
Rot-Gelb-Grün, das soll klappen - daran lassen SPD, FDP und Grüne kaum Zweifel.
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Es war gutes Timing der Gewerkschaft IG BCE, zu ihrem Kongress Scholz, Baerbock und Lindner einzuladen - am gleichen Tag, an dem in Berlin die Koalitionsverhandlungen starten. Die Auftritte der drei senden ein klares Signal.
Nein, die Ampel ist noch nicht durch. Es gibt noch so manche Unstimmigkeit: Die Frage etwa, wann der Kohleausstieg kommt. Oder die, wie die Vorhaben von SPD, Grünen und FDP eigentlich finanziert werden sollen. Oder die nach der Parität, also der Zahl der Frauen im Kabinett, die gerade erst wieder Schlagzeilen machte. Und natürlich der Klassiker aller Koalitionsverhandlungen: Wer bekommt welchen Posten? Einfach wird es also nicht.
Aber trotzdem wird die Harmonie der drei Parteien langsam unheimlich. Denn es sieht nicht danach aus, dass diese Stolpersteine noch zu einem Sturz der Ampel führen könnten. Diesen Eindruck hat der Mittwoch noch einmal bestärkt - mit Bayern-München-hafter Souveränität haben SPD, Grüne und FDP die nächsten Termine bewältigt und an ihrem Willen zur Einigung keine Zweifel aufkommen lassen. Das zeigte sich einmal an dem bereits bekannten Beginn der Koalitionsverhandlungen. Dann an dem gemeinsamen Auftritt dreier Parteienvertreter am Vormittag zur pandemischen Notlage. Und schließlich an den Reden von Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Christian Lindner beim Bundeskongress der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) in Hannover.
Es waren jeweils die ersten großen Reden seit Beginn der Sondierungen. Insofern war es spannend, wie die drei auftreten würden. Scholz präsentierte sich als künftiger Bundeskanzler. Bei ihm fiel auf, dass er jeglichen Konjunktiv beiseite ließ. Keine Formulierung à la "wenn diese Regierung zustande kommt", sondern immer nur: Die neue Regierung wird dies tun, im kommenden Jahr machen wir das… Zweifel? Keine Spur. Der bisherige Finanzminister zeigte sich zuversichtlich, entspannt und gut gelaunt. Das mag auch daran gelegen haben, dass Gewerkschaftsbesuche für SPD-Politiker Heimspielpotenzial haben. Aber seine Zuversicht deckte sich mit dem Auftreten Baerbocks und Lindners.
Neue Frische statt Erschöpfung
Die Grünen-Chefin und der FDP-Vorsitzende zeigten sich fast leidenschaftlich motiviert, die Ampel tatsächlich zum Leuchten zu bringen. Baerbock sprach ausführlich darüber, wie wichtig es sei, andere Meinungen zuzulassen, auch zuzugeben, wenn jemand anders Recht hat. Dass man sich nicht immer nur in seiner eigenen Blase aufhalten solle. Und sie zeigte sich kenntnisreich, was die Wirtschaftspolitik anging - einer der Herzensangelegenheiten der FDP. Man meinte, die Koalitionsschmetterlinge im Bauch flattern zu hören. In jedem Fall ist die am Wahlkampf-Ende sichtbare Erschöpfung einer neuen Frische gewichen.
Das trifft auch auf Lindner zu, der anders als Scholz und Baerbock nur per Videoschalte sprach. Er gab sich ebenfalls angetan von den Chancen einer Ampel-Koalition. Es sei zwar ein Zweckbündnis, sagte er. Aber es könne mehr daraus werden. Was er sagte, muss in den Ohren von Scholz und Baerbock Musik gewesen sein. So bekannte er sich wortreich zu einer sozialökologischen Marktwirtschaft. Genau die hatte Baerbock zuvor ebenfalls propagiert. Lindner sagte zwar, für seine Partei stehe die Marktwirtschaft dabei im Vordergrund. Aber wie Baerbock wies er darauf hin, dass die große Umwälzung der deutschen Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität große Chancen für hiesige Unternehmen biete.
