Fragen und Antworten So läuft der große Anti-Terror-Test
07.03.2017, 09:30 Uhr
Die Bundeswehr verfügt laut Verteidigungsministerium über wertvolle Fähigkeiten im Anti-Terror-Kampf
(Foto: picture alliance / dpa)
Heute üben Polizei und Bundeswehr gemeinsam, was im Fall eines Terroranschlags zu tun ist. Gabe es sowas schon einmal? Sind Einsätze der Armee im Inneren überhaupt erlaubt? Und was kann eine solche Übung bringen?
Worum geht es genau bei der Übung?
Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein üben ein düsteres Szenario. Terroristen übersäen Deutschland dabei zeitgleich mit Anschlägen. Das Szenario wird aber nur in der Theorie durchgespielt. Weder werden Straßen abgesperrt noch Panzer aufgefahren. Es geht vor allem darum, Alarmketten zu testen und Kommunikationsabläufe zu üben. Dies soll in Echtzeit und möglichst praxisnah simuliert werden - die Polizei soll dabei so gebunden sein, dass sie die Hilfe der Bundeswehr anfordern kann.
Wie realistisch ist das Szenario?
Dem Innenministerium zufolge gilt bei der Ausarbeitung solcher Szenarien immer die Maxime "Das Undenkbare denken". Durchgespielt werden könnten Attentate von Einzeltätern oder von Terrorkommandos. Ziele der Attacken könnten etwa Bahnhöfe oder Schulen sein. Einen Bezug zu real existierenden Orten gibt es nicht.
Übt die Bundeswehr erstmals den Anti-Terror-Fall mit der Polizei?
Nein. Seit 2004 finden unter dem Namen "Lükex" etwa alle zwei Jahre große Katastrophenschutzübungen von Polizei, Technischem Hilfswerk, Rettungsdiensten, Feuerwehr und eben auch der Bundeswehr statt. Dabei ging es auch schon um Terror, 2010 etwa um eine Anschlagserie in mehreren Bundesländern. Neu ist diesmal, dass die Bundeswehr mit Zwangs- und Eingriffsbefugnissen ausgestattet wird. Sie dürfen hoheitlichen Zwang anwenden, das heißt: Wenn es ernst wird, dürfen die Soldaten die Terroristen mit allen militärischen Mittel bekämpfen. Die Anwendung von Gewalt bleibe aber "Ultima Ratio", sagt das Bundesinnenministerium.
Warum ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren so heikel?
Die Vorstellung bewaffneter Soldaten auf deutschen Straßen - ein normales Bild etwa in Brüssel und Paris - ruft in Deutschland mitunter mulmige Gefühle hervor. Die Aufgaben von Militär und Polizei sind hierzulande besonders strikt getrennt. Die Streitkräfte verteidigen das Land grundsätzlich nach außen, die Polizei wehrt Gefahren im Inland ab. Die strenge Trennung von Armee und Polizei in Deutschland hat historische Gründe. Das geht auf den Machtmissbrauch der bewaffneten Kräfte in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus zurück.
Wie sind die Meinungen über die gemeinsame Übung heute?
Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic ist gegen die Übung: " Hier wird mit viel Pomp ein Szenario konstruiert, das mit der verfassungsmäßigen Realität nichts zu tun hat", sagte sie. Es habe sehr gute und historisch nachvollziehbare Gründe dafür gegeben, die innere Sicherheit ausschließlich in die Hände der Polizei zu legen. "Eine Militarisierung der Innenpolitik lehne ich daher entschieden ab, ebenso wie mit solchen Übungen eine Hintertür dazu einzubauen", sagte Mihalic. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen verteidigt die Übung für die Bundesregierung. Die Bundeswehr verfüge "über besondere Kapazitäten und Fähigkeiten, etwa im Aufspüren und Entschärfen von Sprengsätzen, geschützte Transporter oder zur Versorgung einer größeren Zahl von Brandopfern", sagte die CDU-Politikerin. "Kein Mensch würde verstehen, wenn diese Ressourcen der Bundeswehr bei einem extremen Terroranschlag der Bevölkerung nicht zur Verfügung gestellt würden."
Auf welcher verfassungsrechtlichen Basis stehen Einsätze der Bundeswehr im Inneren?
Sie leiten sich gleich aus drei Artikeln des Grundgesetzes ab: Artikel 35, Absatz 1, sieht die gegenseitige Amtshilfe aller Behörden des Bundes und der Länder vor. Das heißt: Wenn eine Behörde überfordert ist, springt eine andere ein. Die Bundeswehr gilt als Behörde des Bundes. Sie kann dann etwa mit Logistik, Sanitätern oder Personal aushelfen. Artikel 35, Absatz 2, erlaubt den Einsatz der Streitkräfte "bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall". Artikel 87a, Absatz 4, erlaubt den Einsatz von Soldaten "zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes" (Notstand). Die Bundeswehr darf dann sogar "beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer" mitwirken.
Gab es schon Bundeswehreinsätze im Inneren?
Bei der Flutkatastrophe in Hamburg 1962 und später bei Hochwasserkatastrophen an Oder und Elbe bauten tausende Soldaten Dämme und halfen bei Evakuierungen. Solche Einsätze können sowohl unter Amts- als auch unter Katastrophenhilfe nach Artikel 35 laufen. Während der Flüchtlingskrise half die Bundeswehr bei der Unterbringung, beim Transport und der Registrierung von Flüchtlingen. Auch das ist Amtshilfe. Nur nach Artikel 87a wurde die Bundeswehr noch nie eingesetzt. Bisher wurde auch noch nie der Notstand ausgerufen.
Darf die Bundeswehr bei Terroranschlägen im Inland eingesetzt werden?
An dieser Stelle beginnt es kompliziert zu werden. Im Grundgesetz finden sich dafür keine klaren Regelungen. Seit 2012 gibt es aber eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch ein Terroranschlag ein "besonders schwerer Unglücksfall" nach Artikel 35 sein kann. Das muss dann ein Ereignis "katastrophischen Ausmaßes" sein. Dafür kommen nach Ansicht der Bundesregierung auch terroristische Großlagen in Betracht. Streiten kann man allerdings immer noch darüber, wie groß ein Terroranschlag sein muss, damit die Bundeswehr eingreifen darf, und welche Mittel sie dann anwenden darf.
Quelle: ntv.de, jog/dpa/AFP