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Sozialtalk bei Markus Lanz Politiknachwuchs lässt frische Ideen vermissen

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Wie die "Großen": Auch unter den Nachwuchspolitikern sind sich Grüne (Svenja Appuhn, l.) und FDP (Franziska Brandmann) alles andere als einig.

Wie die "Großen": Auch unter den Nachwuchspolitikern sind sich Grüne (Svenja Appuhn, l.) und FDP (Franziska Brandmann) alles andere als einig.

(Foto: ZDF und Markus Hertrich)

Wie denken eigentlich junge Politiker über die Probleme in der Gesellschaft? Das will Markus Lanz in seiner ZDF-Talkshow am Mittwochabend von den Vorsitzenden einiger Jugendorganisationen wissen. Die klingen am Ende wie ihre arrivierten Pendants.

Sie könnten einmal in der Politik etwas zu sagen haben. Noch üben sie dafür: Die Vorsitzenden der Jugendorganisationen der demokratischen Parteien in Deutschland. Am Mittwochabend sind sie zu Gast in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz". Manche Ideen klingen recht realistisch. Wenn es zum Beispiel um die laufenden Haushaltsverhandlungen geht – und um die damit zusammenhängende Frage, woher eigentlich das Geld kommen soll, das man für einen funktionierenden Sozialstaat braucht.

Der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, hat den ständigen Streit in der Ampelkoalition zuerst ziemlich lustig gefunden, gibt er zu. Doch der Krach dauere nun schon seit zwei Jahren. "Das hat nichts mehr mit Schadenfreude zu tun", sagt er. "Ich mache mir auch Sorgen um das Ansehen von Deutschland im Ausland. Und ich glaube: Wenn sie sehen, dass nur gestritten wird innerhalb einer Regierung, dann verlieren Menschen auch generell das Vertrauen in politische Organisationen."

Der Streit innerhalb der Koalition sei nicht einmal das größte Problem, sagt die Co-Chefin der Grünen Jugend, Svenja Appuhn. Sie stört an der Regierungskoalition, "dass sie eigentlich keine adäquaten Lösungen für viele Probleme findet." Deutschland befinde sich in einer Wirtschaftskrise, die Menschen erlebten die stärksten Reallohnverluste seit dem Zweiten Weltkrieg, gerade bei jungen Menschen herrscht eine extreme Krisenstimmung. Und nun soll der Sparhammer kommen. Appuhn: "Ich rate meiner Partei, das Sparprogramm, das Christian Lindner anscheinend mit Olaf Scholz zusammen ausgeheckt hat, nicht mitzumachen. Denn das würde dieses Land in eine sehr prekäre Lage stürzen." Viele der anstehenden Probleme könnten mit diesem Sparhaushalt nicht gelöst werden.

"Investitionen unterlassen ist Wahnsinn"

Juso-Chef Philipp Türmer nennt einige Probleme, die gelöst werden müssten: Die Wohnungskrise, der Schutz der Ukraine und die Schuldenbremse. "Bei der Schuldenbremse sind wir jetzt viel zu lange diesem Lügenmärchen hinterhergerannt, dass sie irgendetwas Positives für die Generationengerechtigkeit tun würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Schuldenbremse hat dazu geführt, dass wir in der Vergangenheit einfach massenweise Inflationen in unsere Zukunft unterlassen haben. Das ist die größte Bürde, die unserer Generation aufgehalst wurde." In Zeiten der Krise, dem Umbau der Wirtschaft und der Klimatransformation sei es ökologischer Wahnsinn, Investitionen zu unterlassen.

Die Chefin der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, sieht das erwartungsgemäß ganz anders. Sie sei eine große Anhängerin der Schuldenbremse, sagt sie bei Lanz. "Das Geld, das vermeintlich da ist, wird immer ausgegeben. Politikerinnen und Politiker finden immer tolle Projekte. Und ich habe das Gefühl, es braucht eine Art von Grenze, bei der man ganz klar sagt: in diesem Rahmen, der vorgegeben wird, muss man priorisieren." Zudem könne man in Notlagen die Schuldenbremse aussetzen.