Klar, nicht alles war pure Harmonie. Lindner besteht weiter auf Technologieoffenheit - was aus Sicht der Grünen eine Chiffre ist für die lange Bank, auf die die Klimapolitik in den vergangenen Jahren immer wieder geschoben wurde. Wie dem auch sei, Lindner sprach sich für synthetische Kraftstoffe und E-Fuels aus, die die Grünen nur in Schiffen und Flugzeugen, nicht aber in Autos sehen wollen. Auch pochte er auf Steuersenkungen und verwandte viel Zeit darauf, die Möglichkeiten zu erörtern, wie der Staat helfen kann, privates Kapital zu "aktivieren". Zur Finanzierung sagte er, es könnten beispielsweise die Subventionen für Plug-in-Hybride beendet werden. Aber es wirkte nicht so, als ob hier unüberwindbare Hindernisse lauerten.
Lindner: "Bereit etwas Neues zu wagen"
Zumal man ja in den vergangenen Jahren gesehen hat, wie anders es auch gehen kann. Die neue Herzlichkeit lag nicht gerade nahe. Die FDP könnte sich bei Grünen und SPD jederzeit Programmpunkte herauspicken und darauf herumhacken. Man könnte den Atomausstieg infrage stellen oder den Mindestlohn attackieren. Tut Lindner aber nicht. Bei der IG BCE verteidigt er den Mindestlohn und das geplante Bürgergeld. Er schwärmt sogar vom Sozialstaat als zivilisatorische Errungenschaft, die nach Schicksalsschlägen den "Fall ins Bergfreie" verhindere.
Fast ein Wink mit dem Zaunpfahl ist es, als Lindner die Geschichte seiner Partei bemüht. Es sei in diesen Tagen 50 Jahre her, dass die FDP sich mit ihren Freiburger Thesen für ein Bündnis mit der SPD geöffnet habe, sagt er. Damals sei eine aktive Rolle des Staates gefordert worden, man habe sich für gesellschaftliche Emanzipationsprozesse eingesetzt. Womit er den in der FDP ebenfalls verankerten Neoliberalismus ganz weit nach hinten in den Abstellraum schob. "Die Freiburger Thesen markieren für meine Partei eine Zäsur und die sozialliberale Koalition war es ja auch." Es sei eine "interessante historische Parallele", dass nun wieder über eine neue Koalition gesprochen werde. Man habe sich nicht gegenseitig gesucht und es gebe große inhaltliche Unterschiede. Die großen Themen wie Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demographie bräuchten aber einen neuen Aufbruch. "Wie damals, 1969, hat meine Partei die Bereitschaft, ins Offene zu treten und etwas Neues zu wagen."
Olaf Scholz hat also Gründe, schlumpfig zu grinsen, wie ein früherer Kontrahent es einmal nannte. Zumal seine SPD inhaltlich in beide Richtungen gut anschlussfähig ist. Mit den Grünen gibt es ohnehin viele Gemeinsamkeiten. Aber auch mit der FDP hat man durch ihn, den konservativen, wirtschafts- und finanzkompetenten Sozi, eine Basis. So sehr, dass Lindner sogar bei Mindestlohn und Bürgergeld mitgeht. Denn die drei Parteien scheinen das zu haben, was für ein Bündnis wichtig ist: Sie verstehen die andere Seite, sie haben eine Gesprächsbasis, sie zeigen Mannschaftsgeist. Das wirkt tatsächlich erfrischend anders als das, was in den vergangenen vier Jahren von der Regierungsbank kam. Wobei man nicht vergessen sollte, dass 2017 Ähnliches über ein damals möglich scheinendes Jamaika-Bündnis gesagt wurde. Das dann doch noch scheiterte. Ausgeschlossen ist das auch für die Ampel nicht. Aber die Aufbruchsstimmung ist greifbar.
Quelle: ntv.de