkampf nicht mehr öffentlich aufzutreten. Die rechte Fraktion ID (Identität und Demokratie) im Europaparlament schloss als Konsequenz alle deutschen AfD-Abgeordneten aus.

In den 27 EU-Staaten waren rund 360 Millionen Bürger wahlberechtigt, davon knapp 61 Millionen Deutsche. Gewählt wurden von Donnerstag bis Sonntag - je nach Land - 720 Abgeordnete für das neue Europäische Parlament, davon am letzten Tag 96 in Deutschland. Abgesehen von der Parlamentswahl in Indien ist es die größte demokratische Abstimmung weltweit. Zudem ist es die einzige Direktwahl über Staatsgrenzen hinweg.

In den fünf Jahren seit der vergangenen Europawahl 2019 haben einschneidende Krisen die EU in Atem gehalten: eine Pandemie mit Zehntausenden Toten und anschließender Wirtschaftskrise, der russische Überfall auf die Ukraine mit folgender Energiekrise, eine wieder starke Migration nach Europa sowie zuletzt der Gaza-Krieg und Wetterkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen infolge der verschärften Klimakrise.

Quelle: ntv.de, shu/dpa

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