Und diese Notlage sei jetzt da, sagt Appuhn, die damit heftige Kritik von ihrer FDP-Kollegin auslöst. Überhaupt hat man das Gefühl: Hätten beide Politikerinnen wirklich etwas zu sagen, wäre die Ampel schon längst Geschichte. "Bei euch ist ja immer Krise", wirft sie ihrer grünen Kollegin vor. Die weist auf die Wirtschaftskrise, Inflation, Klimakrise und den Rechtsruck in der Politik hin und fragt: "Wieviel Krise soll denn noch sein?"

Die größte Krise sei, dass viele Investitionen aus Deutschland abflössen, sagt Johannes Winkel. Die Unternehmen könnten in Deutschland nicht arbeiten, vor allem wegen der immer noch überbordenden Bürokratie. Zudem sei immer noch öffentliches Geld vorhanden, das jedoch nicht genutzt werde.

Mehr für Arme, weniger für Reiche

Ein großes Problem haben alle vier Politiker erkannt: Die Finanzierung des Sozialstaates. Hier haben besonders die Grüne Jugend und die Jusos einige Konzepte, die bei den anderen Gästen so gar nicht ankommen. Svenja Appuhn zum Beispiel fordert, dass Bürgergeldempfänger in Würde leben können müssten. Dagegen sprächen Sanktionen für bestimmte Menschen. Außerdem will Appuhn das Bürgergeld deutlich erhöhen. "Da braucht man wirklich armutsfeste Sätze", sagt sie. Geht es nach ihr, würden Bürgergeldempfänger 1250 Euro im Monat bekommen.

Franziska Brandmann reagiert auf diese Forderung sehr wütend. "Wir können froh sein, dass wir in einem Land leben, das einen Sozialstaat hat, der einen unterstützt, wenn man in Not gerät. Das ist eine Art von Fairness, auf die wir sehr stolz sein können. Aber Fairness bedeutet auch, dass man fair gegenüber denen sein muss, die das bezahlen." Deswegen findet die Jung-Liberale Sanktionen gegen Menschen richtig, die Angebote für Beratungsgespräche und zumutbare Arbeit ablehnen.

Weniger Steuern als in der Schweiz

JUSO-Chef Türmer findet es falsch, über wenige Bürgergeldempfänger zu reden, die sanktioniert werden müssen. Er möchte lieber über die Superreichen in Deutschland sprechen. Das sind zwar weniger Menschen, jedoch geht er darüber hinweg. Bei der Verteilung von Kapitalvermögen gehörten den reichsten 50 Prozent der Gesellschaft 99,5 Prozent des Vermögens. 800.000 Menschen seien in der Lage, ausschließlich von ihren Kapitalvermögen zu leben. Sie müssten nicht mehr arbeiten. Superreiche müssten in Deutschland inzwischen weniger Steuern zahlen als in der Schweiz, die als Steueroase gelte. Die Schere zwischen Armen und Superreichen wachse.

Debatten seien falsch, wo sich die Schwächsten um die Krümel prügeln müssten. "Es geht darum, endlich an die richtig guten Kuchen ranzugehen." In Deutschland gebe es 226 Milliardäre, sagt Türmer. "Ich würde gerne aus den 226 Milliardären 226 Millionäre machen", sagt der JUSO-Chef. "Ich finde, es gibt einen gewissen Reichtum, der ist unsozial." Immerhin gehe mit Reichtum auch politische Macht einher. Daher möchte Türmer beispielsweise die Erbschaftssteuer deutlich anheben. "In einer sozial gerechten Gesellschaft sollte es keine Milliardäre geben", so Türmer.

Für JU-Chef Winkel zeichnet Türmer ein falsches Bild, "Weil wir sehr gute Unternehmen haben und sehr verantwortungsvolle Unternehmer." Viele Milliarden Euro seien in Unternehmen gebunden, in denen Millionen Menschen in Lohn und Brot stünden. "Wenn du als JUSO-Chef, der noch nie in der freien Wirtschaft gearbeitet hat, zu diesen Unternehmern sagst, ihr seid reiche Schmarotzer, finde ich das eine Absurdität."

Was am Ende der Diskussion die älteren Zuschauer etwas beruhigt haben dürfte: So viel neue und realisierbare Lösungsansätze für die Probleme in diesem Land haben auch die jungen Politiker offenbar nicht.

Quelle: ntv.de

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